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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mit jubelnder Begeisterung genannt ward, und dieser mit einem Male, überrascht und überraschend, in die Reihen der gefeiertsten Dichter trat. Von früher Jugend an hatte Grillparzer’s Vorliebe sich der schönsten aller schönen Wissenschaften gewidmet, und dem durch die Romantiker geleiteten und beherrschten Zeitgeschmacke huldigend, versuchte er sich damals an einer Nachdichtung des Calderon’schen Schauspieles „das Leben ein Traum“. Schreyvogel, bekannter unter seinem Schriftstellernamen C. A. West, der seit 1814 als Dramaturg des Hofburgtheaters einen fördernden und belebenden Einfluß übte, ging zufällig mit ganz demselben Vorhaben um, und es erregte daher seine Neugier und Theilnahme in nicht geringem Grade, als er durch einen Amtsgenossen und Verwandten Grillparzer’s von dessen zusammentreffender Beschäftigung gesprächsweise unterrichtet wurde. Sein sachverständiges Urtheil über die Arbeit des Nebenbuhlers ergibt sich aus der an denselben gerichteten Frage, ob er sich denn noch nicht selbstschöpferisch auf diesem Gebiete versucht habe. Nach langem Zaudern gestand der schüchterne Jüngling dem eindringlich Forschenden endlich, daß er allerdings ein Stück in seinem Pulte begraben habe, nachdem der Seinigen Ausspruch: „Franz, laß das gut sein, Du bist kein Dichter!“ das Todesurtheil darüber gesprochen. Schreyvogel’s Unablässigkeit nöthigte dem hartnäckigsten Widerstreben von der anderen Seite schließlich auch noch die Handschrift ab, und nach gewissenhafter Durchsicht gab er sie nebst Andeutungen betreffs der ihm nöthig erscheinenden Aenderungen mit den Worten zurück: „Junger Freund, wäre ich Ihr Verwandter, so würde ich zu Ihnen sagen: Franz, fahre so fort, denn, bei Gott, Du bist ein Dichter!“

Der Erfolg hat über Beide entschieden. Während West’s Bearbeitung dem Calderon’schen Drama das Bürgerrecht auf unseren Bühnen bis auf den heutigen Tag gesichert, ging Grillparzer’s „Ahnfrau“ im Jahre 1816 sofort nach ihrem ersten Erscheinen auf dem Wiener Burgtheater mit rasender Schnelle über alle deutschen Breter, von denen der glänzendsten Hofbühne bis auf die der erbärmlichsten Scheune, erregte überall denselben Sturm des Beifalls, und versenkte allerorten in gleichen Rausch schauerseligen Entzückens. Vielfach ist sie in fremde Sprachen übersetzt, und zu jeder Zeit noch wird ihr überwältigender Eindruck unbefangene Zuhörer hinreißen.

Obschon der Dichter gleich in der Vorrede zu seinem Trauerspiele, dessen Erscheinen im Druck mit der ersten Aufführung fast zusammenfällt, sich gegen jede Mitgliedschaft der Schule ausdrücklich und ganz entschieden verwahrte, gehört die „Ahnfrau“ doch einer bestimmten Richtung an, die, mit Werner’s „vierundzwanzigstem Februar“ und Müllner’s „Schuld“ angebahnt, schnell die allgemeinste Gunst eroberte. Wie Schiller’s „Räuber“ und Goethe’s „Götz von Berlichingen“ den Anschluß der geraume Zeit lang in nicht minderer Aufnahme befindlichen Spitzbuben- und Ritterstücke vermittelten, bezeichnet Grillparzer’s „Ahnfrau“ den Abschluß der „Schicksalstragödie“. In ihr gipfelt sich die Idee der ganzen Gattung bis zu einer solchen Ungeheuerlichkeit empor, daß sie hart an die Travestie streift, wird aber auch in jeder anderen Hinsicht das Höchste geleistet, was dieses Feld hervorgebracht hat.

Der fast tolle Vorwurf ist mit besonnenstem Bühnenverstande behandelt und ausgeführt, alle Hebel der Breterwirksamkeit sind mit einem Geschick in Bewegung gesetzt, welches wagehalsige Kühnheit oder nüchternste Berechnung vermuthen läßt, jede Empfindung wird aufgewühlt, jeder Gemüthsnerv erschüttert, und so eine Gesammtwirkung erzielt, wie sie ein in seinem Fache ergrauter Veteran wohl hin und wieder als Frucht langjähriger Erfahrung und unermüdlichen Studiums erreichen mag, die ein so junger Anfänger aber nur mit dem göttlichen Instincte des Genie’s ermöglicht. Zu jenen vielleicht zu erarbeitenden äußeren Mitteln des Erfolges gesellen sich eine zügellose Leidenschaftlichkeit, deren Flamme verzehrend den ganzen Bau durchloht, eine Sprache voll Mark und Wohllaut, die bis zu flüsternder Zartheit sich herabstimmt und bis zum Grolle des Donners anschwillt, und ein poetischer Hauch, der über Allem weht, unerreichbare Vorzüge für den nicht geborenen Dichter. Die Richtung selbst ist längst gerichtet. In ihrer verschrobenen Unnatur, in ihrem grellen Widerspruche mit dem Organismus der äußeren und inneren Welt, dessen wahrheitstreuer Spiegel die weltbedeutenden Breter sein sollen, mußte sie selbst die Besinnungslosen wieder zur Besinnung bringen und zu Grabe getragen werden, gleich Allem, was nicht gesund und lebensfähig ist.

