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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

gleichmäßig vertheilten) Nervensystems, wie bei den Würmern (s. Fig. XXI. XXII. XXIII), findet sich nun Centralmasse in Gestalt von Nervenknoten (Ganglien) vor, und zwar zunächst um den Schlund herum oder, wo ein solcher fehlt, doch immer im vordern, dem Kopfe entsprechenden Körpertheile. Hier treten entweder zwei obere Schlundganglien auf, die (dem Gehirne höherer Thiere entsprechend) mit einander in näherem oder weiterem Zusammenhange stehen, oder es gesellen sich zu diesen oberen noch untere Schlundganglien und es entsteht nun durch die Verbindung aller ein knotiger Nerven-Schlundring. Bei manchen Würmern entspringt aus jedem obern Schlundganglion ein Nervenstrang, der sich, mit kleineren Ganglien besetzt, an seiner Seite des Körpers herabzieht. Die meisten Würmer haben aber noch einen knotigen Nervenstamm an der Bauchseite ihres Körpers (d. i. der Bauchnervenstrang, das Bauchmark), welcher von den untern Ganglien des Schlundringes ausgeht und bis zum Ende des Leibes hinabläuft, Nervenfäden nach beiden Seiten hin abgebend. – Die Krebse (s. Fig. XVII.–XX.) besitzen ziemlich ein ähnliches Nervensystem, wie die Würmer, nur entwickelt sich bei ihnen die obere Schlundganglienmasse immer mehr und tritt dem Gehirne etwas näher, so wie sich auch neben dem Bauchmarke noch ein deutlicheres Eingeweide- oder Mundmagen-Nervensystem vorfindet. – Bei den Spinnen (s. Fig. XII. XIII. XIV.) bildet sich die obere Schlundganglienmasse zu einem hirnähnlichen Kopfganglion aus, und dieses zeigt dann bei den Insecten (s. Fig. XV. XVI.) eine überwiegende Ausbildung über die Bauchkette. – Von den Weichthieren oder Mollusken (s. Fig. IX. X. XI.) zeichnen sich die Kopffüßler durch die beträchtliche Größe ihrer centralen Schlundring-Nervenmasse aus, welche sich nun schon in ihrer Gestalt dem Gehirn der Fische nähert und in einer nach vorn häutig geschlossenen Höhle des Kopfknorpels liegt. Die Mollusken machen den Uebergang von den wirbellosen Thieren zu den Wirbelthieren.

Bei den in ihrer Organisation höher stehenden Wirbelthieren lagern sich die Centraltheile des Nervensystems in ihrer Hauptmasse als ein Längsstrang (Rückenmark) unter dem Rücken des Thieres und gehen keine Schlundringbildung mehr ein. Das vordere Ende dieses Rückenmarkes schwillt dann immer mehr und mehr zum Gehirne an und dieses nimmt, indem es sich immer deutlicher und schärfer vom Rückenmarke abgrenzt, an Größe und Ausbildung zu. Uebrigens sind Gehirn und Rückenmark mehr oder minder vollständig von einer knorpligen oder knöchernen Hülle (vom Rückgrate und Schädel) umgeben und stets mit häutigen Umhüllungen versehen. Bei den niedrigsten, den Fischen, zeigt sich noch ein Mangel einer Scheidung von Rückenmark und Gehirn. In den aufsteigenden Classen der Wirbelthiere (Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugethiere) dagegen tritt diese Scheidung und mit ihr die vollkommnere Entwickelung des Gehirns, so wie die von der letzteren abhängige höhere geistige Thätigkeit des Gehirns immer deutlicher hervor.

Um die wichtigste Abtheilung des Nervensystems, welcher das geistige Thätigsein übertragen ist, nämlich das Gehirn, in seiner allmählichen Vervollkommnung besser kennen zu lernen, ist es nothwendig, der ersten Entwickelung desselben bei den höheren Wirbelthieren kurz Erwähnung zu thun, um daran zu zeigen, wie die einzelnen ganz einfachen Abschnitte des Gehirns der niederen Wirbelthiere schon die Vorbildungen der vollkommneren Abtheilungen im Gehirne der höheren Thierclassen sind.

Die erste Anlage des Centralnervensystems stellt sich als ein nach oben offener Halbcanal dar, der sich allmählich zum Rückenmarkrohre schließt und an dessen vorderem Ende das Gehirn in Gestalt von drei auf einander folgenden, mit ihren Wandungen und durch ihre mit Flüssigkeit erfüllten Höhlen zusammenhängenden Blasen (s. Fig Va. b. c.) ansitzt. Die erste, größte und wichtigste Blase bildet das „Vorderhirn“ und theilt sich sehr bald der Länge nach in zwei Hälften, d. s. die späteren Hemisphären des großen Gehirns. Am hinteren Ende dieser ersten Blase wuchert dann allmählich ein unpaarer Abschnitt als „Zwischenhirn“ hervor, der sich später zur Umgebung der dritten Hirnhöhle und Sehhügel umbildet. – Die zweite (oder Vierhügel-)Blase stellt das „Mittelgehirn“ dar, aus welchem später die Vierhügel hervorgehen. – Die dritte Hirnblase bildet mit ihrem vordern Theile das „Hinterhirn“ oder das spätere „kleine Gehirn“, während der hintere, unmittelbar in das Rückenmark sich fortsetzende Abschnitt als „Nachgehirn“ bezeichnet wird und später zum „verlängerten Marke“ wird. – Mit der allmählich sich steigernden Vervollkommnung des Gehirns in den verschiedenen Wirbelthierklassen nehmen die genannten Hirnabschnitte immer mehr an Größe und Ausbildung (doch nicht überall und alle im gleichen Maße) zu, das ganze Gehirn wird größer und schwerer, und seine anfangs glatte Oberfläche bekommt Eindrücke, Vertiefungen und wulstige Windungen (durch Faltung in Folge der immer mehr zunehmenden Vergrößerung der Oberfläche), deren Zahl fortwährend wächst, bis endlich das Menschenhirn die ausgeprägtesten und zahlreichsten Windungen besitzt. Von den Fischen an bis zum Menschen herauf wachsen die Hemisphären des großen Gehirns immer mehr nach hinten, und während sie bei den Amphibien noch nicht die Sehhügel, bei den Vögeln noch nicht die Vierhügel, bei den Säugethieren noch nicht das kleine Gehirn bedecken, überragen sie beim Menschen sogar das letztere.

