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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 14. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Das Dichtergrab am Rhein.
Von Julius Mosen.[1]

Ich will eine Rose pflücken,
Die letzte, die ich hab’,
Ich komm’ damit zu schmücken
Eines deutschen Dichters Grab,

Deß Lied wir oft gesungen,
Den Schläger in der Hand;
Wie das so hell geklungen,
Das Lied vom Vaterland!

Vor dessen Liederstimme
In dunkler, schwüler Nacht
In seinem starken Grimme
Das deutsche Volk erwacht!

Hinweg die Todtenklage,
Dies Lied soll Wächter sein
Mit seiner großen Frage
Beim Dichtergrab am Rhein;

Bis in der Schwerter Sausen
Die rechte Antwort grollt.
Wie wenn mit Sturmes Brausen
Das Meer die Wogen rollt;

Bis alle Fesseln springen
An einem heißen Tag,
Zerrissen sind die Schlingen,
Die Zwietracht und die Schmach.

Die Rose soll er haben,
Des Volkes Herz bleibt sein,
Den sie so schön begraben
Zu Bonn am deutschen Rhein.




Die Geschiedenen.
Von Hermann Schmid.
1.

Ein schöner, glanzvoller Frühlingstag war zu Ende gegangen. Zum ersten Male, seit der Winter sich über die Alpen zurückgezogen hatte, lag die Abendsonne warm und voll auf den herausbrechenden Knospen und Blättern; ein angenehmer Abendwind strich über die Gärten hin und trug den Duft der Blüthen, den kräftigen Wohlgeruch der frisch aufkeimenden Pflanzen in’s Weite. Es war, als ob Alles das Erscheinen des Frühlings und mit ihm ein Glück empfinde, an dessen Wiederkehr man gezweifelt, und das nun doch, und darum doppelt schön, ein wirkliches geworden.

In der kleinen Laube eines rings von Häusern umschlossenen Gärtchens saß unter halbbegrünten Ranken von wildem Wein und Jelängerjelieber ein rüstiger Mann von ernstem Ansehen, an dem nur die etwas stark weißschimmernden Haare verriethen, daß er bereits auf der Mittagshöhe des Lebens angekommen war. Ohne diese hätte weder der feurige, nur etwas unruhige Blick, noch die straffe Haltung darauf schließen lassen.

Auf dem Tischchen vor ihm lagen Schriften ausgebreitet, in denen er einige Zeit mit Eifer las und sich verschiedene Bemerkungen daraus aufzeichnete; bald aber schien diese Beschäftigung ihre Anziehungskraft zu verlieren, denn die Hand ließ den Stift achtlos entgleiten und erhob sich, um die Stirne zu stützen, die sich ihr schwer entgegen senkte. Nach dem tiefen Ernste in den Zügen zu urtheilen, mußten es unangenehme Gedanken sein, die hinter dieser bleichen Stirne hausten, und doch schien die Blässe, welche wie zuckend das Angesicht überflog, auch auf ein körperliches Leiden zu deuten. Manchmal wohl ging es darüber hin, wie der Versuch sich aufzuhellen an einem gewitterhaften Tage über den bewölkten Himmel. Es mochte das irgend eine freundliche Erinnerung aus vergangenen Zeiten sein, die wie ein Sonnenstrahl durchblitzte, aber immer wieder behielten die Wolken der Sorge und des Leidens die Oberhand.

Jetzt erscholl aus der andern Ecke des Gärtchens der helle, fröhliche Laut einer Kinderstimme und schreckte den Brütenden empor. Es war der Ruf eines kleinen Mädchens von etwa fünf Jahren, das sich dort im jung keimenden Grase unterhielt, Schneckchen und Würmer zusammenzulesen und die zierliche Verschiedenheit der Blätter und Pflanzentriebe kindisch zu bewundern.

„Sieh nur, Vater,“ rief das Mädchen, in der erhobenen Hand etwas hoch empor haltend, „sieh nur, was ich gefunden habe!“ Damit stürmte sie mehr, als sie lief, der Laube zu, flog die Stufen hinan und stand nun vor dem ernsten Manne, das runde Hütchen, das man ihr wegen des Sonnenbrandes aufgesetzt hatte, in den Nacken zurückgesunken, das blonde, reiche Haar über die Schultern hinabfallend, und die vollen Kinderwangen vom Laufe und von der Freude geröthet.

Mit dem Manne war inzwischen rasch eine sichtbare Veränderung vorgegangen. Der erste Laut der Kinderstimme hatte ihn wie ein Zauberton berührt; es war der Faden, den ihm ein gutes Geschick mitten im Labyrinthe zuwarf, um sich aus dem Irrsal seiner Gedanken zurecht zu finden; eine magnetische Berührung, vor deren erstem Strahle die schmerzlich zuckenden Nerven sich beruhigten.

  1. Von seinem Schmerzenslager sendet uns der leidende Dichter diese Blume für das Sängergrab am Rhein. „Leider,“ schreibt man uns aus Oldenburg, „vermag ich nicht, Ihnen günstigere Nachrichten über des armen Mosen körperliches Befinden zu geben, indem dasselbe von den qualvollsten Schmerzen belastet ist. Sein Dulden ist wahrhaft groß und verehrungswürdig, und das Gedicht gibt Ihnen sicheres Zeugniß seiner Geistesfrische.“
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_209.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)