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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sich Alles natürlich erklären läßt, so wird sich auch für sie eine natürliche Erklärung finden lassen. Jessen hat in seiner Psychologie bereits eine solche versucht. Das Unvermögen, die richtigen Worte für die auszusprechenden Gedanken zu finden, das Verwechseln von Wörtern oder Buchstaben, so wie der Verlust des Gedächtnisses für die Eigennamen von Personen und Sachen beruht nach ihm vielleicht auf einer gestörten Thätigkeit der Hirn-Ganglien. Diese Erscheinungen seien nur höhere Grade dessen, was jedem Menschen häufiger oder seltener begegnet. Wir suchen oft vergebens nach einem Namen, der uns nicht einfallen will, so bekannt er uns auch ist; wir sind manchmal nahe daran, ihn zu finden, er schwebt uns gleichsam auf der Zunge, aber er will doch nicht zum Vorschein kommen, und wenn wir aufhören, uns darum zu bemühen, so kommt er vielleicht ungerufen. Man sieht, daß dies nicht sowohl ein Vergessen, als eine Schwierigkeit des Rückerinnerns bekannter Namen ist, – eine Schwierigkeit, die mit dem Alter zunimmt und in krankhaften Zuständen einen sehr hohen Grad erreichen kann. Ueberhaupt ist angeblicher Verlust des Gedächtnisses sehr oft nur ein Mangel des Rückerinnerungs-Vermögens. Diese Art von Vergeßlichkeit entsteht häufig nach Schlagflüssen und andern Gehirnaffectionen; sie tritt vorübergehend ein, wo das Gemüth von einer Sache so ergriffen ist, daß der Mensch an nichts Anderes denkt, für nichts Anderes sich interessirt. Das Vergessen des kurz vor einer eingetretenen Bewußtlosigkeit Geschehenen läßt sich nach Jessen vielleicht dadurch erklären, daß hier keine innerliche Wiederholung der aufgenommenen Eindrücke stattfindet, während man sonst das Erlebte in der Erinnerung zu wiederholen und dadurch dem Gedächtniß fester einzuprägen pflegt.

Auf diese Weise lassen sich auch die außerordentlichsten Erscheinungen im Gebiete des Gedächtnisses ganz natürlich erklären, und man hat nicht nöthig, besondere Fächer im Gehirn für diese oder jene Art von Gedächtniß anzunehmen. Das Gedächtniß ist kein todtes Behältniß, sondern eine lebendige Kraft, die der Uebung bedarf und die mannichfachen Hemmungen unterliegt.




Die Victoriabrücke in Canada.

Zu den Vortheilen, welche die neue Welt vor der andern voraus hat, gehört die Mannichfaltigkeit und riesige Ausdehnung ihrer Stromsysteme. Wir haben nichts, was sich den Gebieten des Plata, Amazonas, Orinoco, Mississippi und St. Lorenz ebenbürtig an die Seite stellen ließe. Im Süden des Welttheils hat die romanische Bevölkerung von ihren prächtigen Wasserverbindungen noch

Die Victoriabrücke.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_220.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)