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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

über die graue Nervenmasse in den Centraltheilen des Gehirns (im Streifen-, Seh- und Vierhügel) überwiegt, die geistigen Vermögen vorherrschen; daß dagegen da, wo das Centralgrau reichlicher vorhanden, die niederen, mehr körperlichen Funktionen die höheren Vermögen des Geistes beherrschen. Je höher ein Säugethier hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten steht, desto mehr steigt das Uebergewicht des Rindengrau (der Hemisphären) über das Centralgrau (des Streifen-, Seh- und Vierhügels). Ein an Windungen armes Gehirn kann daher, wenn in ihm nur das peripherische Grau über das centrale überwiegt, geistig doch höher stehen als ein mit vielen und ausgearbeiteten Windungen versehenes Gehirn, wenn dieses mehr Central- als Rindengrau enthält. So besitzt z. B. der mit großen geistigen Fähigkeiten begabte Hund weit weniger Windungen an der Oberfläche des großen Gehirns als das geistesarme Schaf, dafür aber viel mehr Rindengrau als dieses. So sind überhaupt die Wiederkäuer, welche in geistiger Hinsicht tiefer stehen als die Fleischfresser, mit mehr Centralgrau, diese besser mit Rindengrau bedacht. Während beim Menschen das Centralgrau kaum gegen 5% ausmacht, beträgt es beim Affen schon 8%, beim Hunde bereits 11%, bei der Katze, dem Pferde und Kalbe 13%, ja beim Schafe 14–15%. Das Gehirn des Orang-Outang und Chimpansen nähert sich hinsichtlich der Menge und Anordnung seiner Windungen und hinsichtlich seines Gehaltes an Rindengrau am meisten dem des Menschen.

Das menschliche Gehirn (s. Fig. Ia. Ib. Ic.) hat eine Vollkommenheit erreicht, wie sich in keinem andern Wesen der gegenwärtigen Schöpfungswelt zeigt, und von dieser Vollkommenheit hängt denn nun das geistige Uebergewicht des Menschen über die Thiere ab. Vor Allem ist es aber das große Gehirn mit seinen zahlreichen Windungen und seinem reichlichen Rindengrau, welches durch die starke Ausdehnung seiner Hemisphären nach hinten die mächtigste Ausbildung wahrnehmen läßt. Uebrigens geht die erste Bildung des menschlichen Gehirns auf ähnliche Weise, wie vorher bei den höheren Wirbelthieren angegeben wurde, aus drei Blasen vor sich, und aus diesen entwickeln sich als die Hauptabschnitte des Menschenhirns: das große, kleine und Mittelgehirn mit den Seh- und Vierhügeln, so wie das verlängerte Mark, welches sich dann nach unten in das Rückenmark fortsetzt. (Ueber den Bau, die Thätigkeit und Pflege des Menschen-Gehirns später.)

Bock.




Der erste Globenverfertiger.
Von L. O.

Unter allen Städten des deutschen Reiches ragt Nürnberg, die freie Reichsstadt, im Mittelalter am weitesten hervor durch die Bildung und den Kunstsinn seiner Bewohner, durch seine Industrie und seinen Welthandel und durch die Institutionen, womit es sich selbst zu schützen verstand, sowohl gegen fürstliche Anmaßungen, als gegen die Frechheiten der umwohnenden Raubritter. Schon seit 1219 war Nürnberg zur freien Reichsstadt erhoben worden, und eine Urkunde Kaiser Friedrich II. befestigte ihr das Recht, keine anderen Schutzherren zu haben, als die römischen Könige und Kaiser. Eben so hatte sie das Recht, sich nach einer selbstgewählten republikanischen Verfassung selbst zu regieren, und verdankt dieser, gleich anderen Städten des Mittelalters, ihre Blüthe. Die Stadt hatte über 100,000 Einwohner und herrschte über ein Gebiet von 25–30 Quadratmeilen.

Diese an regem Eifer auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft, des Handels und der Industrie so reiche Stadt, deren Bewohner Jahrhunderte hindurch „die Unverdrossenen“ hießen und von der das Sprüchlein lautete:

„Nürnberger Hand
Geht durch’s ganze Land,“

war auch die Vaterstadt eines Mannes, der eng mit jener großen Epoche verflochten ist, die den Ausgang des Mittelalters bezeichnet, und dessen Name oft zu nennen vergessen wird, wo man die portugiesischen, spanischen und italienischen Namen jener kühnen Seefahrer nennt, denen doch der deutsche Mann der Wissenschaft Martin Behaim ein ebenbürtiger Genosse war.

