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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Während in Deutschland die abgestorbenen Formen des öffentlichen Lebens noch in peinlicher Beengung und Bedrückung bestanden, und in Frankreich sie in chaotischer Auflösung zusammenstürzten, bauten in Jena und Weimar die Priester der Poesie und Wissenschaft am Tempel der Geistesfreiheit, von welchem die reine Altarflamme in die Zukunft erleuchtend und erwärmend ausstrahlte. Der Kreis jener Männer ist für alle Zeit von der höchsten Bedeutung. Als Persönlichkeit war ohnstreitig Goethe das wichtigste Glied desselben, als Träger einer die Welt befruchtenden Idee – Schiller.

Eine höchst interessante Erscheinung in dem jenaischen Kreise jener Fackelträger des Geistes ist auch Wilhelm von Humboldt, der nachher so berühmt gewordene Gelehrte und Staatsmann, der ältere Stern des am deutschen Geisteshimmel so prächtig glänzenden Dioskurenpaars. Die beiden Brüder, Wilhelm, geb. 22. Juni 1767, und Alexander, geb. 14. Septbr. 1769, hatten durch die Mutter, eine geborene v. Colomb – der Vater, preußischer Major und Kammerherr, war schon 1778 gestorben – eine sehr sorgfältige Erziehung genossen. Die ausgezeichnetsten Männer der Wissenschaft waren ihre Lehrer gewesen. Nach beendigten Studien in Frankfurt a. O. und Göttingen, wo er neben den Rechtswissenschaften mit Liebe und Eifer der Alterthumskunde obgelegen und mit den hervorragendsten Männern in persönliche Verbindung gekommen war, hatte Wilhelm mit seinem ehemaligen Lehrer Campe die stereotype Reise der Söhne der deutschen Aristokratie nach Paris gemacht, wo er am Tage nach seiner Ankunft jener welthistorischen Sitzung der Nationalversammlung vom 4. August 1789 beiwohnte, in welcher der einst so mächtige Feudalstaat mit all seinen wunderlichen Schnörkeln und Anhängseln unter dem Zujauchzen der Betheiligten zusammenstürzte. Auf den zweiundzwanzigjährigen preußischen Baron machte dieses Erlebniß einen unauslöschlichen Eindruck, doch trübte es seine klaren und besonnenen Auschauungen vom echten und fruchtbringenden Entwickelungsgange der Cultur nicht. Weder der feurige Georg Forster, den er auf der Rückreise in Mainz aufsuchte, vermochte ihn auf die schlüpfrige Bahn der sich überstürzenden Revolution mit fortzureißen, noch der eitle, geniesüchtige Lavater in Zürich ihn über die innere Hohlheit seiner Mystik zu täuschen.

Ebenso glücklich entging er in Berlin den Verlockungen des hypergenialen, lüderlichen Gentz, der damals den salopen Jakobiner spielte, und verfolgte im Kreise der edlen und liebenswürdigen Henriette Herz, der Gattin des jüdischen Arztes Dr. Marcus Herz, das ihm vorschwebende Ziel edelster Humanitätsbildung, deren Ideal er bei den alten Griechen zu finden glaubte. Unablässig mit dieser idealen Selbstbildung beschäftigt, verließ er sogar den Staatsdienst, in welchen er getreten war, bald wieder und vermählte sich mit einer geist- und gemüthreichen, liebenswürdigen und begüterten Thüringerin, einer Freiin von Dacheröden, und lebte auf dem ihr gehörigen Rittergute Burgörner bei Mansfeld in Nordthüringen seiner höhern Ausbildung und dem Glück der häuslichen Liebe. Die scharfen Extreme, die sich auf der Lebensbühne zum wilden und erbitterten Kampfe gegenüber traten, vermochten ihn, den Mann der rechten Mitte in allen Lebensbeziehungen, sich vom Streite fern zu halten.

Durch seine Gattin, eine Freundin der Familie von Lengefeld in Rudolstadt, wurde Humboldt zur persönlichen Bekanntschaft mit Friedrich Schiller, dem Gatten Charlottes v. Lengefeld, geführt, und die beiden Männer lernten sich bald als nahverwandte Geister verstehen, schätzen und lieben, so daß diese Verbindung zu Anfang des Jahres 1794 zu einer Uebersiedelung W. von Humboldt’s nach Jena führte. Ein und ein viertel Jahr lang lebten die beiden edlen Geister sich ineinander, und durch Schiller wurde Humboldt auch Körner’s in Dresden vertrauter Freund. Diese drei hochbegabten edlen Männer bilden eine engverbundene Trias, welche die höchsten Güter der Menschheit mit reiner Hand pflegen und die Flamme der Freiheit auf dem unentweihten Altare des Herzens nähren, sie aber auch hüten, daß sie nicht, wie in Frankreich, den massenhaft aufgehäuften Brennstoff veralteter oder abgestorbener Zustände ergreife und zum wilden, verheerenden Brande ausarte.

W. v. Humboldt wurde im Sommer 1795 von Familienangelegenheiten nach seinem Familiengute Tegel bei Berlin gerufen, aber im November 1796 kehrte er zu seinem geliebten Schiller nach Jena zurück.

