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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Du vergäßest nicht, was Deine brave Mutter Dir gesagt hat, und was Du ihr versprochen hast.“

Ein vollständiger Egoist war er doch noch nicht! Er fuhr in der auf ihn wartenden Equipage fort und der weiße Planwagen war unterdeß dem Postwagen zuvorgekommen, welcher sich jedoch in eben diesem Augenblicke wieder in Bewegung setzte. Der junge Lieutenant träumte, während sich die Sonne glanzvoll ihrem Untergange zuneigte und nun konnte der geheimnißvolle, wichtige Tuchhändler wieder erzählen von dem Schinderhannes und Damian Hassel, von dem schönen Karl, der neugeborne Kinder braten ließ, um sogenannte Schlaflichter zu bekommen, durch die er sich unsichtbar machen könne, und von seiner schönen Geliebten, Louise Delitz, die aber doch Beide zuletzt gefangen und – „Hm, was ist denn das?“ rief er auf einmal erschrocken.

Es war schon lange finster geworden, der Wagen fuhr bereits seit einer Weile in dem gefürchteten Walde, und die Finsterniß war zwischen den hohen, dichten Bäumen noch dunkler geworden, zumal da der ordinaire Postwagen keine Laternen führte.

Der Ausruf des Tuchhändlers hatte auch die Bauern erschrocken gemacht.

Sie hatten alle Drei nicht eben Courage genug, aus dem Wagen zu blicken; der Lieutenant Fritz von Horst jedoch hatte unterdeß schon mehr Muth gehabt, und dieser war belohnt worden, indem er ein paar glänzende, schwarze Augen sah, die ihm so einladend, so bittend entgegenblickten.

Der weiße Planwagen war von dem Postwagen wieder eingeholt worden und hielt mitten im Wege. Es schien ihm ein Unfall begegnet zu sein, denn der Kutscher war nicht auf seinem Bocke, sondern suchte mit einer Laterne am Wagen herum; der einladende, bittende Blick der jungen Dame war zugleich ein ängstlicher.

„Halt, Postillon,“ rief eilig der Lieutenant, worauf der Postillon hielt.

Fritz von Horst sprang aus dem Wagen und eilte zu der jungen Dame in dem dastehenden Planwagen. „Bedürfen Sie meiner Hülfe, verehrte Dame?“ frug er artig.

„O mein Herr, wie gütig sind Sie!“ entgegnete ihm kindlich erfreut eine Engelsstimme, „unser Kutscher hat den Hemmschuh verloren und muß umkehren, ihn zu suchen, während wir allein hier bleiben müssen, ganz allein, mitten im dunkeln Walde!“

Die schönen Augen der Dame sahen den Lieutenant dabei so liebevoll an, die schwarzen Locken waren so reizend, und sie hatte in ihrer Angst vergessen, den rothen Shawl zuzuziehen, unter welchem die schönsten Schultern der Welt verborgen waren – und der junge Gardelieutenant sah sie jetzt voll in dem Scheine der Laterne, die der Kutscher, gewiß zufällig, gerade nach ihm hinhielt.

„Mein Fräulein,“ rief er, „ich bleibe bei Ihnen, so lange Sie befehlen.“

„Wir werden Sie nur wenige Minuten belästigen,“ antwortete die junge Dame.

Der Schirrmeister wollte Einwendungen machen, aber auch der alte Geistliche hatte aus dem Postwagen gesehen. „Herr Conducteur,“ rief er mit einer milden und zugleich seinem würdigen Aussehen entsprechenden Stimme, „Sie werden gewiß einen Act der Nächstenliebe hier ausüben dürfen.“ Er imponirte selbst dem Postbeamten.

„Auf ein paar Minuten denn,“ sagte der Eonducteur.

Der Geistliche warf ihm einen still dankenden, dem menschenfreundlichen Lieutenant aber einen väterlich wohlwollenden Blick zu, während sich die junge schöne Dame im Planwagen dafür mit kindlicher Dankbarkeit gegen den alten Geistlichen verneigte; der Kutscher ging indeß mit seiner Laterne zurück, um den verlorenen Hemmschuh aufzusuchen. Bevor er jedoch die beiden Wagen in völliger Dunkelheit ließ, hätte man noch einen sonderbaren Blick sehen können, mit welchem der Geistliche die Aeußerung der Dankbarkeit der Dame erwiderte, und unmittelbar darauf ein feines, spöttisches Lächeln, mit welchem er den neben ihr stehenden Lieutenant maß.

Fritz von Horst hatte unterdeß weiter in das Innere des Planwagens zu blicken gesucht; allein die Laterne war nur einen Augenblick da, die Leinwanddecke über dem Wagen war dicht, und er hatte daher wieder nichts gesehen, als die junge Dame in ihrer Schönheit. Das war freilich fatal, zumal für einen leichtsinnigen Gardelieutenant, um so mehr fatal, je schöner die Dame war.

