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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nach dem Bade Heinrichsbad bei St. Gallen. Er antwortete ihr, wie ihr entgegenkommendes Wohlwollen ihn rühre, und daß er an dem bestimmten Tage in Heinrichsbad sich einfinden werde. Er reiste mit der Frau Leuthold hin. Babette war aber nicht da. Man wartete drei Tage vergeblich auf sie. Am dritten traf endlich ein Brief an die Mutter von ihr ein, sie könne unmöglich kommen, weil ihrem Verwandten Hotz 80,000 Franken gestohlen seien.

In Zürich erhielt er dann bald nachher selbst einen Brief von ihr, des zärtlichsten Inhalts. „Theuerster Herr Doctor!“ Er möge ihr Ausbleiben im Heinrichsbade nicht falsch auslegen. In ihrem Inneren glühe es von Freundschaft, die an Liebe grenze. Sie habe nie geglaubt, daß die Sehnsucht nach einem theuren Freunde sie so quälen könne. Sie hoffe ihn bald zu sehen. „Verzeihen Sie meine zuvorkommende Gesinnung. Ihre Barbara Zollinger.“ Zärtliche Antworten folgten hin und her.

Zuletzt gegen Ende September kam eine Einladung nach Bern, in den Gasthof zum Bären. Dr. A. reiste mit der Frau Leuthold hin. Babette war aber wieder nicht da, und die Leuthold ging in ihre Wohnung allein, sie zu holen; A. mußte im Gasthofe zurück bleiben. Die Leuthold kam allein zurück, die Babette habe nicht mitkommen können; es sei ein junger Doctor da, der Absichten auf sie habe, und von dem sie sich nicht habe losmachen können. A. und die Leuthold blieben dennoch drei Tage zusammen in dem Gasthofe und lebten wohl. Am dritten Tage schickte sie ihn nach Thun, wohin sie mit der Tochter nachkommen werde; er mußte dort wieder um mehrere Tage warten. Endlich kam die Leuthold mit der Geliebten; es war ein hübsches, elegant gekleidetes junges Mädchen. Sie blieben die Nacht in Thun und fuhren am andern Tage nach Aeschi; dort wurden die jungen Leute bald einig, und es fand die Verlobung statt.

Die junge Braut mußte dann aber sofort verreisen, in Erbschaftsangelegenheiten nach Uster, wie man ihm sagte, wo im August der Oberst Kunz gestorben war, der Pathe der Braut „und noch mehr“. Sie reiste mit der Mutter ab; A. aber wurde nach Interlaken bestellt, wo er die Braut bald wiederfinden werde; sie kam zwar nicht, statt ihrer aber traf die Frau Leuthold wieder ein, und die Beiden blieben wieder beisammen. Die Babette werde in Bern zurückgehalten. Erst nach einiger Zeit langte endlich auch die Braut an, aber sie mußte bald in ihren Erbschaftsangelegenheiten wieder fort; A. und die Leuthold blieben allein in Interlaken zurück, und lebten da wohlauf und vergnügt im Hotel Ritschard, einem Gasthofe ersten Ranges; A. ließ sogar einen Freund hinkommen, in dessen Gesellschaft sie dann Reisen in dem schönen Berner Oberlande machten. Das lustige Reiseleben setzten A. und die Leuthold fort, nachdem der Freund sie wieder verlassen hatte, drei Wochen lang im Ganzen. Die Braut kam nicht zu ihnen zurück, obwohl mehrere telegraphische Depeschen von verschiedenen Seiten sie jedesmal vergeblich anmeldeten.

Als endlich Mitte October A. nach Zürich zurückkehrte, erfuhr er dort, daß eine Babette Zollinger gar nicht existire, daß die Leuthold gar keine Tochter habe, und daß die Person, die ihm als solche vorgestellt worden und mit der er sich verlobt, eine Weißnäherin Namens Anna Messerschmidt aus Zürich sei. Von wem er zuerst die Aufklärung erhalten hatte, erinnere ich mich nicht mehr ganz genau; entweder war es die Wittwe Suter, bei der die Messerschmidt wohnte, oder diese war es selbst. Die Suter behauptete nachher bei ihrer Vernehmung, sie sei es gewesen, und eine Confrontation hat darüber nicht stattgefunden. Gewiß ist, daß auch die Messerschmidt bei der ersten Gelegenheit, da er sie wieder sah, ihm Alles offen und aufrichtig bekannt hatte.

A., nachdem er von der mit ihm gespielten Komödie – oder wollen wir es einstweilen noch mit der Staatsanwaltschaft als Verbrechen des Betrugs bezeichnen? – Kenntniß hatte, wurde von der Leuthold nach Aarau bestellt, wo er dann unter der Drohung, er werde sie sonst mit ihrer ganzen Sippschaft einsperren lassen, von dem Weibe, die er noch immer für reich hielt, eine Entschädigung forderte. Sie stellte ihm ohne Schwierigkeit einen Schuldschein von 10,000 Fr. aus.

Das war im Wesentlichen die Aussage des Dr. A. auf die Befragung des Staatsanwalts. Er hatte sie, wie gesagt, vielfach leicht, lächelnd, selbst scherzend abgegeben. Das sollte anders werden. Das Kreuzverhör der Vertheidiger mit ihm begann.

