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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

eintraten, sie fortführten und an einen verkohlten Pfahl vor der Thür des Berathungshauses der Ojib-was banden.

Nachdem die verschiedenen Formen und Ceremonien, die bei solchen Gelegenheiten üblich, erfüllt waren, nachdem die Pfeife geraucht worden und der Medicin-Mann feierlich die Runde gemacht und seinen Sitz eingenommen, erhob sich der „Brüllende Wind“, der Häuptling der Ojib-was, und sprach:

„Die Hände der Weißen Fichte und des Blaßgesichtes sind mit dem Blute unseres Bruders befleckt. In den tiefen Wildnissen des Waldes, fern von dem beschützenden Arm seines Stammes, trafen sie ihn. Sein Scalp hängt in ihrem Wigwam, und sein Blut schreit laut um Rache. Der Uebel verkündende Rabe und die Raubthiere haben seinen Leichnam in Stücke zerrissen, seine unverletzten Gebeine bleichen im Sonnenschein und Sturm, und sein Geist wandert fern von den glücklichen Reichen der Ruhe!“

Die Weiße Fichte richtete seine Gestalt zu ihrer ganzen Größe auf, warf stolz einen Blick der Herausforderung auf seine Feinde, seine dünnen Lippen kräuselten sich verachtungsvoll, aber er sprach kein Wort. Nicht so Winters, der die Anklage als falsch erklärte, sagend:

„Es ist eine elende, gemeine Lüge!“

„Das Blaßgesicht spricht nicht gut,“ erwiderte der Häuptling.

„Gut oder bös, ich spreche die Wahrheit.“

„Die Winde haben es für die Ohren der Ojib-was gesungen, und das strömende Blut hat unsere Nüstern erreicht.“

„Die Winde sind falsch und das schwarze Blut faul!“

„Der Manitou des Windes spricht stets die Worte der Wahrheit und Weisheit. Seine Zunge ist nicht gespalten und seine Wege nicht krumm. Das Blaßgesicht soll sprechen, die Krieger werden ihn hören!“

„Die Weiße Fichte und ich bewachten unsere Biberfallen, die wir an dem Ufer des Guargontwa aufgestellt. Wir waren müde von der Jagd und träumten nicht von Gefahr, doch des Jägers Augen sind stets offen. Als wir daselbst lagen, da fiel ein Laut in unser Ohr, gleich dem sanften Tritt des Panthers, wenn er in den dunklen Stunden der Nacht auf Raub ausgeht. Wir stellten uns schlafend, wachten jedoch, wie die Schlange den Vogel bewacht, der um sein kleines Nest kreiset. Die „Kriechende Rebe“ der Ojib-was stahl sich vorsichtig durch die dicken Zweige, sein Bogen ward gespannt und der Pfeil auf die Armbrust gelegt. Er zögerte einen Augenblick und sah um sich. Er glaubte, die Weiße Fichte und der Todsender schliefen, aber sie schliefen nicht. Dann schnellte der giftgetränkte Pfeil von der schwirrenden Sehne, als ein Todesbote, wie er hoffte, für seinen rothen Bruder. Euer Manitou jedoch lenkte den Pfeil seitwärts, und als die Kriechende Rebe vorwärts sprang mit seinem Tomahawk, um ihr Blut zu trinken, begegneten sie ihm in tödtlichem Kampfe, und er fiel, wie ein teuflischer Mörder fallen sollte! Die Kriechende Rebe war ein Dieb! Er würde seinen rothen Bruder und mich ermordet und dann unsere Fallen gestohlen haben. Nun macht vorwärts mit Eurer Berathung und thut Euer Schlimmstes.“

„Das Blaßgesicht spricht wie der müßige Wind zu der Herbstblume, und flüstert ihr von den Freuden des Sommers zu, während der Frostkönig seine Flügel mit Federn besetzt, um den Flug der Zerstörung zu beginnen.“

„Bindet mich los, wenn Ihr es wagt, und ich will Euch diese Lüge verschlucken machen!“

Der Häuptling kehrte sich, ohne die Worte des Todsenders weiter zu beachten, und sprach zu der Gruppe der Krieger, die ihn umringte, und es währte nicht lange, so war ihre Berathung geschlossen. „Die Weiße Fichte von den Ojib-was und der Todsender von den weißen Männern müssen den Foltertod erleiden. Laßt den weißhaarigen Medicin-Mann – ihn, auf dessen Haupt die Weisheit von hundert Wintern gefallen – zu dem der große Manitou in der Stunde des Schweigens, wie während des Heulens des Sturmes und des Brüllens des Donners kommt, sprechen.“

„Nicht durch die Hand seiner Brüder, noch auf diese muß der Flecken von eines Mörders Blut fallen,“ sagte der Medicin-Mann. „Laßt sie uns den wilden Thieren des Waldes, deren Herzen sie sich angemaßt haben, vorwerfen. In die Wolfsgrube sollen sie geworfen werden! Ich habe gesprochen.“

Fürchterlich, wie dieser Urtheilsspruch war, verstanden die Weiße Fichte und der Todsender gar wohl, was es hieß, in die Höhle der wilden Wölfe, durch Hunger und Durst toll gemacht, geworfen zu werden; und doch kannten sie die ganze Schrecklichkeit des ihnen bevorstehenden Schicksals nicht. In Stücke zerrissen zu werden, zu fühlen, wie das Blut aus vielen klaffenden Wunden strömt, und zu leben, bis ihre noch immer schlagenden Herzen aus ihrer Brust gerissen wurden, war ein schreckliches Schicksal, aber noch immer nicht so schrecklich, als die teuflischen Folterqualen, die vorbereitet waren und vollzogen worden wären, wenn der Medicin-Mann nicht diesen Ausspruch gegeben hätte.

