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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

gegen jedes Völkerrecht das preußische Gebiet durch seinen Einbruch in die Ansbachischen Länder verletzte und somit allen bestehenden Verträgen Hohn sprach. Ein Schrei des Unwillens ging durch das ganze Land, das Heer brannte vor Begierde, sich mit dem Feinde zu messen. Oesterreich schickte den Erzherzog Anton nach Berlin und forderte zu gemeinschaftlichem Handeln auf. Der ritterliche Alexander von Rußland erschien selbst in der preußischen Residenz, um Friedrich Wilhelm zu einem Bündnisse zu bewegen. Es kam in Potsdam zu einem geheimen Vertrage, der an dem Sarge Friedrich des Großen besiegelt wurde. Um Mitternacht stiegen die beiden Monarchen in die erleuchtete Gruft, mit ihnen die holde Königin. Alexander neigte seine Lippen auf den Sarg des unsterblichen Todten und küßte ihn, dann reichten sich die Fürsten die Hände und schwuren sich ewige Freundschaft.

Aber der Sieg Napoleons über die vereinigten Russen und Oesterreicher bei Austerlitz und das feige Benehmen des im Lager befindlichen Haugwitz, welcher seinen Aufträgen zuwider einen schimpflichen Vertrag mit dem Sieger schloß, trennte Preußen von seinen Bundesgenossen und isolirte es völlig, so daß es widerstandslos zusammenbrach. Es folgten die Tage der Schmach von Jena, die Auflösung des Heeres, die schimpfliche Uebergabe der Festungen, die Flucht der königlichen Familie nach Königsberg. In seinen Bulletins entblödete sich Napoleon nicht, die unglückliche Fürstin zu verhöhnen und in gemeinster Weise zu verleumden, indem er sie als die alleinige Ursache des Krieges beschuldigte. Bei ihren Leiden suchte und fand sie Trost in dem unerschütterlichen Glauben an eine höhere Vorsehung, in dem Bewußtsein ihres edlen Herzens, in den Worten des Dichters, deren sie sich auf der Flucht erinnerte:

Wer nie sein Brod mit Thränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“

Unterdeß wüthete der Krieg in Preußen fort, bis endlich von russischer Seite der Abschluß des Waffenstillstandes und die bekannte Zusammenkunft der beiden Kaiser auf dem Memel folgte, wo Alexander seinen vertrauungsvollen Bundesgenossen rücksichtslos Preis gab. Die Räthe Friedrich Wilhelm des Dritten hofften durch die persönliche Anwesenheit der Königin von dem übermüthigen Sieger minder harte Friedensbedingungen zu erlangen. Sie willigte in das ihr zugemuthete Opfer, so schwer es ihr auch fiel, und erschien als eine Bittende vor dem stolzen Feinde, der sie durch sein wegwerfendes Benehmen zu demüthigen gedachte.

Eine Stunde nach ihrer Ankunft nahte Napoleon mit einem großen Gefolge. Er ritt einen kleinen arabischen Schimmel; Generäle hielten ihm den Steigbügel, als er abstieg. Der König und die Prinzen gingen ihm bis unten an die Haustreppe entgegen. Der Kaiser hatte eine kleine Reitpeitsche in der Hand, nahm den Hut ab, grüßte rechts und links und ging sogleich zur Königin hinauf. Sie empfing ihn mit dem feinsten Tacte, ohne ihrer weiblichen und fürstlichen Würde das Geringste zu vergeben. Nach der ersten Begrüßung kam sie sogleich auf den eigentlichen Beweggrund ihrer Reise zu sprechen; er unterbrach sie jedoch, indem er unter andern die unzarte Frage an sie richtete: „Aber wie konnten Sie den Krieg mit mir anfangen?“

„Sire,“ entgegnete Louise würdevoll, „dem Ruhme Friedrichs war es erlaubt, uns über unsere Kräfte zu täuschen, wenn anders wir uns getäuscht haben.“

Im Laufe der ferneren Unterhaltung erfuhr auch Napoleon den unwiderstehlichen Zauber ihrer Persönlichkeit, den Reiz der edelsten Weiblichkeit; die Stärke des Geistes und des Charakters der hohen Frau machten einen tiefen Eindruck auf den stolzen Sieger; er überhäufte sie mit allerdings nichtssagenden Artigkeiten und lud sie zur Abendtafel ein. Während der Mahlzeit war es ihr einziges Bestreben, ihm wenigstens ein Wort zu entreißen, woraus sie Hoffnung schöpfen konnte; besonders ließ sie es sich angelegen sein, mindestens die Rückgabe von Magdeburg zu erlangen. Aber Napoleon, dem der schlaue Talleyrand zur Seite stand, war nur zu sehr auf seiner Hut; er benahm sich zwar artig und stets achtungsvoll, aber ausweichend und zurückhaltend; sein Widerstand glich einer fortwährenden Flucht vor dem Geiste und der Liebenswürdigkeit der Königin. Es war gewiß ein ebenso eigenthümliches, als interessantes Schauspiel, diesem Kampfe der weiblichen Anmuth und Feinheit mit dem männlichen Trotze und politischen Egoismus beizuwohnen.

