Seite:Die Gartenlaube (1860) 240.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

bringen, allein das eben that ich nicht, und darum bin ich allein strafbar … Wie tief ich dan nun fühle, mag ich nicht sagen …“

Schamyl hatte mich gebeten, bis zur Ankunft seiner Familie immer mit ihm zu speisen. Die Unterhaltungen, die bei Tische geführt wurden, boten viel Anziehendes und lösten manche Räthsel, deren Schlüssel wir lange vergeblich gesucht hatten, und die uns wohl nie klar geworden wären. Im Allgemeinen bemerkte ich, daß Schamyl gegen das Ende der Mahlzeit gesprächiger wurde, stufenweise in heitere Stimmung gerieth und zu offenen Mittheilungen geneigter war, als zu Anfang der Tafel.

Nachdem mich Schamyl mit den Worten „ghettach amamachah“ zu Tische geladen hatte, fand ich beim Essen ein Gericht vom Koche des Gasthofs so verdorben, daß ich mich darüber tadelnd aussprach. „Findest Du das nicht auch?“ fragte ich Schamyl. Er antwortete mir, das Gericht sei allerdings nicht schmackhaft; wie könne man aber so etwas aussprechen?

„Und warum nicht?“ fragte ich.

„Das wäre eine große Sünde.“

„Aber thut der Koch keine Sünde, indem er uns ein so schlechtes Gericht vorsetzt?“

„Allerdings ist es auch eine Sünde: aber dafür wird Gott ihn strafen.“

„Wenn ich aber dem Koche sein Vergehen nicht vorhalte, so wird er vielleicht fortfahren, uns schlecht zu bedienen, in der Meinung, es müsse so sein, und so kann er unserer Gesundheit schaden und uns mancherlei Verlust verursachen.“

„In den Büchern,“ sagte Schamyl, „steht geschrieben, daß der Mensch nie seine Unzufriedenheit mit irgend Etwas mündlich äußern solle. Wenn man mir ein verdorbenes oder versalzenes Gericht vorsetzt (Schamyl kann das Salz nicht ausstehen), so darf ich es nicht tadeln, sondern muß es schweigend verzehren, ganz, als wäre es gut zubereitet. Um so weniger darf ich auf einen Hausgenossen zürnen, wenn er mich auf irgend eine Weise kränkt. Schelte ich ihn, so ist das eine große Sünde; so steht in meinen Büchern geschrieben.“

Diese Aeußerungen Schamyl’s erinnerten mich an das, was Herr von Boguslawsky mir von dem Besuche erzählte, den der Gefangene einst in einer Menagerie ausländischer Thiere machte. Die Affen zogen besonders seine Aufmerksamkeit auf sich. Er beobachtete sie lange, ergriff endlich die Pfote eines Affen und wandte sich mit den Worten an Boguslawsky:

„Weißt Du, wer das ist?“

„Ein Affe,“ antwortete dieser.

„Jetzt allerdings, aber früher, weißt Du, was sie waren?“

„Nein, das weiß ich nicht.“

„Es waren Juden,“ antwortete Schamyl mit echt kaukasischem Fanatismus – „nachdem sie Gott erzürnt hatten, verfluchte er sie und verwandelte sie in Affen.“

„Sollte das wahr sein?“ fragte Boguslawsky.

„So steht in den Büchern geschrieben.“

„Das kann aber doch nicht sein! Wären alle Juden in Affen verwandelt worden, woher kämen dann die jetzt noch lebenden?“

Schamyl sann etwas nach. „Wahrscheinlich sind es nicht diese, sondern andere.“

„Woher kämen aber die Anderen, wenn die Ersten nicht existirt hätten (Affen gewesen wären). Nein, das ist Thorheit, das kann nicht sein!“

„Wie, das kann nicht sein? Sieh nur die Pfote hier, gänzlich einer Menschenhand ähnlich … und den Körper, ist er nicht ganz der Körper eines Menschen?“

„Aber das Gesicht?“

„Nun, das Gesicht?“

„In der Schrift ist gesagt, der Mensch sei nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen … steht dies in Euren Büchern?“

„Allerdings.“

„Nun wohl, kann die Gottheit ein solches Gesicht haben?“ – Dieser Einwurf schien dem Schamyl doch gegründet; aber er nahm sich wohl in Acht, es merken zu lassen, daß sein Glaube einen Stoß erlitten hatte; beim Hinausgehen machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand und wiederholte: „In den Büchern steht’s geschrieben! In den Büchern steht’s geschrieben!“

Caspari.