In der Mitte von zwei gänzlich verschiedenen Bildungsstufen sehen wir im fünfzehnten Jahrhundert gleichsam eine Zwischenwelt, die zugleich dem Mittelalter und der neueren Zeit angehört. Das fünfzehnte Jahrhundert ist das Zeitalter hervorstechender Entdeckungen in dem Raume, neuer Wege, die den Verbindungen der Völker dargeboten wurden. Wenn für die Bewohner unseres alten Europa dies Jahrhundert einerseits, wie Alexander von Humboldt sagt, die Werke der Schöpfung verdoppelt hat, so läßt sich von der andern Seite nicht leugnen, daß die nähere Berührung mit einer so großen Masse von neuen Gegenständen mächtige Triebfedern den Verstandeskräften darbot und fast unmerklich Meinungen, Gesetze und staatsrechtliche Verhältnisse der Völker durchgreifenderen Veränderungen unterwarf. Niemals hat eine rein die Körperwelt betreffende Entdeckung durch Erweiterung des Gesichtskreises eine größere und dauerndere Veränderung in geistiger Beziehung hervorgerufen, als die, durch welche der Schleier gehoben ward, hinter welchem Jahrtausende hindurch die andere Hälfte der Erdkugel verborgen gelegen hatte – und wir wollen es nicht vergessen, daß es auch eine deutsche Hand war, die diesen Schleier mit heben half!

Das Verdienst des großen Columbus wird nicht im Geringsten geschmälert – so dürfen wir mit Alexander von Humboldt weiter sagen, der auch dem deutschen Landsmann zu seinem Recht verholfen hat – wenn man an jenen Zusammenhang von Meinungen und Vermuthungen erinnert, welche man, von den Kosmographen des Alterthums an bis zum Schlusse des funfzehnten Jahrhunderts, trotz der angeblich allgemeinen Finsterniß, die das ganze Mittelalter bedeckt haben soll, wahrnimmt. Diese Finsterniß erstreckte und verbreitete sich allerdings über die Massen, aber in den Klöstern und gelehrten Schulen bewahrten Einzelne die Ueberlieferungen des Alterthums. In jeder einzelnen Epoche des Völkerlebens erkennt man, daß Alles, was mit den Fortschritten der Vernunft, mit der Vervollkommnung der Intelligenz im Zusammenhange steht, tiefe Wurzeln in den vorhergehenden Jahrhunderten hat; die Eintheilung in Zeitalter führt oft zur Trennung von Erscheinungen und Thatsachen, die durch gegenseitige Verkettung in Verbindung stehen. Oft haben in einzelnen hervorragenden Geistern große Ideen inmitten einer scheinbaren Unthätigkeit gekeimt – und im Verlauf einer ununterbrochenen, aber gleichsam auf einen geringen Raum beschränkten geistigen Entwickelung verdanken oft die merkwürdigsten Entdeckungen fernen und kaum bemerkten Anregungen ihren Ursprung.

Martin Behaim und Christoph Columbus wurden in demselben Jahre 1436 geboren und starben Beide im Jahre 1506.

Zu den rathsfähigen Geschlechtern von Nürnberg gehörte auch das der Behaim, obwohl es nicht aus Nürnberg selbst stammte. Es war das altadelige Geschlecht der Herren von Schwarzbach, die in Böhmen, im Kreise Pilsen, an der Schwarza wohnten. Die Familie hatte sich schon vor länger als einem Jahrhundert um der Religion willen aus Böhmen nach Nürnberg gewendet und führte seitdem den Namen Behaim von Schwarzbach, ja, der letztere ward bald ganz weggelassen. Bereits war ein Meistersänger, Michel Behaim, diesem Geschlecht entsprossen, dessen meisten Söhne aber Kaufleute waren. Auch die erste deutsche Uebersetzung der Bibel ward von einem Matthias Behaim 1343 angefertigt und befindet sich noch heute in der Bibliothek des Paulinercollegiums zu Leipzig. Die Behaim besaßen mehrere Häuser in Nürnberg, noch heute zeigt man das in der Zistelgasse, in dem wahrscheinlich Martin geboren ward. Anfangs ward er dem Handelsstande bestimmt, aber die nur kaufmännischen Rechnungen erweiterten sich ihm zu mathematischen, und er beschäftigte sich um so mehr mit dieser Wissenschaft, als in Nürnberg dergleichen Instrumente von kunstfleißigen Händen am besten gefertigt wurden. 1457 reiste er nach Venedig in Geschäften des Tuch- und Specerei-Handels, den schon seine Vorfahren, Albrecht und Fritz Behaim, dahin getrieben hatten. In Venedig eröffnete sich ihm eine neue wunderbare Welt! Er sah zum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_158.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)