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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

noch 200 Louisd’or, wagte diese an einen einzigen Wurf – gewann, bog Paroli und gewann wieder.

„Nun hören Sie aber auf, Gnädigste!“ rief der Rittmeister lachend, indem er der todtenblassen, entsetzlich erregten jungen Frau die gewonnenen 600 Louisd’or überreichte.

„Nein, o nein, ich höre nicht auf, ich spiele jetzt weiter!“ rief sie lebhaft und setzte die Hälfte des Goldes auf ein Coeur-Aß.

„Sie sind zu aufgeregt, gnädigste Frau, zu leidenschaftlich!“

„Was thut das?“

„Sie werden verlieren!“

„Weiter nichts?“

„Ist das nicht genug?“

„Nein, ich bin zu reich, um mich ruiniren zu können.“

„Sie sind aber Dame, und – ein Verlust wird Sie ärgern.“

„Wollen wir es abwarten, Herr Rittmeister?“

„Ich stehe zu Befehl, Frau Baronin!“ erwiderte er mit verbindlichem Lächeln.

Das Spiel begann von Neuem, Beide spielten allein. Kein Anderer setzte und alle Umstehenden blickten mit Interesse auf die schöne Frau, die, je länger sie pointirte, immer größere Summen wagte und kaum den Verlust und Gewinn mehr zu unterscheiden schien. Sie gerieth von Moment zu Moment mehr in Leidenschaft. Ihre Augen glühten, ihre Wangen brannten, ihr ganzes Wesen erlitt die auffallendste Veränderung und verrieth eine convulsivische Erregung. Spurlos ging es an ihr vorüber, was sich in ihrer nächsten Nähe ereignete[WS 1]. Sie sah nicht, daß Einzelne den Spieltisch verließen, Andere kamen; sie bemerkte nicht die Anwesenheit ihres Mannes, der sie erstaunt und lächelnd betrachtete und dann leise seinen Rückzug nahm; sie befolgte nicht die Warnungen ihres Gegners, griff nur mechanisch nach dem Golde, das er ihr borgte, setzte, ohne zu zählen, verlor, ohne es zu beachten.

Das Glück, das anfangs wechselnd gewesen, sich bald dem Herrn, bald der Dame zugeneigt hatte, floh im Verlaufe des Spiels die junge Frau vollständig und blieb dem Rittmeister treu.

„Wie viel habe ich jetzt verloren?“ fragte Frau von R…g nach ungefähr einer Stunde und lehnte sich, tief Athem holend, gegen ihren Stuhl zurück.

Man berechnete die Summen. Sie hatte nah an 20,000 Thaler verloren. Ueber ihr jetzt bleiches Gesicht glitt kein Ausdruck der Ueberraschung. Lachend rief sie: „Ihr Geld, Herr von Blücher, hat mir kein Glück gebracht! darf ich einmal mit meinem Eigenthum spielen?“ Sie streifte bei diesen Worten eins ihrer kostbaren Brillantarmbänder ab und legte es auf eine Karte. Der Rittmeister von Blücher widersetzte sich ihrem Vorhaben auf das Entschiedenste. Sie bestand mit Beharrlichkeit auf ihrem Willen. Scherzend entgegnete er: „Ich sagte es Ihnen bereits vorhin, gnädigste Frau, das Glück kann Ihnen im Spiele nicht hold sein, denn es hat Sie zu seinem Lieblinge in der Liebe erwählt. Sie brechen zu viele Herzen, und Solchen bringen die Karten nie Segen!“

„Versuchen wir es noch einmal, Herr von Blücher!“ bat die schöne Frau mit einem Blick, dem der einst so tapfere Krieger nicht zu widerstehen vermochte und vor dem der spätere kühne Held, dessen Losung das „Vorwärts“ war, erbebend zurückwich.

Er nahm den kostbaren Satz an, und die Hand, die in dem Augenblick die Karten umschlug, zitterte leicht.

Dem einen Armbande folgte das andere, das Frau von R…g ebenfalls abstreifte; dann deutete sie auf ihr Collier. Herr von Blücher zögerte. – Noch ein bedeutungsvoller Blick, und er wurde abermals gezwungen. – Dem Collier folgte das Diadem, diesem Knöpfe, Nadeln, Spangen, und nach zehn bis fünfzehn Minuten besaß sie nur noch die Diamanten, die als Thautropfen an den Blumen ihres Kleides glänzten.

„Jetzt ist’s genug!“ sagte sie leise und erhob sich langsam von ihrem Stuhle.

Der Rittmeister sprang lebhaft empor, ergriff die Armbänder und näherte sich der jungen Frau.

„Bis morgen Credit, Herr von Blücher!“ rief sie lebhaft, „dann wird mein Mann den Schmuck einlösen und die übrige Schuld tilgen.“

„Darf ich Sie ergebenst ersuchen, diese Bracelets anzulegen, Frau Baronin?“ entgegnete er verbindlich.

