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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ernsthaft angehalten wurde, als zum Tanz. Aber meine Phantasie war schon damals sehr angeregt. Meine Thätigkeit sowohl, wie der häufige Besuch des Theaters, regte mich zu allerlei phantastischen Spielen an. Ich suchte mir allerhand bunte Lappen und sonstigen glänzenden Theaterschmuck zu verschaffen, schlich damit auf den Boden unseres Hauses, aus dessen Hinterfenster man die Aussicht auf den Dammthor-Wall hatte, behängte mich nach Möglichkeit mit meinen bunten Herrlichkeiten und führte dann selbsterfundene Monologe oder auch ganze Stücke auf, die ich mit lauter Stimme vortrug. Häufig wurde dadurch mein Aufenthalt verrathen, und ich wurde auf’s Unsanfteste aus meiner Begeisterung geweckt, indem man mich in die Kinderstube zurückjagte.

„Besonders war es die Jungfrau von Orleans, die mich begeisterte. Da wurde von Papier ein Panzer und ein Helm fabricirt, irgend ein Stock, woran ein Tuch befestigt war, diente als Fahne, ein zweiter Stock als Schwert, und so ausgerüstet ging es in die Schlacht. Vermochte ich meinen Gefühlen keinen Ausdruck zu geben, so versank ich in träumerisches Hinbrüten, saß oft stundenlang in einer Ecke des Bodens hingekauert, die Ellenbogen auf eie Kniee gestützt, den Kopf in die Hände gedrückt – und dichtete.

„Wie schon erwähnt, hatte man aus dem Hinterfenster des Hauses den freien Blick auf den Wall. Einen Morgens gingen Vater, Mutter, Geschwister und Mägde auf den Boden, um die Freiwilligen zu sehen, die sich auf dem Dammthor-Walle zum Abmarsch versammelt hatten. Der deutsche Freiheitskrieg begann, und wer nur einen Tornister, einen Säbel tragen konnte, zog hin, Blut und Leben für Gott und Vaterland zu lassen.

„Unter dieser begeisterten Schaar waren Knaben von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Einer derselben, der Sohn eines Schauspielers, mit dem mein Vater häufig verkehrte, war lange Zeit unser Spielkamerad gewesen. Ich war die Erste, die unsern jungen Freund in seiner kriegerischen Rüstung entdeckte, rief ihn bei seinem Namen und er nickte freundlich zu uns herauf. Erst wußte ich nicht, was vorging; als aber das Commandowort zum Abmarsch gegeben wurde, der Zug sich in Bewegung setzte und Väter, Mütter, Schwestern und Brüder laut weinend nebenher gingen, fragte ich meinen Vater: „Wohin geht der Ludwig?“ – „In die Schlacht,“ gab er mir zur Antwort. Da starrte ich ihn an, wie vom Donner, gerührt, schrie endlich laut auf: „Ich will mit!“ und machte Miene, mein Vorhaben auszuführen. Natürlich wurde ich mit Gewalt zurückgehalten, und da ich keine Möglichkeit sah, fortzukommen, warf ich mich heulend zur Erde, tobte und schrie, und war durch nichts zu beruhigen. Tagelang war ich wie vernichtet, schlich immer auf den Boden und stand da, mit dem Kopfe an’s Fenster gelehnt und schaute nach der Himmelsgegend, wo mein junger Spielkamerad verschwunden war. Nun spielte ich erst recht Jungfrau von Orleans, und mein Papierhelm kam kaum von meinem Kopfe, mein hölzernes Schwert kaum von meiner Seite.

„Das Kriegsgetümmel, unter welchem Hamburg damals litt, sollte auch auf das Schicksal meiner Eltern einen entscheidenden Einfluß haben. Während der Besetzung der Stadt durch General Tettenborn hatte meine Mutter in dem Gelegenheitsstück „die Russen in Deutschland“ eine russische Kokarde auf der Brust getragen. Als darauf Davoust einrückte, verlangte er, daß nun mit der französischen Kokarde gespielt würde. Meine Mutter zögerte lange, diesem Befehl zu gehorchen, und als sie nicht mehr ausweichen konnte, erschien sie – zum Gelächter des ganzen Publikums – mit einer tellergroßen blau-weiß-rothen Kokarde. Sie wurde in Anklagestand versetzt und sollte als Gefangene nach Frankreich geschleppt werden. Wir mußten flüchten, und ich erinnere mich, daß meine größte Sorge war, die Franzosen könnten mir meine Puppe wegnehmen, weshalb ich sie auf’s Aengstlichste unter meiner Schürze verbarg.

