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geblendet, und er meint Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sittliche Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. – – Wie Gott will; Alles wie er will. Aber ich finde Trost, Kraft, Muth und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief in meiner Seele liegt. Ist doch Alles in der Welt nur Uebergang! Wir müssen durch. Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden.“

Kurz nach dem Frieden folgte Louise mit dem Könige einer Einladung des Kaisers Alexander nach Petersburg, wo ihr die glänzendste Aufnahme bereitet wurde. Aber die Pracht und der Luxus der Höfe konnte sie nicht blenden, sie hatte die Nichtigkeit der irdischen Größe nur zu sehr kennen gelernt. Tiefer ergriff und freute sie der Jubel ihres Volkes bei ihrer Rückkehr nach Berlin. Die Treue und unerschütterte Liebe, die ihr hier zu Theil wurde, rührten sie bis zu Thränen.

Aber die vorangegangenen Leiden und die fortdauernden Kränkungen hatten ihre zarte Gesundheit untergraben. Wohl ahnte sie mit prophetischem Geiste die künftige Erhebung des Vaterlandes und trug nach Kräften dazu bei, aber ihr selbst sollte es nicht vergönnt sein, den Tag der Befreiung zu erblicken.

Schon lange war es ihr Wunsch gewesen, ihren Vater und die herzogliche Familie in Strelitz zu besuchen. Rührend war das Wiedersehen, aber bald getrübt durch ein leises Unwohlsein, das sich mit überraschender Schnelligkeit in ein lebensgefährliches Brustleiden verwandelte. Ihr Gatte, selbst krank, eilte mit den beiden ältesten Söhnen an das Lager der Sterbenden. „Ach!“ klagte der Unglückliche, „wenn sie nicht mein wäre, würde sie leben, aber da sie meine Frau ist, stirbt sie gewiß.“

Fortwährend hielt er ihre Hand in der seinigen, als wollte er sie nicht scheiden lassen.

„Herr Jesus!“ flehte sie in banger Todesangst, „mach es kurz!“

Fünf Minuten später, am 18. Juli 1810, hatte sie ausgelitten; ihr bleiches Gesicht war das einer verklärten Heiligen. Zu ihren Füßen kniete der schwer geprüfte König mit seinen Kindern, die Hände der Entseelten mit ihren heißen Thränen benetzend.

Nicht nur Preußen, ganz Deutschland trauerte um Louise; jedes Haus wurde ein Klagehaus, und ihr Tod weckte in jeder Brust den tiefsten Schmerz, aber auch den Haß gegen den fremden Unterdrücker, um dessen willen sie so viel gelitten.

„Wir wissen“ – sagte der berühmte Schleiermacher in seiner Gedächtnißrede auf die geschiedene Königin – „wie innig sie, ohne jemals die Grenzen zu überschreiten, die auch für jene königlichen Höhen der Unterschied des Geschlechtes feststellt, Antheil genommen hat an allen großen Begebenheiten; wie sie sich eben durch die Liebe zu ihrem königlichen Gemahl, durch die mütterliche Sorge für die theueren Kinder Alles angeeignet hat, was das Vaterland betraf; wie lebendig sie immer erfüllt war von den ewig herrlichen Bildern des Rechtes und der Ehre; wie begeisternd ihr Bild und Name, eine köstlichere Fahne, als welche die königlichen Hände verfertigt hatten, den Heeren im Kampfe voranging!“ –

Darum lebt Louise in den Herzen ihres Volkes und aller Deutschen jetzt und immerdar, als die Erste der Frauen, als die beste Königin.

Max Ring.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
III.

Während sich Wilhelmine mit leidenschaftlichem Eifer ihren musikalischen und dramatischen Studien hingab, blieb ihr doch Sinn und Zeit für die kleinen Aufgaben des täglichen Lebens. Sie sorgte für die Pflege der jüngeren Geschwister, für die Ordnung im Hause, und wer sie Abends auf der Bühne bewundert hatte, konnte ihr Morgens zwischen den Körben der Marktweiber begegnen, wie sie emsig nach dem Guten und Wohlfeilen suchte, oder trotz Sonnengluth und Regenschauern große Körbe voll Proviant nach Hause trug, Hier war es dann ihr größtes Vergnügen, die Vorräthe in Keller und Speisekammer auf’s Schönste zu ordnen. „Der Keller war mein Garten,“ erzählte sie oft; „jede Kohl- und Rübensorte hatte ihr eigenes Beet von weißem Sande. Mein Schmerz war nur, daß sich die Mutter so wenig für diese Herrlichkeiten interessirte.“

Auch die Gesellschaft nahm die junge schöne Künstlerin mehr und mehr in Anspruch, und sie gab sich mit voller Jugendlust den Freuden und Huldigungen derselben hin. Sie war die unermüdlichste Tänzerin, sang, so oft sie dazu aufgefordert wurde, freute sich wie ein Kind, wenn sie selbst und ihre Lieder gefielen, und war durch Heiterkeit, Reiz und Anmuth die Seele jedes Kreises, in dem sie sich bewegte.