In einer stark gebauten Holzumzäunung befanden sich zwei große schwarze Waldwölfe, die wildesten, kräftigsten und unzähmbaren Thiere des Wolfsgeschlechtes, und beide rasten in Folge der Wasserscheu (Hydrophobia), die sie ergriffen hatte. Aller Nahrung beraubt und fortwährend durch den Anblick von Wasser, das man ihnen vorhielt, wüthend gemacht, das wilde Geheul, die mit blutigem Schaum bedeckten Lippen, die schnappenden Kinnbacken und feurigen Augen, all dies sagte, wie gut sie vorbereitet waren, den schrecklichen Urtheilsspruch der Ojib-was über die wackern und kühnen Gefangenen auszuführen.

Von ihren Banden befreit und von einem Haufen grimmiger Krieger umgeben, wurden sie nach der Wolfsgrube gebracht. Ching-wau-konce ging mit festem Schritt und ungebeugtem Haupte in ihrer Mitte, ohne in seinen Zügen irgend eine Bewegung zu verrathen, seine Augen sahen herausfordernd und stolz auf seine Feinde, und über seine Lippen kam der Schlachtgesang. Winters, der eben so tapfer wie sein Gefährte war und den Tod eben so wenig fürchtete, stieß furchtbare Verwünschungen und Flüche aus.

Als sie die Wolfsgrube erreicht hatten, und das Dach geöffnet war, riß die Weiße Fichte ein Messer aus dem Gürtel eines Kriegers und sprang auf das Dach. Einen Augenblick zögerte er und dann, ehe noch der Schall seines Schlachtgesanges in der Luft erstorben war, sprang er hinab zu den rasenden Thieren.

Der Todsender schritt, einen schauerlichen Fluch ausstoßend, vorwärts, um seinem Gefährten zu folgen. Schon hatte er die Hand auf das Dach gelegt, als plötzlich ein Gürtel von Wampum um seinen Hals geworfen und eine Adlerfeder in sein Haar geflochten wurde. In demselben Augenblick fühlte er auch den Druck einer warmen Hand und sah vor sich ein Indianer-Mädchen zu seinen Füßen knieen, die mit feuchtem Blicke zu ihm hinauf schaute.

Er kannte die Bedeutung dieses unerwarteten Zwischenfalles, er war gerettet, denn die „Feder des Raben“ von den Ojib-was hatte ihn im letzten Augenblicke zu ihrem Gatten erwählt, und von da ab war sein Leben gesichert.

Mit geöffnetem Rachen und ausgestreckten Klauen stürzten sich die tollen, wilden Bestien auf Ching-wau-konce, ehe er noch den Boden der Grube erreicht hatte. Er faßte den, der ihm am nächsten war, bei der Kehle mit der linken Hand, und zwar so fest, als hätte seine Hand Sehnen von Stahl, während er mit der Rechten das Messer mehrere Male tief in den Körper des Wolfes begrub. Er hielt die Bestie so lange und handhabte sein Messer so kräftig, daß endlich das tödtlich getroffene Thier im Todeskampfe zusammensank. Dann warf er es weit von sich und kehrte seine Aufmerksamkeit auf den andern, der ihn fortwährend gebissen hatte.

Er führte einen mächtigen Stoß mit dem Messer auf das Thier, aber das Messer senkte sich auf den dicken Schädel und zersplitterte bis zum Handgriffe. Er war nun waffenlos! Das Herz der Weißen Fichte verzagte indeß nicht und er faßte den Wolf mit beiden Händen bei der Kehle, nahm seine Riesenstärke zusammen, um ihm die Kehle zuzudrücken, und die hängenden Füße und schlaffen Kinnladen zeigten, daß das Leben der Bestie erloschen war.

Dieser Mann hatte mit seiner überlegenen Kraft und mit unbeugsamem Muthe einen der wildesten Bewohner des Waldes erwürgt, der durch Hunger und Wasserscheu rasend geworden war.

Befreit von seinen wilden Feinden, setzte sich Ching-wau-konce, ohne daran zu denken, seine Wunden zu verbinden, in den dunkelsten Winkel der Grube und sein Haupt auf seine Kniee beugend, erwartete er ruhig sein Schicksal. Er wußte nur zu wohl, was es sein würde: lange und furchtbare Tage schrecklicher Schmerzen und dann ein qualvoller Tod, den keine Feder zu beschreiben vermag.

Winters, so unerwartet von Folterqualen und Tod befreit durch eine der schönsten Töchter der Ojib-was, Rabenfeder, die Tochter des Anführers des ganzen Stammes, genannt der „Brüllende Wind“, stand wie bewegungslos, bis die weiche Hand des Mädchens die seinige sanft ergriff und ihn freundlich nach ihrem Wigwam führte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_275.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)