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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

oder ein einzelner Faden seiner ursprünglichen Stärke und Schönheit beraubt.

Von dieser Zeit an, nun schon vier oder fünf Jahre – lebten diese zwei Männer, die sich in einem Tamarack-Gehölz an der Küste des Superior-Sees in der obenerwähnten Weise begegneten, als Brüder, und der rothe Mann würde sich den schrecklichsten Folterqualen unterzogen haben, wenn er dadurch seinen weißen Freund auch nur vom geringsten Schmerz oder Uebel befreien konnte. Sie waren Brüder, wenn auch nicht durch die Bande des Bluts, so doch durch den Bund ihrer Herzen, und wehe dem, der es wagte, seine Hand drohend gegen einen von ihnen zu erheben!

Der Sturm hatte nun begonnen, und das kleine Schiffchen ward von den hochgehenden Wogen wie eine Feder umhergetrieben. Fern von dem Lande und von der laubbedeckten Küste, wo der Koem-au-is-tique seine Fluthen in den See ergießt, fuhren sie gegen Isle Royal, das noch viele Meilen entfernt war. Sie waren furchtlos und gewandt, aber was kann der schwache Arm des Menschen thun, wenn er mit dem Nordsturm und der zürnenden Woge kämpft? Als die Gefahr am höchsten war, der Sturm am wüthendsten heulte und die Wogen über dem Schiffchen zusammenschlugen, brach das Ruder des Indianers, wie eine dünne Gerte. Winters verdoppelte nun seine Anstrengungen, aber auch sein Ruder war zu schwach, um dem Druck der Wogen zu widerstehen, es brach ebenfalls, und sie waren hülflos dem Toben des wüthenden Sturmes preisgegeben.

Widerstandslos von dem Sturme fortgetrieben, waren sie bald von ihrem Wege entfernt und wurden nach der Küste getrieben, die sie erst vor kurzer Zeit verlassen. Nur ihre vollkommene Selbstbeherrschung, ihre genaue Kenntniß der Handhabung eines Canoes und die bewegungslose, statuengleiche Haltung, die sie beobachteten, rettete sie von dem Umstürzen des gebrechlichen Fahrzeuges. So saßen sie mehrere Stunden lang auf dem Boden des Canoes, bis sie der Sturm auf einen Felsen an der Küste trieb und das Canoe zerschmetterte.

Winters hatte sich glücklicherweise an einem kleinen Baume, der in einer der Felsenspalten festgewurzelt war, festgehalten und war verhältnißmäßig sicher. Nicht so sein rother Freund, der bei dem Umschlagen des Canoes von demselben getroffen und, von den scharfen Felsenriffen verwundet, durch die zurücktreibenden Wellen weit vom Lande ab in den See getrieben wurde. Winters athmete tief auf, dachte einen Augenblick über seine Lage nach, und dann ertönte der Schrei des weißen Mannes selbst durch den heulenden Sturm, denn sein erster Gedanke war die Sicherheit seines Freundes gewesen. Eine Zeit lang kam keine Antwort, und Winters war im Begriffe ihn als verloren aufzugeben und sich einen Platz zu suchen, von dem aus er die Küste erreichen konnte, als eine freundliche Woge den verwundeten Indianer der Küste nahe brachte, und er dessen mit schwacher Stimme gegebene Antwort hörte. Ohne an sich oder an die drohende Gefahr zu denken, stürzte sich Winters in die schäumenden Wogen und faßte den Körper seines Freundes. Furchtbar und lang war der Kampf mit dem wüthenden Elemente, doch endlich war er mit Unterstützung der Macht, die den Wirbelwind regiert, erfolgreich und Beide erreichten das feste Land.

Ihre Lage war aber nicht die angenehmste. Auf einer feindlichen Küste, ohne zu wissen, wo sie waren, umgeben von dem Sturm und dichter Finsterniß, ihre Büchsen im tiefen See begraben, ohne es wagen zu dürfen, ein Feuer anzuzünden, ohne Lebensmittel oder die Gelegenheit solche beizuschaffen, und einer von ihnen schwer verwundet: dies war eine Lage, die selbst Nerven von Stahl und waldgeborne Männer auf die Probe setzen konnte. Sie suchten sich indeß einen Platz aus, wo sie sich bequem niederlassen konnten, legten sich neben einander nieder und waren so schnell entschlafen wie ein Kind, das von seiner Mutter in Schlaf gewiegt wird. Sie schliefen, während der Sturm wüthete und tödtliche Gefahr sie umringte, trotz Hunger und Schmerz, – ruhig schlafend, bis Mutter Natur ihnen sagte, daß ein anderer Tag glorreich für ihr schönes Reich, die Erde, hervorbreche!