Die bedeutungsvollen Gedankenstriche. In das gastliche Haus eines seit mehreren Jahren in Paris lebenden deutschen Edelmanns, Baron G**heim, ließ sich zu Anfang des Winters 1859 ein Franzose einführen. Der Geist und die Gewandtheit dieses jungen Herrn von F…au, der sehr gut deutsch sprach, gefielen dem alten Baron; er lud ihn ein, an dem Mittagessen Theil zu nehmen, das er an dem Tage gab. Herr von F…au stellte sich zur festgesetzten Stunde ein und fand, wie er erwartet hatte, nur Landsleute des Barons. Einige derselben erwiderten seinen tiefen verbindlichen Gruß so kurz und kalt, daß es Herrn von G**heim unangenehm auffiel und er sich über diesen Empfang in der Seele seines jungen Gastes verletzt fühlte. Er forschte leise und eindringlich bei einigen seiner nächsten Bekannten nach dem Grunde dieser Aufnahme und Rücksichtslosigkeit, und man flüsterte ihm zu: „Bester Baron, wie konnten Sie diesen Menschen einladen? Herr von F…au ist einer der schlauesten Spione, und wenn er öfter Ihr Haus besuchen sollte, so bleiben wir fort.“

„Ein Spion!“ rief der alte Edelmann entsetzt.

„Nichts anderes! Noch dazu der gefährlichste!“

„Was will ein Spion bei mir?“

„Sich wahrscheinlich über Ihre Ansichten in’s Klare setzen. Man wird endlich erfahren haben, daß hier im Hause ein freies Wort, eine offene Meinung über den Kaiser geäußert wird, und ohne Zweifel sind unsere unbefangenen Urtheile von Interesse für Andere.“ Der Baron ließ bei dieser Erklärung einen derben deutschen Fluch hören. Man gab ihm Winke, sich zu beherrschen, und er that es; doch als er sich von der Gruppe seiner Freunde trennte, sagte er ernst: „Herr von F…au soll sich nicht umsonst in mein Haus bemüht haben, und früher, als er es ahnt, über meine Ansichten in’s Klare gesetzt werden.“

„Nehmen Sie sich in Acht, er gehört zu der schlimmsten Sorte.“

Der Baron lächelte fein. Während den Diners sahen die Landsleute Herrn von G**heims oft mit Schrecken das Gespräch eine Wendung nehmen, die eine Explosion herbeizuführen im Stande war, und geschickt wußte immer Einer oder der Andere die in deutscher Sprache geführte Unterhaltung in’s Gleis der alltäglichen Lebensinteressen zurückzulenken. Der Wirth ließ es ruhig geschehen und war nie bemüht, ein gefährliches Thema festzuhalten. Sinnend blickte er aber einige Male vor sich nieder. Das Dessert kam, und es wurden Toaste ausgebracht. Die etwas lebhafter werdenden Deutschen stießen jetzt, angeregt durch ihren Wirth, auf rein deutsche Interessen an, und auf deutsches Wohl wurde manches Glas französischen Weins geleert! – Nach dem freundlichen Lächeln zu urtheilen, das Herrn von F…au’s Lippen umschwebte, schien er Alles äußerst natürlich und durchaus in der Ordnung zu finden. Er war ja in einer Gesellschaft, die nur aus Deutschen bestand. – Baron G**heim fixirte ihn scharf, und als der junge Franzose wiederum bereitwillig auf Etwas angestoßen, das gänzlich außer dem Bereiche seiner Interessen lag, rief er plötzlich verbindlich, sich mit leichter Verbeugung zu seinem neuen Gaste wendend: „Herr von F…au, wir sind nicht höflich gegen Sie, indem wir nur an uns denken! Nicht mehr als recht und billig wird es daher sein, auch Sie an die Reihe kommen zu lassen. Erlauben Sie mir, daß ich meinem und meiner Landsleute Dank für Ihre liebenswürdige Nachsicht Ausdruck gebe.“