„Inmitten der Kriegsunruhen zogen meine Eltern nun mit vier kleinen Kindern einer ungewissen Zukunft entgegen. Sie zogen erst durch Norddeutschland, gingen später an den Rhein, kamen nach Frankfurt und machten die Schrecknisse der Schlacht von Hanau mit. Dann wendeten sie sich nach Prag, und hier wurde ihnen endlich wieder – unter Liebich – ein längeres Engagement zu Theil. Auf allen diesen Streifereien mußte ich und meine jüngere Schwester Betty, die in den letzten Jahren auch tanzen gelernt hatte, durch unsere kleinen Sprünge das tägliche Brod verdienen helfen. Damit mag es übrigens zu dieser Zeit knapp genug bestellt gewesen sein, denn meine Eltern hatten auch in Hamburg nur geringe Gage bezogen. Damals bekamen die ausgezeichnetsten Künstler nicht so viel, wie jetzt die größte Mittelmäßigkeit.

„So kamen wir unter mancherlei Beschwerden und immer von Kriegsgetümmel begleitet nach Prag, wo meine Eltern mehrere Jahre blieben und von wo aus sich hauptsächlich der Künstlerruhm meiner Mutter verbreitete. Wir Kinder wurden dem Kinderballet beigegeben, das damals unter einer Madam Horschelt in Prag florirte und später von ihrem Sohne nach Wien verpflanzt wurde. Die Rückerinnerung an diese Zeit krampft mir noch heute das Herz zusammen. Wir waren der rohesten Behandlung ausgesetzt, von den schlechtesten Beispielen umgeben und lernten nichts als tanzen und dumme Streiche.

„Aus dieser Zeit taucht die Erinnerung an zwei bedeutende Persönlichkeiten in mir auf: an Karl Maria von Weber, der damals in Prag Kapellmeister und mit seiner späteren Gattin, Caroline Brand – einer ausgezeichneten Darstellerin im Soubrettenfache – verlobt war, und an Rahel Robert, später Varnhagens Frau, die viel mit meiner Mutter verkehrte. Zu meinen liebsten Erinnerungen aus der Kindheit gehört aber die ruhige Zeit, die wir Kinder mit meinem Vater allein verlebten, während meine Mutter nach zweijährigem Aufenthalt in Prag einem Rufe zum Gastspiel in Wien gefolgt war, welches später ein Engagement am Burgtheater nach sich zog. Ich kann nie ohne Rührung daran denken, mit welcher Umsicht, Sorgfalt und Güte sich der Vater unserer körperlichen und geistigen Pflege annahm. Wie oft bin ich mitten in der Nacht davon erwacht, daß er vor unsere Betten kam, um sich von unserem gesunden Schlaf zu überzeugen, und mit welcher milden Festigkeit suchte er unsere Wildheit zu zügeln, uns an Ordnung und Regelmäßigkeit zu gewöhnen! O, wäre mir dieser Vater nicht zu einer Zeit durch den Tod entrissen, wo ich seiner so sehr bedurfte, wie ganz anders wäre es wohl mit mir geworden! Aber eine liebende Hand sollte mir nicht den Lebenspfad ebenen, sondern wie im wilden Strom sollte ich über Klippen und Abgründe dahinjagen – ob Herz und Seele mir oft auch brechen wollten, wie die hochaufschäumenden Wellen.“




Hühnerologie.
(Mit Abbildung.)

Wenn auch obiges Wort vor dem Richterstuhl derer, welche beflissen sind, die an sich so reiche deutsche Sprache von allen fremdartigen Beimischungen zu reinigen, keine Gnade finden dürfte, so hat sich dasselbe doch durch den langjährigen Gebrauch so zu sagen eingebürgert und hat wenigstens den Vorzug, allgemein verständlich zu sein, was man nicht allen in neuerer Zeit in den Sprachverkehr aufgenommenen, rein griechischen Bezeichnungen nachrühmen kann. Der Begriff „Hühnerologie“ könnte füglich nicht anders verdeutscht werden, als durch eine Umschreibung, wie etwa: „auf durch Veredelung zu bewirkende Hebung der Hühnerzucht gerichtete Bestrebungen“, und sowohl der Kürze wegen, als weil der beabsichtigte Zweck in der Praxis häufig durch Kreuzung verschiedener Racen angestellt wird, möchte wohl vor milderen Richtern diese kleine Sprachbenutzung vom Deutschen und Griechischen einer nachsichtigeren Beurtheilung sich zu erfreuen haben.

Die der heutigen Nummer beigefügte vortreffliche Zeichnung gibt eine erwünschte Veranlassung, die im Zeitraum von mehreren Jahren gesammelten Beobachtungen und Erfahrungen auf dem Gebiete der Hühnerologie, mindestens was die hauptsächlichsten Racen betrifft, etwas näher in’s Auge zu fassen. Vor allem sei es gestattet, auf dem so höchst gelungenen Bilde eines der ersten Künstler in diesem Fach betrachtend zu verweilen. Man erkennt sofort, daß dasselbe mit vollständiger Sachkenntniß das Charakteristische der verschiedenen Gattungen auffassend und ganz in das eigenthümliche Leben derselben eingehend entworfen ist.

Im Vordergrund erblickt man eine kleine Zwerghenne mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_170.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)