„So wollen Sie mich,“ klagte Louise nach aufgehobener Tafel, „scheiden sehen, ohne eine Erinnerung in meinem Herzen zurückzulassen, die mir gestattete, mit der Bewunderung für den großen Mann auch eine unauslöschliche Dankbarkeit gegen den großmüthigen Sieger zu verbinden?“

Statt ihr zu antworten, nahm Napoleon aus der vor ihm stehenden Blumenvase eine Rose von seltener Schönheit, die er ihr mit einer galanten Verbeugung überreichte. Sie schien erst geneigt, seine Gabe abzulehnen, besann sich jedoch und nahm sie, wenn auch zögernd.

„Zum Mindesten,“ fügte sie bittend hinzu, „mit Magdeburg.“

„Belieben Euere Majestät zu bedenken,“ entgegnete er ausweichend, „daß ich es bin, der darbietet, und daß Euere Majestät nur anzunehmen haben.“

Nur mit Mühe unterdrückte die Königin ihre hervorbrechenden Thränen; sie hatte sich umsonst gedemüthigt. Der Friede wurde geschlossen, der Preußen fast die Hälfte seiner Länder kostete und unerschwingliche Opfer auferlegte. Niemand empfand die Schmach des Vaterlandes so tief, wie die hohe Frau, vor Allen aber den schimpflichen Verlust von Magdeburg. „Wenn man mein Herz öffnen könnte,“ sagte sie, „so würde man darin in blutigen Zügen den Namen Magdeburg finden.“ – Aber sie überließ sich nicht einer dumpfen, hoffnungslosen Verzweiflung; mitten im Unglücke bewahrte sie den ihr eigenen Muth, sie richtete den gebeugten König auf, sie tröstete ihre Umgebung, sie erkannte die Nothwendigkeit, durch sittliche Hebung des Volkes, durch Weckung des nationalen Bewußtseins, durch Erziehung der kommenden Geschlechter eine neue, bessere Zeit heraufzuführen. Zu diesem Behufe suchte sie die edelsten Männer und Vaterlandsfreunde in die Nähe des Königs zu bringen; sie erkannte den Werth eines Stein und Hardenberg, sie beschützte Beide gegen die Intrigue der franzosenfreundlichen Höflinge.

Mit dem berühmten Jugenderzieher Pestalozzi in der Schweiz trat sie in unmittelbare Verbindung, um durch sein System einen besseren Unterricht für die preußischen Schulen anzubahnen. Vor allen Dingen aber lebte in ihrem Herzen der Glaube und die Liebe für das deutsche Volk, die sie mitten in dem größten Trübsal und in der allgemeinen Verwirrung nicht verlor. Sie las fleißig die Geschichte ihrer „lieben Deutschen“, unter denen sie besonders der Ostgothe Theodorich ansprach. „Dieser war ein echter Deutscher,“ schreibt sie an einen Freund, „die Geradheit seines Charakters, die Tiefe seines Gemüths und die Großmuth seines Herzens bezeugen es. Der Charakter Karls des Großen trägt schon ein Gepräge des Frankenthums, welches mich etwas abschreckt.“

Bitter klagte sie über die Zerrissenheit des deutschen Vaterlandes, nach Kräften war sie bestrebt, den unseligen Zwiespalt zu beseitigen, sodaß ihr Sohn als König Friedrich Wilhelm der Vierte mit Recht sagen durfte: „Die Einheit Deutschlands liegt mir am Herzen. Sie ist das Erbtheil meiner Mutter.“

Von diesen Gesinnungen, der sittlichen Größe, der Klarheit ihres Geistes und der Richtigkeit ihres Urtheils legt ihr Briefwechsel, den Friedrich Adami in seiner trefflichen Biographie der Königin Louise theilweise veröffentlicht, das schönste Zeugniß ab. So schreibt sie an ihren Vater: „Es wird mir immer klarer, daß Alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeern Friedrich des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns. – – – Gewiß wird es besser werden, das verbürgt der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie eben sind. Dabei befleckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glücke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_215.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2024)