Der junge Franzose verneigte sich zustimmend; Baron G**heim füllte sein Glas und sich erhebend sprach er langsam nachstehende Worte, zwischen denen er zum Erstaunen seiner Zuhörer an Stellen eine kleine Pause machte, deren Sätze durchaus im Zusammenhange standen und wo ihnen eine Trennung als störend erschien:

„Es lebe weit und breit – Napoleon Deine Macht
Der Deutschen Einigkeit – werd’ von der Welt verlacht!
Es steige mehr und mehr – Napoleons hoher Glanz
Der Deutschen Glück und Ehr’ – umdunkle bald sich ganz!
Es leb’ in voller Pracht – des Franzmanns kluger Krieg
Die deutsche Heeresmacht – bleib ohne allen Sieg!
Gott sende Segen, Heil – Napoleon ganz allein
Auf aller Deutschen Theil – fall Unglück nur anheim!“

Je weiter der Baron sprach, desto mehr umdüsterten sich die Züge der Deutschen und nur das Antlitz des Franzosen leuchtete von Freude. Als der seltsame Toast beendet, brach er in warme Dankesworte aus, während alle Andern stumm dasaßen. Erregt schloß er: „O hätte ich diesen herrlichen Toast doch aufgezeichnet!“

„Wer weiß ob er Ihnen dann noch so gefiele, Herr von F…au! Geschrieben macht sich dergleichen oft nicht so gut.“

„Doch, doch, Herr Baron! Er kann nicht dadurch verlieren.“

„Gut! Ich werde ihn aufschreiben.“

„Können Sie es – wissen Sie ihn noch?“

„Mein Gedächtniß ist ausgezeichnet, Herr von F…au.“

„Ich werde mich überzeugen, ob Sie wahr sprechen, denn bemerken würde ich das Geringste, das Sie ausließen.“

„Beunruhigen Sie sich nicht unnöthig, ich werde Nichts fortlassen und sogar die Pausen, die ich im Vortrage eintreten ließ, durch Gedankenstriche bemerkbar machen!“

Herr von F…au lächelte dankbar. Der Baron schrieb den Toast in zwei Exemplaren und reichte ein Blatt seinem jungen Gaste, das andere seinen alten Freunden.

Alle griffen eifrig darnach. Auf den ersten Blick, den sie auf das Papier warfen, fiel ihnen die Trennung der zusammenhängenden Zeilen auf, und sie lasen jetzt den gutverdeckten schönen Toast auf ihr Vaterland.

Während sie lächelnd die Feinheit ihres Wirths bewunderten, hing das Auge des Franzosen wie gebannt an dem zweiten Theile der Rede und mit sprachlosem Entsetzen las er:

„Napoleon Deine Macht
werd’ von der Welt verlacht!
Napoleons hoher Glanz
umdunkle bald sich ganz!
des Franzmanns kluger Krieg
bleib’ ohne allen Sieg!
Napoleon ganz allein
fall Unglück nur anheim!“

„Die Gedankenstriche scheinen mir sehr bedeutungsvoll, Herr Baron!“ rief Herr von F…au mit erzwungener Ruhe.

„Das pflegen Gedankenstriche gewöhnlich zu sein!“ entgegnete der Baron mit vollkommenster Fassung.

„Durch die Trennung der Sätze beknmmt die Sache eine ganz andere Wendung!“

„Jede Trennung pflegt der Sache eine andere Gestalt zu geben. Nehmen Sie einfach mein schönes Vaterland. Was würde Deutschland sein, wenn es nicht getrennt wäre?“

„Dann wäre es Frankreichs Un – –“ Herr von F…au brachte diesen Satz nicht zu Ende. Die Gedankenstriche, die er, von plötzlicher Vorsicht erfaßt, im Geiste machte, waren auch bedeutungsvoll!

L. E.




Für „Vater Arndt“

gingen weiter bei dem Unterzeichneten ein: 1 Thlr. Wolf, Gastwirth in Kottewitz – 1 Thlr. W. Opetz in Gotha – 15 Ngr. Aug. Opetz in Gotha – 18 Thlr. 15 Ngr. erste Sammlung der Redaction der Turmzeitung.

Ernst Keil.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_240.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)