„Nein, nein. Sie bleiben bis morgen in Ihrer Hand. Hier auch das Diadem!“ rief sie noch erregter und löste schnell den Schmuck aus ihrem Haare und legte ihn, ehe er es verhindern konnte, auf die Armbänder.

„Ich bitte!“ flüsterte er leise und sein Auge sah flehend auf die junge Frau. Der Blick verwirrte sie; hastig, scheu, verlegen wich sie zurück; abwehrend streckte sie ihre Hand nach ihm aus, als er ihr mit jenem Blicke folgte, der bis in das tiefste Innere ihres Herzens drang.

„Gnädige Frau!“ rief er dringender.

„Bitte – nein! – Nein, nein, ich kann nicht!“ hauchte sie kaum hörbar.

Das Wesen des Flehenden erlitt eine schnelle und plötzliche Veränderung. In dem leichten üblichen Tone der Conversation sagte er freundlich[WS 2]: „Sie nehmen den Scherz zu ernst, Gnädigste. Ich bitte, betrachten Sie die ganze Sache als eine flüchtige Unterhaltung!“

Frau von R…g blickte fast entsetzt empor. Ueberrascht rief sie: „Wie, Sie wollten Verzicht leisten auf den ganzen Gewinn? – Unmöglich, Herr von Blücher!“

„Warum unmöglich, Frau Baronin?“

„Weil meine Schuld sich jetzt ungefähr auf 40,000 Thaler belaufen wird. Vielleicht noch höher, da die Steine überaus werthvoll sind.“

„Gut, lassen Sie es 50,000 Thaler sein. Das thut nichts zur Sache.“

„Die wollten Sie entbehren?“

„Ein Grund, lebhaft danach zu verlangen, ist nicht vorhanden. Ich werde auch ohne die Summe fertig werden!“ antwortete er stolz.

Es entstand eine kurze Pause. Erwartungsvoll sahen alle Anwesenden dem Ende der seltsamen Scene entgegen.

„Nein, nein, Herr von Blücher, ich kann das großmüthige Anerbieten nicht annehmen. Ich kann nicht so tief in Ihrer Schuld bleiben.“

„Der Gedanke ist Ihnen also unangenehm?“

„Sehr.“

„So. geben Sie mir einen Kuß, und – ewig bleibe ich Ihr Schuldner!“

Ein glühendes Erröthen überflog das marmorbleiche Antlitz der jungen Frau. Mit Blitzesschnelle flogen die Gedanken durch ihre Seele, wer und was sie – wer und was er war! Sie – ein Sprößling eines der ältesten Adelsgeschlechter Westphalens – unermeßlich reich! – Er arm, verabschiedeter Rittmeister – pommerscher Landedelmann und – Spieler! – Sie trat einen Schritt zurück, maß den vor ihr stehenden kühnen Förderer mit einem ihrer kältesten Blicke, warf stolz ihr schönes Haupt zurück und sprach in scharfem, klarem, ruhigem Tone: „Ich danke! – mein Mann wird morgen früh meine Schuld an Sie abtragen.“

Mit der Würde einer Königin schritt sie aus dem Zimmer. Bewundernd folgten ihr Aller Augen, dann wandten sich die Blicke lächelnd zu dem Rittmeister. Er stand mit fest aufeinander gepreßten Lippen, mit finster zusammengezogenen Brauen da, und sein Auge blickte so starr zu Boden, als könne es sich nimmer von dort erheben. Dennoch schaute er im nächsten Moment frisch und fröhlich auf, als sein Gönner, der General von Bischoffswerder, ihm heiter zurief: „Das war eine verlorne Schlacht, lieber Blücher; indessen, ein guter Soldat verzagt nicht so leicht und vertröstet sich stets auf die Zukunft, wo sich ihm die Hoffnung eröffnet, die empfangene Scharte auswetzen und – glückliche Revanche am Feinde nehmen zu können!“




Dreißig Jahre waren vergangen. Blücher hatte sich in diesem Zeitraume durch seinen Muth, seine Kühnheit und Tapferkeit vom einfachen Rittmeister eines Husarenregiments zum Generalfeldmarschall der preußischen Armee emporgeschwungen. – Ihm war jede nur mögliche Auszeichnung zu Theil geworden, und bewundernd wurde sein Name von ganz Europa genannt. Huldigend lag ihm die Welt zu Füßen, als er mit den unverwelklichen Lorbeern des Sieges geschmückt nach dem Friedensabschlusse aus Paris heimkehrte. Seine Reise zur Heimath glich einem Triumphzuge; überall wo der greise Held sich blicken ließ, begrüßte man ihn als den größten Helden seiner Zeit.

Längst hatten die bedeutenden Ereignisse seines vielbewegten ruhmgekrönten Lebens jenes kleine unbedeutende Erlebniß mit Frau von R…g verwischt. Vor den stürmischen Scenen des Kriegs-

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erreigte
  2. Vorlage: frundlich
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_196.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)