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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

aber eine Krankheit oft leichter zu verhüten als zu heilen ist, und da mehrfache Beobachtungen ergeben haben, daß hauptsächlich die Veränderung des Wassers nachtheilig einwirkt, möge als Präservativ empfohlen werden, neu angekommenen Hühnern eisenhaltiges Trinkwasser, erzeugt durch rostiges Eisen oder Hammerschlag, eine Zeitlang zu verabreichen.

Die Hühnerzucht bietet des Angenehmen und Nützlichen in Menge dar, in fast allen Classen der Gesellschaft entwickelt sich ein immer regeres Interesse, und die allgemeine Verbreitung edler und veredelter Rassen trägt dem Schönheitssinn wie dem praktischen Nutzen Rechnung.




Zum Tode verurtheilt.
Aus den Erinnerungen eines englischen Gefängniß-Geistlichen.

Ein Menschenleben mag dem Tode noch so nahe, des Todes noch so sicher sein, in der Regel glimmt der Docht schon erloschner Lebenslampe, die Hoffnung, die Möglichkeit der Genesung oder wenigstens noch einiger Tage oder Wochen schweren, schmerzhaften Athmens noch so lange fort, bis der Sterbende im Schlafe ober in glücklicher Unbewußtheit, vielleicht umlächelt von glücklichen Visionen, sein Auge zum letzten Schlummer schließt, ohne es zu wissen. Ja, Mancher lallt noch fieberhaft von alle dem Schönen, was er thun will, sobald er nur erst wieder gesund sei, zu den Umstehenden, bis er endlich vergißt, einen angefangenen Satz neuer Hoffnungen und guter Vorsätze zu vollenden, da er dabei einschlief, um nicht wieder zu erwachen. Insofern hat der natürliche Tod für den Sterbenden nicht die Schrecken, die sich der Gesunde, Lebende wohl gelegentlich einbilden und ausmalen mag. Auch der Soldat, der sich in Kanonendonner, Kugelregen oder Bajonnetenspitzen stürzen muß (in der Regel, um die stupide Laune oder die verbrecherische Anmaßung dieser und jener Diplomaten zu befriedigen), hat erstens die wirre Aufregung der Schlacht und dann zweitens die Hoffnung für sich, daß nicht „jede Kugel apart ihren Mann treffe“ und er ja wohl mit einer Medaille lebendig davon komme und wohl gar hohe polizeiliche Concession bekommen könne, einen Leierkasten zu drehen.

Wir wollen die menschliche Natur nicht unterschätzen und zugeben, daß edle, energische Naturen dem Tode schon Tausende von Malen fest und gefaßt in’s Auge gesehen oder ihm gar entgegengegangen; aber wir sind auch überzeugt, daß die Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen, viel nothwendiger für Ausführung heroischer, todesmuthiger Thaten sei, als der sich gern rühmende Mensch zugeben will. Die großen Thaten, vollbracht mit Lebensgefahr, sind zahllos; – zugegeben. Aber heroische Thaten mit sicher vorausgesehenem, unvermeidlichem Tode, Curtiusthaten, werden ungeheuer selten, wenn man die, wie es psychologisch nothwendig ist, abzieht, welche aus krankhaftem Lebensüberdruß, aus Furcht vor einem sichern, schrecklicheren Tode hervorgingen.

Wir haben das Zeugniß eines englischen Geistlichen, der mehrere Jahrzehnte lang zum Tode verurtheilte Verbrecher religiös für den Galgen weihen mußte, der auf diese Weise Hunderte während der je sechs Tage vor dem sichern Tode zu bearbeiten hatte, und immer vergebens, daß jeder so Verurtheilte bis unter den schmachvollen Querbalken des Galgens immer seine ganze Lebenskraft in die Hoffnung auf eine Begnadigung concentrirte und nur so die unsäglichen Qualen dieser sechs Tage ertrug. – „Obgleich in manchen Fällen,“ erzählt er, „die verurtheilte Person die Gerechtigkeit des Todesurtheils [WS 1] zugab – freilich hab’ ich dabei meine Zweifel in die Ehrlichkeit dieses Zugeständnisses, da es gewöhnlich mit dem Hintergedanken gemacht ward, es werde Mitleiden und Begnadigung erregen – schien es ihr doch immer absolut unglaublich und zu ungeheuerlich, daß Menschen, Mitmenschen mit der Gewalt, ihr das Leben zu retten, es auf eine so scandalöse, den ganzen Staat, die ganze Gesellschaft schändende Art nehmen sollten. Daß die Gefängniß-Behörden, gegen ihn so menschlich, so human, ja oft zuvorkommend (wie gegen jeden definitiv Verurtheilten), daß die Regierung, die Königin und gütige Mutter, die Nation, die christliche Welt es ruhig geschehen lassen könnten, einen Menschen unter das offene Himmelslicht hinauszuführen, in die Mitte einer gaffenden, sich grauenden Menge, um ihn „am Halse aufzuhängen, bis todt“, erscheint ihm nicht nur empörend, sondern auch schlechterdings unbegreiflich, obgleich er weiß, daß Hunderte, Tausende vor ihm auf dieselbe Weise öffentlich umgebracht wurden. Er schließt mit verzweifelter Energie seine Augen dem ihn sicher erwartenden Schicksale, so lang’ er irgend kann, bis zur letzten Nacht, nicht selten bis zu dem Augenblicke, wo er sich unter den „Querbalken“ stellen muß und ihm die baumwollene Mütze über das Gesicht gezogen wird. In den meisten Fällen richtet der Unglückliche seine ganze Energie auf diesen einen unmöglichen Punkt der Begnadigung. Fast immer hatte ich auch guten Grund, an der Ehrlichkeit eines religiösen Bedürfnisses zu zweifeln und ihn vom Leben auf „wichtigere“ Dinge hinzulenken. „Wichtigere?“ denkt er. Was kann es für einen Menschen Wichtigeres geben, als die Frage, ob er nächsten Montag oder Dienstag, morgen, in einer Stunde vielleicht umgebracht werden oder – leben soll?“