Der Morgen brach an in Glorie und Sonnenschein, und mit dem ersten Vorgesang der Vögel des Waldes brachen unsere kühnen Jäger auf. Die Natur, stets gebieterisch in ihren Forderungen, verlangte Nahrung, und diese war für waffenlose Männer im dichten Urwalde nicht so leicht zu erhalten. Die feuchten Moose (Leberkraut), die überall auf den Felsen wuchsen, konnten wohl ihr Leben fristen, aber dies war keine genügende Nahrung für sie. Wie konnten sie sich eine bessere verschaffen? Sie waren zu erfahren und hatten zu viel gelernt in der rauhen Schule eines Lebens an der Grenze der Civilisation, als daß sie einen Augenblick gezögert hätten, um zu berathen, was sie thun sollten. Die „Weiße Fichte“ war kaum erwacht, als er aus den dünnen Wurzeln, die sich an die beinahe erdlosen Felsen anklammern, kunstvolle Schlingen machte, um die Hasen, von denen der Wald voll war, zu fangen. Er stellte die Schlingen vorsichtig auf, und nur kurze Zeit verging, bis mehrere Schlingen ihre Opfer festhielten. Während der rothe Mann die Hasen abbalgte, ausweidete und zum Braten zurecht machte, fertigte Winters aus einem Hasenbeine einen groben aber scharfen Angelhaken an. Dann flocht er aus Baumrinde einen starken und langen Faden, befestigte die Angel daran, steckte auf dieselbe ein Stück Fleisch als Lockspeise und versuchte sein Glück im tiefen See. Auch er hatte Erfolg, und ihr Mahl von gerösteten Hasen und Fischen war ihnen ein größerer Genuß, als ein Mahl auf silbernen Tellern in der Heimath des Reichen.

„Weiße Fichte,“ sagte der Trapper, als er einen Haufen Beine, die er von jeder Fleischfaser befreit hatte, bei Seite schob und seine Pfeife anzündete, „es ist nicht Zeit für uns, lange hier zu bleiben.“

„Die Krieger der Ojib-was wissen, daß der böse Geist des Sturms über den Gewässern schwebte,“ sagte der Indianer, „und sie werden nicht vergessen, an der Küste nach seinen Spuren zu forschen!“

„Ja, und unser Feuer wird sie auf unsern Weg führen, gleich dem Aasgeier, der uns zeigt, wo ein todter Büffel liegt.“

„Der Rauch von trocknem Holze mischt sich mit den Wolken und verschwindet, und nur grünes Holz trübt den heitern, sonnerfüllten Himmel.“

„Aber ihre Augen sind scharf wie die des Adlers, wenn er mit ausgebreiteten Flügeln segelt und nach seinem Opfer späht,“ erwiderte Winters.

„Das Auge des Fischreihers kann nicht den Pfad der Forelle unter dem Wasser sehen, noch das Auge des Kriegers den weißen Rauch in dem Nebel der Morgenluft.“

„Das ist Alles wahr, aber ich bleibe nicht gern hier.“

Die Weiße Fichte sann einige Secunden nach. „Der Jäger möchte seinen Mocassin vom Pfade der Gefahr abwenden. Es ist gut!“

„Ja, und welchen Weg wollen wir einschlagen?“

„Der gejagte Cariboo[1] versucht vergebens die Jäger von seiner Fährte abzubringen; er weiß nicht, wohin er seine Schritte richten, noch in welchem Dickicht er seine vielzweigigen Hörner verbergen soll.“

„Wir wissen indeß doch mehr, als die stummen Thiere des Waldes.“

„Der Manitou gab seinen Kindern das Wissen, das sie zum Meister über Alle macht.“

„Ja, und wir thäten besser es zu benützen, wenn wir hoffen sollen uns zu retten.“

„Mein Bruder ist kein Kind,“ erwiderte die Weiße Fichte, „sondern ein gewaltiger Jäger. Sein Stamm ist zahllos wie die Blätter auf den Bäumen, wie die Tropfen in dem Busen des großen Sees.“

„Du sprichst wahr, und wir wollen zu ihnen gehen.“

„Die Winde und das Moos am Baume sind am dicksten an der Seite, von wo der mächtige Nordwind bläst.“

„Die Sonne geht im Osten auf und weit über die westlichen Prairien unter.“

„Das glänzende Auge des Manitou funkelt stets vom nördlichen Himmel, und das Blitzen seines Gürtels strömt weit über die Welt.“

„Ich kenne den Nordstern und das Nordlicht gut genug,“ sagte Winters. „Es ist keine Gefahr, daß wir uns verirren, so lange wir dem See folgen; komm denn und laß uns aufbrechen.“

„Wenn die Sonne den Thau auf den Blumen getrocknet, dann läßt der Mocassin keine Spur hinter sich.“

„Das ist auch wahr, und so, Weiße Fichte, haben wir nichts zu thun, als so ruhig wie ein Biber zu sein für eine Weile, und dann wollen wir unsere Scalps retten, wenn wir können.“

„Der Gesang meines Bruders wird noch in den Wigwams seines Stammes gehört werden. Ching-wau-konce hat gesprochen.“

Jetzt legte er sich auf den Boden nieder, schloß seine Augen und war anscheinend bald in tiefen Schlaf versunken.

(Schluß folgt.)



  1. Cariboo (sprich Karibu): eine Hirschgattung, deren Hörner sich durch eine ungewöhnliche Zahl von Zweigen auszeichnen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_260.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)