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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Unter Steins Leitung arbeitete Arndt mit frischem Eifer; die verwandten Naturen verständigten sich leicht; Beide waren aus demselben Kern geschnitzt, von derselben Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande, von demselben Hasse gegen die Unterdrücker erfüllt. Hier schrieb Arndt „die Glocke der Stunde in drei Zügen“ und den „Soldaten-Katechismus für die deutsche Legion“, der, in tausend Abdrücken verbreitet, manches wackere Kriegsherz stärkte und erfreute. Dazwischen fehlte es nicht an gesellschaftlichen Zerstreuungen, an dem jubelnden Zusammenklang der Becher und Herzen, zumal wenn eine Siegesbotschaft die oft ersterbende Hoffnung wieder anfeuerte. Da jubelten die Männer, und schöne Frauen küßten wohl auch in der Freude ihrer Seele den wackern Deutschen, der so redlich mithalf.

Der Brand Moskau’s, von Rostopschin angezündet, war das Morgenroth der Befreiung, Napoleon trat gezwungen seinen Rückzug an, verfolgt von dem russischen Heere unter Kutusow, das sich der deutschen Grenze zögernd näherte. Jetzt galt es, Preußen und ganz Deutschland mitzureißen und das große Werk zu vollenden. Am 5. Januar 1813 verließ Arndt mit dem Freiherrn von Stein Petersburg, wegen der grimmigen Kälte tief in ihre Pelze gehüllt, aber innerlich vor Freude glühend; sie kehrten ja in das Vaterland zurück, um auch ihm mit Gottes Hülfe die Freiheit zu bringen. Der Schlitten, der sie trug, jagte durch die vom Kriege zerstörten Dörfer und Städte, vorüber an den zerrissenen und vom Frost erstarrten Leichenhaufen der Franzosen, welche zu Tausenden am Wege lagen. Kaum gönnten sie sich so viel Zeit, um dem am Typhus sterbenden Freunde Chazot die fieberheiße Hand zu drücken und eine Thräne ihm nachzuweinen. Aber aus dem Tode und der Zerstörung, vor der ihr fühlendes Herz schauderte, blühte ja ein neues Leben.

(Schluß folgt.)




Der verschmähte Kuß.
Skizze aus dem Leben des Fürsten Blücher.

Im Winter des Jahres 1786 fand in dem Hause eines reichen Privatmannes in Berlin ein glänzender Ball statt. Wie es hieß, wurde er zu Ehren einer jungen Frau gegeben, welche die Flitterwochen ihrer Ehe in Preußens Residenz verlebte und sich vermöge ihrer Schönheit alle Herzen huldigend zu Füßen zog und selbst den Kältesten und Starrsten bezauberte und entzückte.

Frau von R…g, diese gefeierte Dame, war die Tochter eines der reichsten und angesehensten Edelleute Westphalens und seit Kurzem die Frau eines Gutsbesitzers jener Provinz, der ihr an Geburt und Vermögen gleich stand. Sie war glänzend erzogen, hatte stets in der besten und vornehmsten Gesellschaft gelebt, besaß eine blendende, fesselnde Erscheinung und gehörte zu den verwöhntesten Lieblingen des Glücks. Bot ihr Berlin auch vieles Neue, manches Seltene, so doch keine ungewohnte Huldigung! – Alles in jenes Fach Schlagende war der „reichen Erbin“, dem „schönen Mädchen“ von frühester Jugend auf als ein ihr gebührender Tribut dargebracht worden, und stets umgeben gewesen von Verehrern, von Bewunderern, kannte sie nur die Rolle – Königin des Festes zu sein, das sie mit ihrer Gegenwart beglückte. Lange war für sie schon die Zeit vorüber, wo das duftende Aroma der Schmeichelei den Sinn berauscht. Sie hätte nur durch eine fehlende Huldigung überrascht werden können; eine ihr zu Theil werdende Anerkennung vermochte es nicht mehr, sie in Erstaunen zu versetzen. So blickte sie denn mit zwanzig Jahren ruhig in die Welt, gleichgültig auf den dichtesten Kreis der Verehrer. Ihr strahlendes Auge verlor nie den kalten Schein, der selbst den Kecksten und Zudringlichsten in ehrerbietiger Entfernung hielt. Das Feuer dieser mandelförmig geschnittenen, durch lange dunkle Wimpern umschleierten Augen mahnte unwillkürlich an den funkelnden Glanz jener kostbaren Brillanten, die mit diademartigem Schmucke ihr glänzend schwarzes Haar zierten, ihren im zartesten Weiß schimmernden Hals und ihre vollen Arme umschlossen und gleich blendenden Thautropfen auf den Kelchen der Blumen zitterten, mit denen ihr schneeweißes, rauschendes Atlasgewand bedeckt war. Zu dem kalten Strahle dieses Auges paßte vortrefflich die stolze Haltung ihrer großen, schlanken Gestalt. Beides gab ihr einen Ausdruck von Hoheit und Würde, Beides verlieh ihr einen Anflug königlicher Majestät, und mit diesem stand wiederum ihr Wesen, das sehr an „Wir von Gottes Gnaden“ mahnte, im vollendetsten Einklange. Frau von R…g war von der Natur zur Königin geschaffen, und dem Geschicke, das sie nicht auf den ihr anscheinend bestimmten Platz gestellt, kam die gefällige, bewundernde Menschheit zu Hülfe, indem sie der schönen, stolzen Dame wenigstens stets auf Stunden bereitwillig ein Reich zur ausschließlichen Herrschaft eröffnete.