Bei den Fischen (s. Fig. VII. VIII.) und Amphibien (s. Fig. VI.) ist das Gehirn vom Rückenmarke noch nicht sehr scharf abgegrenzt und in seiner Lage nur als eine Verlängerung des letzteren zu betrachten. Bei den Fischen füllt das Gehirn die Schädelhöhle meist nur zum kleinsten Theile aus und besteht hauptsächlich aus einem Vorder- und Hinterhirn, während das Zwischen- und Mittelhirn, was bei den Amphibien (Frösche, Kröten) schon weit deutlicher ausgedrückt ist, sich nur schwach entwickelt zeigt. In beiden Thierclassen gehen die Riech- und Sehnerven aus lappenähnlichen Anschwellungen hervor. Man könnte auch das Fisch- und Amphibienhirn als eine Reihe von drei Ganglien bezeichnen, welche den drei höheren Sinnen und deren Nerven entsprechen, nämlich dem Hör-, Seh- und Riechsinne das Hinter-, Mittel- und Vorderhirn. – Schon viel bedeutender sind die Veränderungen am Gehirne der Reptilien (Schildkröten, Eidechsen, Schlangen, Krokodile), denn die beiden Hälften (Hemisphären) des Vorderhirns stellen ziemlich beträchtliche Anschwellungen vor, das Zwischen- und Mittelhirn bilden sich immer mehr zu den Seh- und Vierhügeln um, während das kleine Gehirn sehr verschiedene Grade der Entwickelung zeigt.

Bei den Vögeln (s. Fig. V.) sind die Veränderungen, welche am Reptiliengehirn auftraten, noch weit auffälliger, bis endlich bei den Säugethieren (s. Fig. II. III. IV.) das große oder Vorderhirn weit über die übrigen Hirnabtheilungen überwiegt, sich besonders nach hinten (durch Hinterlappen) vergrößert und so das Mittel- und selbst zum Theil das kleine Gehirn bedeckt. Bei sehr vielen Säugethieren ist das große Gehirn noch mit glatter Oberfläche, während sich bei andern eine geringere oder größere Anzahl von Vertiefungen und Windungen wahrnehmen läßt. Uebrigens sind auch die andern Abschnitte des Gehirns in ihrer Entwickelung bedeutend vorgeschritten.

Was die darmähnlichen, durch Furchen getrennten Windungen an der Außenfläche des großen Gehirns betrifft, so entstehen diese dadurch, daß die an Umfang zunehmende Oberfläche des Hirns sich in die Länge und Breite auszudehnen durch die Schädelkapsel gehindert ist und sich deshalb in Falten zu legen gezwungen wird (wie bei einer Krause). Da nun die Rinde des Gehirns aus grauer, vorzugsweise von Nervenzellen gebildeter Nervensubstanz besteht, so wird bei dieser Faltung auch die graue, hauptsächlich die geistige Hirnthätigkeit vermittelnde Neurine an Masse zunehmen müssen. Daraus folgt nun aber, daß der Mechanismus der geistigen Thätigkeit um so vollkommner zu schätzen ist, je tiefer und zahlreicher die Hirnfurchen, je geschlängelter, zahlreicher und gewölbter die Hirnwindungen und je dicker die graue Hirnrinde ist. ! Blödsinnige haben, wie die Thiere, flache, sparsame und grobe Windungen, dagegen geistreiche Racen, Völker und Personen zahlreiche und tiefe Hirnfurchen. Der Mensch hat überhaupt mehr und unregelmäßigere Windungen und tiefere Furchen als irgend ein Thier. Uebrigens ist der Satz, daß die Zahl und Ausbildung der Windungen und Furchen des großen Gehirns im Verhältniß zu den Geisteskräften eines Thieres steht, auf die Thiere einer und derselben Ordnung zu beschränken, weil jede Ordnung einen eigenthümlichen Typus mit einer den verschiedenen Species entsprechenden Stufenleiter besitzt. So hat Fuchs und Wolf unvollkommnere Windungen als der Hund, die Katze unvollkommnere als der Löwe, der Ochs und das Schaf unvollkommnere als das Pferd, der Neger unvollkommnere als der Kaukasier.

Es lehrt nun ferner die Erfahrung, daß, wo bei einem Individuum die graue Rindensubstanz (das peripherische Grau)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_156.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)