Wer und was konnte nicht noch Allein dem Wagen sich befinden und lauern? Ein strenger Vater, ein bärbeißiger Bruder, ein eifersüchtiger Liebhaber gar. Allein ein junger Gardelieutenant darf nie verlegen werden, weder in der Schlacht – wenn er vielleicht einmal in eine solche kommen sollte – noch in Abenteuern, in die er oft hineinkommt. Auch Fritz von Horst war es nicht und sagte: „Erlauben Sie, mein Fräulein, der Abend ist kühl, Sie könnten sich erkälten.“

Der Abend war freilich auch dunkel, aber der Lieutenant der Garde schien bezüglich der Toilette einer Dame Erfahrung zu haben. Seine Hände hatten den Shawl der Dame erfaßt, um ihn etwas fester über die schönen weißen Schultern zu ziehen, allein sie mußten in demselben Augenblicke heftig zurückfahren, da aus dem Wagen etwas hervorkam, was den jungen Lieutenant zu entsetzen schien. Unmittelbar hinter der Dame schrie ein kleines Kind auf, ein kleines, unschuldiges Kind, welches, wenn es auch noch kein Jahr alt, doch zu solchen Lagen eine verzweifelt unangenehme Zulage ist.

„Ah!“ rief der Lieutenant.

„Schlafe, mein Engelchen,“ sagte die Dame schmeichelnd und wickelte sich dabei selbst in ihren Shawl und beugte sich zu dem Kinde zurück.

„Ein Satan ist das Engelchen,“ fluchte der Lieutenant ingrimmig in sich hinein. In diesem Augenblicke kam auch der Kutscher schon wieder zurück, der den Hemmschuh nicht weit vom Wagen gefunden hatte und ihn sogleich wieder an seinen Platz brachte.

„Mein Herr, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar,“ wandte sich die Dame von dem Kinde höflich an den jungen Mann zurück.

„Eingestiegen!“ commandirte der Schirrmeister, und der Lieutenant mußte wieder in den Postwagen steigen, ohne daß er nur noch einen Blick aus den schönen Augen der Dame erhäschen oder selbst einen solchen in den Planwagen werfen konnte, um zu wissen, wer außer dieser schönen Dame und dem schreienden Kinde sich darin befinde. Der Postwagen fuhr weiter und gleich darauf der Planwagen wieder an ihm vorbei; beide tiefer in Wald und Nacht hinein. Der Tuchhändler erzählte nun nach dieser kurzen Unterbrechung den beiden Bauern weiter: „Ja, der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Der schöne Karl wurde im Jahre 1810 zu Magdeburg mit dem Schwerte hingerichtet, und die schöne Louise Delitz verbrannten sie gar im Jahre 1811 öffentlich auf dem Markte zu Berlin; allein die Räuberbanden und die großen Räuberhauptleute sind damit nicht ausgegangen. Jetzt ist wieder die Rosenthal’sche Bande da – habt Ihr nichts von ihrem Anführer Rosenthal gehört?“

Die Bauern verneinten, und der Tuchmacher erzählte weiter grausige Geschichten, bis die tiefe dunkle Waldfinsterniß, in welcher der Postwagen seit der letzten halben Stunde gefahren war, auf einmal durch mehrere Lichter erhellt wurde. Der Schein kam aus den Fenstern eines Hauses, das etwa zwanzig Schritte von der Landstraße entfernt unter Bäumen stand. En war die einsame Waldschenke, von der die Bauern gesprochen, die sie als dss einzige Haus des Waldes bezeichnet hatten. Der Postwagen hielt, aber mitten auf der Landstraße, und der Schirrmeister ladete nicht zum Aussteigen ein. Der Aufenthalt mußte also kein langer sein sollen. Allein auch eine Minute kann Abenteuer bringen.

Der junge Gardelieutenant sah aus dem Wagen. Dicht vor dem Hause hielt ein Fuhrwerk; der weiße Planwagen glänzte hell in den Lichtern der Schenke. Ein rother Shawl war zwar nicht zu sehen, und schwarze Locken hätte man in dem Abenddunkel wohl nicht sehen können, wenn die Lichter auch noch einmal so hell gebrannt hätten. Fritz von Horst mußte dennoch die Berechnung machen, wo der weiße Planwagen sei, da werde auch die schöne Dame mit den schwarzen Locken und dem rothen Shawl nicht fern sein. Mit einem Sprunge war er zum Wagen hinaus.

Während er hinaussprang, regte sich auch der alte Geistliche, und er wandte sich an den jungen Lieutenant. „Mein lieber Herr,“ sagte er mit seiner milden Stimme, „dürfte ich Ihre Güte in Anspruch nehmen?“

„Was wünschen Sie, mein Herr?“

„Ich möchte hier gleichfalls aussteigen. Das hat aber bei diesem Wagen seine Schwierigkeiten für einen alten Mann, wie ich bin; das lange Fahren hat mich zudem müde gemacht. Dürfte ich Sie um Ihren Arm bitten?“

„Sehr gern,“ erwiverte der junge Lieutenant, und er hob zuvorkommend und hülfreich den alten Mann aus dem Wagen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_162.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)