Aber sie hatte auch schwere Stunden, und was sie quälte, war nicht nur die unbestimmte Sehnsucht, die der Jugend fast immer den Genuß des Augenblicks verkümmert. Eine Schauspielerin kann nicht behütet werden, wie andere Mädchen. Als halbes Kind schon hatte Wilhelmine Leidenschaften und Laster in ihrer häßlichsten Gestalt sehen müssen. Instinctiv bebte ihre reine Seele vor der Berührung mit dem Schlechten zurück, und wo sich diese Berührung nicht vermeiden ließ, wurde sie ihr eine Quelle bittersten Leidens. Auch das Intriguenwesen, das sich um jede Bühne, um jede Berühmtheit der Theaterwelt drängt und in das sie nur zu bald einen Einblick gewann, war ihrer groß angelegten Natur, ihrem durchaus offenen Charakter im tiefsten Innern zuwider. Die Begeisterung für die Kunst erhob sie zwar über diesen Wust, und im Feuer der Arbeit konnte sie ihre Umgebung ganz vergessen – aber es kamen Tage der Ermattung, der Muthlosigkeit, und dann drang alles Schlechte, Häßliche, Unwahre mit erdrückender Gewalt auf sie ein. Das ganze Leben erschien ihr in solchen Momenten wie ein Gewebe von Lüge und Niederträchtigkeit. Sie verzweifelte an sich selbst, an ihrer Aufgabe, fühlte sich von unbezwinglichem Ekel am Dasein, von unerträglicher Angst vor der Zukunft erfüllt und wußte nicht, wohin sie sich retten sollte.

Oft, wenn sie aus den Proben kam, trennte sie sich von den plaudernden Cameraden, um sich verstohlen in die nächste Kirche zu schleichen, wo sie sich zitternd im Schatten eines Pfeilers auf die Kniee warf, das Gesicht verhüllte und weinte und betete. Schon damals erwachte in ihr jene Sehnsucht nach Ruhe, nach einem engbegrenzten, einfachen Leben, die sie wie ein verzehrendes Heimweh bis zum Tode verfolgen sollte, während ihrem Schaffensdrang, ihrem rastlosen Vorwärtsstreben die ganze Welt noch zu eng war. „Wenn ich katholisch gewesen wäre,“ sagte sie oft, „so hätte ich mich damals in ein Kloster geflüchtet.“

Es war anders über sie beschlossen. Sie lernte den Schauspieler Karl Devrient kennen; er war ein schöner Mann, von einschmeichelndem Benehmen, der ihr Herz schnell gefangen nahm. Die Ehe mit dem geliebten Manne, das war das Asyl, die Heimath, nach der sie sich sehnte! Im Sommer 1823 wurde das Bündniß in der Jerusalemerkirche zu Berlin geschlossen, und nach einigen Reisen übersiedelte das Künstlerpaar nach Dresden, wo Beide engagirt waren.

Es ist nicht meine Absicht, hier auf die intimen Lebensverhältnisse der Verewigten einzugehen, deshalb werde ich die Geschichte dieser Ehe nicht näher berühren. Aber wenn es wahr ist, was Wilhelmine Schröder-Devrient so oft tief schmerzlich aussprach – wenn es wahr ist, daß der Künstler unglücklich sein muß, um die volle Weihe des Genius zu empfangen, so ist diese Verbindung eine der mächtigsten Stufen gewesen, auf welcher sie zur künstlerischen Vollendung emporschritt.

Die Ehe war in jeder Beziehung eine unglückliche und wurde schon im Jahre 1828 wieder getrennt. „Ich mußte mich frei machen,“ sagte Wilhelmine, „um nicht als Weib wie als Künstlerin unterzugehen.“ Um frei zu werden, brachte sie jedes Opfer; selbst von den Kindern, die sie leidenschaftlich liebte, riß sie sich los, aber von den Erinnerungen an jene Zeit hat sie sich nie befreien können; bis zur Todesstunde haben sie einen tiefen, dunkeln Schatten über ihr Leben geworfen.

Auch die Freude an ihren Kindern – zwei Söhne und zwei Töchter waren ihr geschenkt – hat sie nicht so rein genießen dürfen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_216.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)