So der alte, englische Gefängniß-Geistliche.

An einer andern Stelle heißt es: „Ich fürchte, manche respectable Person in seidener Cravatte, statt mit dem Stricke um den Hals, zu empören, wenn ich die Meinung ausspreche, daß ich diesen Geisteszustand verurtheilter Verbrecher weder unnatürlich, noch tadelnswerth finde. Verbrecher sind fast immer Menschen ohne Erziehung und Schule, ohne Religion und Glauben, ohne Wissen und Sittlichkeit. Die Gesellschaft, der Staat hat sie vernachlässigt („der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen,“ sagt Bettina). Sie dachten nie daran, an ein großes „Jenseits“ zu glauben, an mehr, als die Befriedigung der kurzsichtig nächsten, unmittelbarsten Bedürfnisse und Leidenschaften. Es ist unmöglich, solche Naturen in sechs Tagen zu moralischen Helden und religiös Erhabenen umzuwandeln. Wenn nun außerdem diese Unglücklichen, mit denen wir’s zu thun haben, von einem Alles übertäubenden Schrecken gequält werden, der nur in der wahnsinnigen Hoffnung einer Milderung oder Begnadigung – dieses Irrlichtes – zuweilen auf Augenblicke und Minuten sich mühsam etwas abschwächen läßt, um dann desto furchtbarer wieder durch die Adern zu brennen und grauenhaft um die Ohren zu brausen – so kann man sich die Vergeblichkeit unserer religiösen Arbeit wohl erklären. Ich sage nichts von dem Peinlichen unserer Aufgabe, wie wir den Qualen unserer armen Sünder zusehen müssen, den zitternden Hoffnungen, die kochend auf- und absteigen, um zuletzt erbarmungslos erwürgt zu werden, dem vergeblichen Flattern und den verzweifelten Flügelschlägen des gekäfigten Vogels. Wenn es auf uns Gefängniß-Geistliche ankäme, gäb’s gewiß keine Todesstrafe mehr. Bilde sich Niemand ein, daß der Mörder nach „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ behandelt werde, daß wir ihm thun, wie er Andern gethan. Er sagte es seinem Opfer nicht voraus, daß er nach so und so viel Tagen zu einer bestimmten Stunde unfehlbar sterben müsse; er steckte sein Opfer nicht zu diesem Zweck in eine dunkele, undurchdringliche Zelle und ließ es sorgfältig bewachen Tag und Nacht, daß es nicht entkomme, daß es sich nicht selbst den Tod gebe. Während einer solchen Zeit stirbt der Mörder wohl fünfhundert Tode. Die flüggen, todesmuthigen Helden, welche mit kaltblütiger Ruhe und Tapferkeit sterben, sind eine Fabel, eine Farce, was auch in der letzten Minute des letzten Actes geschehen mag in der Mitte von tausend verbrecherischen oder rohen Massen, welche, wie das Publicum im Theater, etwas ungewöhnlich Ideales, Großartiges, Heroisches von ihm verlangen. Der Gefängnißwärter, immer in seiner Zelle, um Selbstmordversuche zu verhüten und den Helden für das Publicum draußen, das schon früh um drei Uhr anströmt, aufzubewahren, weiß nichts von diesem Heroismus, und obgleich ein „Atheisten-Gelächter“ manchmal statt der „beleidigten Gottheit“ sich geltend macht – kein Mensch allein und ohne diese furchtbare Sympathie des Gefängnißwärters wird Gott herausfordern.

„Ich habe zum Tode verurtheilte Menschen in fast jeder Geistesverfassung kennen gelernt – versunken in stumpfe Gefühllosigkeit der Verzweiflung, ruchlos, wüthend, boshaft und manchmal sogar affectirt witzig (der bei weitem furchtbarste und peinlichste aller Zustände); aber in ihren Zellen, allein mit mir und dem Wärter, war nie Einer wirklich „flügge“, nie Einer dann und wann ohne heimliche oder offene Hoffnung auf Milderung oder Gnade. Ich will blos zwei Fälle, die ich gleichzeitig zu „behandeln“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Todestheils
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_174.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)