Auch an diesem Abende war Frau von R…g die regierende Königin. Auf ihren Wunsch tanzte man, und war sie ermüdet, schwieg die Musik. Gegen Mitte des Balles hatte sich die schöne, launenhafte Göttin des Festes für eine Stunde den Tanz verbeten. Sie wollte sich unterhalten und wollte ihr klangvolles Organ nicht durch das Getöse der Musik übertönt haben. Etwas ermüdet vom vielen Tanzen, ein wenig abgespannt durch all die Worte, die sie schon tausendfach in ihrem Leben vernommen und welche ihr täglich von ihrer Umgebung variirt wurden, lehnte sie auf purpurrother Ottomane, senkte das leuchtende Auge und zerpflückte mechanisch die vollen Rosen eines prachtvollen Bouquets, das ihr der galante Wirth kurz zuvor dargereicht hatte.

Die Ottomane stand in einer Ecke des Saales, wo zwischen Palmen aus marmornem Bassin duftende Essenzen aufstiegen und mit leisem Plätschern in die Fluth von Aroma zurückfielen. Eine der mächtigsten Palmen, eine herrliche Bambusa arundina, überschattete laubenartig die Ottomane und den Platz, wo die schöne Frau saß. In leuchtender Schönheit trat ihre lichte, glänzende Erscheinung aus dem leichten Halbdunkel hervor, das diese Stelle des Saales umhüllte. Bewundernd hing gar mancher Blick an diesem seltenen Bilde, und seine außergewöhnliche Schönheit fesselte auch plötzlich mit magnetischer Gewalt ein Auge, das mehrere Secunden prüfend über die versammelte Gesellschaft fortgeglitten und an keiner der anwesenden Erscheinungen haften geblieben war.

Die magnetische Gewalt schien rückwirkend zu sein. Der gesenkte Blick Frau von R…g’s hob sich unter dem fest und forschend auf ihr ruhenden Auge und begegnete einer Gestalt, die sie schon einmal gesehen, die ihr schon einmal imponirt hatte und auch jetzt nicht verfehlte, einen vortheilhaften Eindruck auf sie zu machen. Es war die hohe muskulöse Figur eines Mannes von ungefähr vierzig Jahren, der in seinem Anstande etwas Kühnes, Freies und Majestätisches besaß. Diesen Ausdruck verrieth auch jeder Zug des bedeutenden Gesichts. Es war ein so charaktervolles, so schönes Antlitz, wie Frau von R…g sich nicht erinnerte, je gesehen zu haben. Indem sie all die Vorzüge jenes in der Thüre des Nebenzimmers lehnenden Herrn anerkannte und mit dem flüchtigsten Blick überschaute, daß sich ihr eine außergewöhnliche Erscheinung zeigte, durchkreuzte der Gedanke ihren Sinn, daß diese ihr Achtung und Interesse einflößende Persönlichkeit versäumt hatte, sich ihr vorzustellen, und bis jetzt noch nicht durch das kleinste Zeichen verrathen, daß sie die Macht ihrer Reize anerkenne.

Diese plötzliche Ueberzeugung bestürmte die verwöhnte Dame so überwältigend, daß ihr Mißmuth über die bisherige Vernachlässigung sie nicht bemerken ließ, daß derjenige, der bisher ungerührt durch ihre Schönheit geblieben, sie jetzt anerkannte und bereit schien, seinen Fehler auf glänzende Weise wieder gut zu machen.

Bei der unangenehmen Erkenntniß, daß die unstreitig bedeutendste Persönlichkeit der Gesellschaft keine Notiz von ihrem Dasein genommen, legte sich ein tiefes brennendes Roth über das Antlitz der jungen Freifrau. Ihr funkelndes Auge senkte sich von Neuem und die feinen Lippen zuckten unmuthig, als sie mit einer Gebehrde heftiger Erregung den letzten Rest ihres schönen Rosenbouquets zerstörte.

Das scharfe Auge des Beobachters gewahrte nicht allein das Erröthen, das stolze Zurückwerfen jenes herrlichen Kopfes, das an Mitleid und Verachtung streifende Lächeln und die Gebehrde des Unmuths – er errieth den Grund all dieser unwillkürlichen Bewegungen. – Ein Lächeln ganz verschiedener Art umspielte die Lippen seines feingeschnittenen Mundes – es war das des genauen Kenners weiblicher Schwäche! – Flüchtig strich er mit seiner wohlgeformten Hand den etwas lang herabhängenden Schnurrbart, warf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_190.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)