Die „Ahnfrau“ hat ihre Veranlassung und ihre Zeit überlebt, niemals aber wird sie sich selbst überleben, denn es ist ein Funke des Ewigen in ihr, den wir weder in Machwerken wie Brachvogels „Narciß“, noch in der ganzen poetischen Schöpfung dieser Tage entdecken, sie hat Poesie und Leidenschaft, Begriffe, die gleichfalls unter uns keine Gestaltung mehr gewinnen können.

Es spricht für den Charakter Grillparzers, daß er sich durch den außergewöhnlich glänzenden Erfolg seines Erstlings nicht verblenden noch verwirren ließ. Dem Höchsten zustrebend, verschmähte er die Gunst des Augenblickes und schuf, gehorsam der inneren Stimme, die ihn auf andere Bahnen wies, still und emsig weiter. Im Jahre 1818 ging „Sappho“ über das Burgtheater, und der Enthusiasmus, mit welchem sie aufgenommen wurde, beweist, daß der wirkliche Dichter nicht vom Tag und von der Menge, sondern daß diese von ihm gedrängt wird. Sophie Schröder, Deutschlands größte Schauspielerin, die gleichfalls bei Schiller’s Jubelfeier aus langer und undankbarer Vergessenheit wieder an das Licht getreten, feierte in der Titelrolle ihre größten Triumphe und hat sie zu Hause wie auf allen Gastspielen unzählige Male dargestellt. Grillparzer’s zweite Dichtung machte denselben schnellen und ruhmreichen Weg, wie die erste. Sie ist selbst ein ungemeiner und staunenswerther Fortschritt des Dichters. Ein einfacher, rein menschlicher Conflict, lose an die Sage von der weltberühmten griechischen Sängerin geknüpft, wird darin einfach und menschlich zur Anschauung und Lösung gebracht. Sappho, die Göttern gleich Verehrte, muß es erfahren, daß der Liebe freie Wahl durch Ruhm sich nicht erkaufen läßt, und von Phaon gegen eine arme Sclavin zurückgesetzt, stürzt sie sich in das Meer.

Im folgenden Jahre bereiste Grillparzer Italien. Nach seiner Zurückkunft veröffentlichte er einige Gedichte, die aus dortigen Anregungen entstanden waren. Eins davon, „das Kreuz auf dem Colosseum“, enthielt folgende Verse:

      „Thut es weg, dies heil’ge Zeichen,
Alle Welt gehört ja dir;
Ueb’rall, nur bei diesen Leichen,
Ueb’rall stehe, nur nicht hier!
Wenn der Stamm sich losgerissen
Und den Vater mir erschlug,
Soll ich wohl das Werkzeug küssen,
Wenn’s auch Gottes Zeichen trug?“

Sie wurden dem Dichter verhängnißvoll durch das Aergerniß, welches sie bei Hofe erregten, zu dem Grillparzer, der kurz zuvor Privatsecretair der Kaiserin geworden war, in näherer Beziehung stand. Auch zu dem damals in vollster Blüthe stehenden Metternich’schen System paßte es schlecht, daß ein ihm unterworfener Beamter auch nur den leisesten Anflug von Freisinnigkeit oder Freigläubigkeit äußerte, und noch dazu öffentlich; Grillparzer ward anrüchig und mußte elf Jahre im Staatsdienste ausharren, ehe er „systematisirter Hofconcipist“ wurde.

Die Folgen dieser Strophe, so geringfügig sie dem flüchtigen Blick erscheinen mögen, sind bedeutungsschwer für die Entwickelung des Dichters, und somit für dessen ganzes Volk; in ihnen ruht die Lösung für Vieles, was an dem hochbegabten Manne uns ein beklagenswerthes Räthsel dünkt. Im Jahre 1822 erschien die dramatische Trilogie „Das goldene Vließ.“ Von den drei Stücken vermochte nur „Medea“ sich durch Sophie Schröder’s meisterhaftes Spiel eine Zeit lang auf der Bühne zu halten; großen Anklang und ungetheilten Beifall haben sie niemals gefunden. Der ganz und streng dem Alterthum angehörige Stoff konnte auch mit der größten Geschicklichkeit unserer jetzigen Anschauung nicht durchgängig und versöhnend vermittelt werden, und so läßt trotz hoher einzelner Schönheiten das Ganze dennoch kalt. Unserer Zeit ist nun einmal die Antike in dieser Weise nicht mehr zugänglich zu machen, eine alte Erfahrung, an der trotzdem junge und beachtenswerthe Kräfte stets von Neuem wieder scheitern. Grillparzer zog Nutzen daraus und betrat mit seiner nächsten Schöpfung den Boden, in welchem jeder Dichter seine eigensten und tiefsten Wurzeln schlagen sollte, den vaterländischen. Obschon eine Verherrlichung des kaiserlichen Ahn- und Stammherrn, konnte das historische Trauerspiel „König Ottokar’s Glück und Ende“ doch erst nach manchen ängstlichen Bedenken und vielfachen Weiterungen 1824 in Wien zur Aufführung gelangen. Es ist jedenfalls Grillparzer’s tüchtigste und ausgezeichnetste Schöpfung und nicht, wie Manche meinen, ein specifisch österreichisches, sondern ein gut deutsches Stück, denn die Zeit, in der es stattfand, war eine andere, als die, welche es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_294.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2022)