„In welchem Verhältnisse,“ wurde er zuerst befragt, „er mit der Anna Messerschmidt geblieben, nachdem ihm schon Alles entdeckt sei?“ Der Vertheidiger der Messerschmidt las dabei einen Brief vor, den er, A., am 27. October an sie geschrieben, und in dem es hieß: „Geliebte Anna, ich berichte Dir, daß ich morgen um zehn Uhr nach Baden reise, um zu sehen, wie Wort gehalten wird. Ich hoffe, daß Du Schritte für Deinen Paß gethan hast, wie ich für den meinigen. Sei unverzagt und bleibe treu; zweifle nicht an mir, der ich Dich liebe“ u. s. w.

Seine Antwort sagte Folgendes: Er hatte ihr Alles verziehen. Er hatte sie selbst für betrogen gehalten. Er verlobte sich von Neuem mit ihr und redete mit ihr ab, daß sie zusammen nach Amerika gehen wollten, da er doch hier einmal in eine „schandvolle Lage“ gekommen sei. Darum jener Brief und die Besorgung der Pässe. Das war zu der Zeit, als er die Schuldverschreibung über 10,000 Fr. von der Leuthold hatte und diese noch für reich hielt. Als aber darauf die Leuthold wegen des Weidmann’schen Betrugs in Untersuchung gerieth und nun ihre Verhältnisse bekannt wurden, da brach er auch das mit dem Mädchen kaum wieder angeknüpfte Verhältniß wieder ab, und er konnte, trotz der „schandvollen Lage“, in die er hier gerathen war, hier in seiner bisherigen Stellung als Assistenzarzt verbleiben.

„Ob er schon früher verlobt gewesen?“ wurde er gefragt. Er mußte Ja sagen. Er war seit Jahren mit einem braven Mädchen in seiner Heimath verlobt gewesen. Er hatte das Verhältniß aufgelöst, als ihm eine gemeine Betrügerin die erste beste Person zuführte, unter der Vorspiegelung von Geld, unter eben so frechen wie lächerlichen weiteren Vorspiegelungen und Schwindeleien. Er hatte das Verhältniß aufgelöst, ohne einen Grund angeben zu können, obwohl von Freunden ermahnt und verwarnt, ja obwohl –

„Auf wessen Kosten er seine Studien vollendet und sein Doktorexamen gemacht habe?“ fragte ihn der Vertheidiger.

Der Vater seiner Braut hatte ihm, der keine Mittel besaß, 900 Fr. dazu hergegeben. Er mußte es selbst sagen vor dem Gericht, vor den Geschworenen, vor allen den Leuten. Und er hatte diese Braut verlassen, unglücklich gemacht, das Geld hatte er nicht zurückerstattet, konnte er nicht zurückerstatten. Ein Gemurmel der Entrüstung erfüllte den Gerichtssaal.

„Wußte die Messerschmidt von dem Verhältniß zu Ihrer Braut?“ fragte der Vertheidiger. Es war die Zeit gemeint, da A., nach Mittheilung des Betrugs, sich zum zweiten Male mit der Messerschmidt verlobt halte.

Der Zeuge mußte „Ja“ antworten.

„Und was that sie?“

„Sie wollte zurücktreten.“

Und die Messerschmidt saß auf der Anklagebank, und er auf dem Zeugenstuhle! Aber freilich, eine andere Anklage, als der Staatsanwalt gegen ihn anstellen konnte, hatte schon gegen ihn begonnen und wurde immer weiter geführt, und die Strafe ereilte ihn schon während und mit dieser Anklage.

„Wie lange die Reise mit der Frau Leuthold und theilweise der Messerschmidt nach Thun, Interlaken und weiter in das Berner Oberland gedauert habe?“ fragte ein anderer Vertheidiger.

„Drei Wochen.“

„Ob die Reise viel Geld gekostet?“

„Zwölfhundert Franken.“

„Wer das Geld bezahlt habe?“

„Die Frau Leuthold.“

Sie waren auf den Eisenbahnen in der ersten Classe gefahren; sie hatten in den Gasthöfen ersten Ranges logirt. Sie hatten sich nichts abgehen lassen, meist der Herr Doctor mit der Frau Leuthold allein. Sie hatte ihm eine vollgespickte Börse zum Bezahlen der Reisekosten übergeben. Er hatte ihren Leibarzt und Reisemarschall gemacht, und noch mehr. So war das Geld des armen Weidmann verpraßt, der unterdeß schon angefangen hatte, mit Weib und Kindern zu hungern, um die Geld- und Lustgier des nichtswürdigen Weibes noch immer mehr befriedigen zu können. Freilich der Teufel der Habsucht hier und da!

„Ob ihm die Leuthold nicht auch Geschenke gemacht?“ fragte wieder ein anderer Vertheidiger den A.

Er mußte es einräumen; er hatte von der Frau erhalten: neue Kleider, Tabatieren, goldene Hemdknöpfe, zwölf feine Battisthemden, Foulards, einen goldenen Ring, eine silberne Cigarrenspitze, baar Geld, zusammen über 1000 Fr. werth. Ein Theil

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