In diesen zweiten Aufenthalt Humboldt’s in Jena, bis zum April 1797, drängt sich ein großer Theil des Schönsten zusammen, was dieser herrliche Schillerkreis genossen und erzeugt hat. Denn nicht nur, daß Goethe sich mit Humboldt befreundete und, in den Kreis getreten, vielfache Anregung empfing (besonders zum „Wilhelm Meister“, namentlich aber zu „Hermann und Dorothea“) und gab, auch Körner kam mit seiner Gattin von Dresden, und Schiller’s geist- und gemüthreiche Schwägerin Caroline hatte sich im August 1796 mit dem weimarischen Oberhofmeister Wilhelm Frecheren von Wolzogen vermählt und kam öfter nach Jena, wo sie die Anregung zu ihrem trefflichen Romane „Agnes von Lilien“ empfing, der anfangs, da er anonym erschienen war, allgemein für ein Werk Goethe’s gehalten wurde. So bildete sich jener herrliche Frauenbund um Schiller: Frau von Humboldt, Frau von Wolzogen, Frau Schiller, Frau Körner – auch sie hatte die Freundschaft zwischen Schiller und ihrem Gatten vermittelt –, der ihn mit dem „beglückenden Bande“ hoher idealer Liebe umschlungen hielt und in sein „irdisches Leben“ „himmlische Rosen flechten und weben“ durfte, jener Bund, dem er seine unsterbliche, das deutsche Frauenthum für alle Zeit verherrlichende „Huldigung der Frauen“ sang.

Von diesem Kreise empfing der große Dichter der Menschenwürde die Impulse zu seinem höheren Auffluge, zur sittlichen Verklärung der Idee der Freiheit im Lichte der Schönheit und Wahrheit. Er wurde von seinen Freunden und Freundinnen von der Philosophie hinweg wieder der schaffenden Poesie zugeführt. Er gab den Musenalmanach heraus, den er mit seinen und Goethes Dichtungen schmückte und in dem beide das prächtige Gewitter der Xenien losließen, das so heilsame Erschütterungen brachte und die alten literarischen Zustände in Deutschland zertrümmerte. Man kann wohl sagen, daß er schon damals der Mittelpunkt des großen Kreises ausgezeichneter Menschen war, welche sich in dem lieblichen kleinen Jena zusammengefunden hatten. Die „Allgemeine Literaturzeitung“, die von den Professoren Schütz und Hufeland herausgegeben wurde, stand in ihrer Blüthe; auf fast allen Kathedern lehrten ausgezeichnete Professoren; Fichte begeisterte die Jugend; Schelling kam; die Brüder Schlegel ließen sich danieder; Woltmann war thätig; Gries fand sich ein; Knebel lebte stillwirkend in seiner schönen Besitzung; bedeutende Fremde strömten fortwährend nach dem Städtchen an der Saale, und alle bemühten sich in Schillers Gesellschaft zu gelangen. In der bescheidenen Wohnung desselben, bei Butterbrod und einer Tasse Thee, saß oftmals ein Kreis von Männern, die alle heute noch bewundert werden. Man erging sich da ungezwungen in Gesprächen über die wichtigsten Fragen, und Alle bewunderten namentlich Schiller, der fast so schön gesprochen haben soll, als er schrieb. Am liebsten unterhielt er sich mit Wilhelm von Humboldt über philosophisch-ästhetische Gegenstände, während Goethe, der gar häufig von Weimar herüberkam, vorzugsweise gern die Natur und deren Gesetze zum Gegenstande der Unterhaltung wählte. So kam es, daß er sich mehr zu dem jüngern Humboldt hingezogen fühlte, mit dem er namentlich oft über die Erfüllungen des Galvanismus sprach, der damals großes Aufsehen machte und über den Alexander von Humboldt sein erstes Werk schrieb. Er hatte seine dienstliche Stellung als Oberbergmeister am Fichtelgebirge in Bayreuth aufgegeben, um sich auf eine große wissenschaftliche Reise vorzubereiten und war zu seinem Bruder nach Jena gekommen. Oftmals saß man bis spät in der Nacht in Schillers Stube, in Knebels Garten, in dem Garten, den Schiller im nächsten Jahre kaufte, oder sonst im Freien, oder man machte in Gesellschaft Spaziergänge. Und war Schiller recht angeregt, oder wollte er die Meinung der Freunde hören, so trug er ihnen eines seiner neuen Gedichte vor, oder wohl auch Einzelnes von dem „Wallenstein“, an dem er ernstlich zu arbeiten begonnen hatte. Eine solche Vorlesung in solchem Kreise stellt unser Bild vor. Wir freuen uns, den Lesern der Gartenlaube versichern zu dürfen, daß der Künstler die Abbildung der beiden Humboldt’s nach Originalgemälden auf Holz übertrug, welche sich jetzt noch auf Schloß Tegel befinden und die beiden Brüder in ihrer Jugend vorstellen.

Es sind unstreitig Tage hohen Genusses und geistiger Förderung gewesen, welche die großen Menschen, Goethe, Schiller, Wilhelm und Alexander v. Humboldt, zusammen und im Kreise Anderer verlebten. In Alexander von Humboldt namentlich ist der vom Umgang mit Schiller empfangene sittliche Eindruck und geistige Aufschwung nachhaltig geblieben bis an sein spätes Lebensende, und stets erinnerte er sich der in seiner Jugend mit Schiller und Goethe verlebten Tage mit hoher Freude.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_230.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)