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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 17. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Nicht wie die Welt.

Nicht wie die Welt – was weiß die Welt? –
Nicht wie die Welt verlanget,
Sie, die den Sinn auf Täuschung stellt,
Mit buntem Schaume pranget,
Nicht wie die Welt begehrt und liebt,
Ich handle, wie das Herz es gibt.

Was habt ihr von der Gleißnerei
Und all den glatten Lügen?
Den Schelm wird doch, wie klug er sei,
Ein andrer Schelm betrügen.
Spitzbüberei ist eitler Wahn,
Gradaus bleibt dennoch wohlgethan.

Nein, weil die Welt im Argen liegt,
Sollst Du im Guten stehen.
Wer sich zum losen Strudel fügt,
Muß mit zu Grunde gehen.
Will gar kein Andrer mit Dir sein,
So tritt seitab und steh’ allein.

Karl Lappe.




Die Geschiedenen.
Von Hermann Schmid.
(Schluß.)

Amalien konnte Rudolphs Gemüthsstimmung nicht entgehen – sie erkannte klar, daß dieses Verhältniß unhaltbar war, aber ehe sie sich entschloß, zu handeln, mußte sie gewiß wissen, daß keine Täuschung obwaltete.

Sie erhielt diese Gewißheit bald. Bald nach jenem verhängnißvollen Abende hatte sie bemerkt, daß das von Theresen gestickte Uhrkissen mit ihren Haaren von seiner Stelle über Rudolphs Schreibtisch verschwunden war. Sie fragte nicht darnach, aus zarter Schonung, aber sie freute sich einen Augenblick an der Hoffnung, Rudolph könnte dasselbe entfernt haben, um sich eine herbe Erinnerung zu ersparen. – Als sie einmal zu etwas ungewöhnlicher Stunde Rudolphs Zimmer betrat, hatte er weder ihr Pochen noch ihr Eintreten gehört, und stand von ihr abgewendet vor dem Schreibtische. In der Hand hielt er das vermißte Uhrkissen und starrte mit leidenschaftlichen Blicken darauf hin. „Gewiß,“ murmelte er halblaut und rasch vor sich hin, „Du würdest mir verzeihen, wenn Du wüßtest, was ich leide! Mit diesen Locken hast Du mich gebunden für die Ewigkeit … es hält mich noch, das selige Band! Es zieht mich zu Dir – ich schwebe im Geiste um Dich … es ist nur der hülflose Körper, den die Sclavenkette zurückhält …“

Amalie zuckte schmerzlich zusammen – aber sie zog unbemerkt und geräuschlos die Thüre wieder zu und schritt leise von dannen. Sie wußte genug. Von nun an war es ihr einziger Gedanke, das Verhältniß zu lösen, das Rudolph an sie fesselte – er sollte um ihretwillen keine Sclavenketten tragen; er sollte so frei sein, als ob sie ihm nie begegnet wäre – ungehindert von ihr sollte er zu Theresen zurückkehren können, um bei ihr das Glück zu finden, das sie ihm nicht mehr zu gewähren vermochte.

Welchen Weg sollte sie dazu wählen? Zu einer vom Gesetze vielleicht gestatteten Scheidung fehlte jeder Grund – zu einer Unwahrheit wollte sie nicht greifen, auch war es zweifelhaft, ob Rudolph zu einem solchen Schritte seine Zustimmung geben, ob er nicht Stolz genug besitzen würde, ein solches Opfer von ihr zurückzuweisen. Auch das unvermeidliche Aufsehen, das ein solcher Schritt mit sich bringen mußte, stellte sich ihr abmahnend entgegen. Bald war es ihr klar: was geschehen sollte, war auf diesem Wege unmöglich, es mußte vielmehr natürlich und ohne alle Auffallenheit kommen, wie irgend ein anderes Ereigniß des Tages.

Sie kannte nur einen Weg, der zu diesem Ziele führte, und sie beschloß, ihn zu gehen, nicht in einer leidenschaftlichen Wallung, sondern mit voller Ueberlegung, mit der bewußtesten Ruhe – sie beschloß, zu sterben.

Wenn sie ihr ganzes Leben zurück dachte, konnte sie in Wahrheit sagen, daß es eine stete Aufopferung für die Freunde ihrer Jugend gewesen; sie wollte jetzt, wo sie allein trennend zwischen Beiden stand, das letzte Opfer bringen und ihr Glück neu begründen. Niemand, am allerwenigsten Rudolph und Therese, sollte ahnen, was sie gethan; ihr Tod sollte ein natürlicher sein, von keiner Absicht, sondern von einem traurigen Zufalle veranlaßt.

Das Herannahen des Winters reifte ihren Plan, indem es ihr die Möglichkeit der Ausführung zeigte. Die kalten Herbstnächte gaben ihr Veranlassung, sich, wie es auch wohl früher geschehen war, Kohlen in den Ofen ihres Schlafzimmers stellen zu lassen. Das wurde zur täglichen Anordnung, und so konnte es Niemand auffallen, wenn sie eines Morgens vom Kohlendampf getödtet gefunden wurde, denn Jedermann mußte annehmen, daß sie aus Versehen den Ofen zu schließen unterlassen hatte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_257.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)