Seite:Die Gartenlaube (1860) 302.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
V.

In ihren musikalischen Studien war Wilhelmine Schröder-Devrient sehr gewissenhaft. Jeden Morgen sang sie die Tonleiter und einige der Bordogni’schen Solseggien. Sie war längst eine Künstlerin von europäischem Ruf, als sie noch immer Musikstunden nahm, und so lange der alte, berühmte Gesanglehrer Mieksch – ein Schüler Bernacchis – in Dresden lebte, kehrte sie nach jeder Kunstreise unter sein despotisches Scepter zurück.

Diese Kunstreisen hatten Wilhelminen schon in den zwanziger Jahren von Königsberg bis an den Rhein geführt; in Berlin hatte sie verschiedene Mal gastirt; in München, in Frankfurt a. M., in vielen kleinern Städten, die auf ihrem Wege lagen, hatte sie gesungen und überall den höchsten Enthusiasmus erregt.

An den Huldigungen, die ihr zu Theil wurden, hatte sie eine herzliche Freude und sie gab dieselbe in so liebenswürdiger Weise zu erkennen, daß sich fast überall zwischen ihr und dem Publicum eine Art von Freundschaftsverhältniß bildete. Dabei kam es oft zu den drolligsten Scenen, und noch in der letzten Zeit erzählte die Künstlerin mit vielem Humor von derartigen Auftritten.

So z. B. von einem Abend in Königsberg, wo sie gleich nach ihrer Verheirathung gastirte. Sie gab die Frau von Schlingen in den Wienern in Berlin und sang ein eingelegtes Liedchen in Wiener Mundart, eine Klage des Heimwehs, die alle Zuhörer tief ergriff. Als der letzte Ton verklang, saß die Menge in athemlosem Schweigen, aber plötzlich erhebt sich im Sperrsitz ein alter Herr und bittet mit flehend erhobenen Händen, Madame Devrient möge ihm den einzigen Wunsch gewähren, ihm eine Abschrift dieses Liedchens zu geben, – worauf sich von allen Seilen dasselbe Verlangen in lauten Ausrufungen aussprach. Die Sängerin stutzte – aber nur einen Augenblick, dann trat sie lächelnd an die Lampen und erwiderte, es thäte ihr leid, daß sie diesen Wunsch nicht erfüllen dürfe; sie hätte dem Dichter versprochen, keine Abschrift des Gedichts zu geben. „Aber Sie werden das Liedchen wohl öfter von mir hören,“ fuhr sie schalkhaft fort; „und wenn Sie es dann nachschreiben wollen …“ Da capo! Da capo! fiel die Menge jubelnd ein; die Herren griffen zu Bleistift und Brieftasche – Wilhelmine sang, und am folgenden Morgen coursirte das Lied in der ganzen Stadt.

Zu diesen heitern Erinnerungen gehörte auch eine poetische Epistel, die der Künstlerin während eines Gastspiels in Leipzig von zwei Studenten zugeschickt wurde. Die jungen Musensöhne schildern darin auf’s Beweglichste ihre Sehnsucht, Frau Schröder-Devrient als Fidelio zu sehen, und schließen mit den Worten:

„Da Du, der Töne Zauberkönigin,
Erst heut’ in unsre Stadt gezogen,
Und das Semester nun zum Ende hin,
Wo Vaters Wechsel längst verflogen,
So bitten wir – zwei Musensöhne –
Vasallen auch im Reich der Töne,
Uns heute einmal zu beglücken
Und zwei Parterre-Billets zu schicken.
Es bleibt Dir unser heißer Dank
Nicht heute nur, nein lebenslang!“

Daß die Bitte erfüllt wurde, braucht kaum gesagt zu werden. Die wunderlichste aller Huldigungen aber wurde der berühmten Frau von einem Ungar zu Theil, der ihr in höchster Begeisterung zuruft:

„Wo nimmst Du denn her diese Zauberbewegung,
      Mit der Du das Auge berückst?
Wo nimmst Du denn her die Gewalten der Töne,
      Mit denen das Ohr Du bestrickst?
Stehn Dir zu Gebote verdoppelte Glieder.
      Und singst Du mit vielfachen Zungen die Lieder?“

Am meisten freute sich Wilhelmine über die Liebesbeweise, die sie vom Volke empfing. Es that ihr wohl, wenn ein Arbeiter mit den Worten: „das ist ja unsre Schröder-Devrient!“ die Mütze vor ihr zog; oder wenn sie bemerkte, daß sich die Marktweiber anstießen und ihren Namen nannten, wenn sie vorüber ging, und ganz glücklich war sie über eine alte Leinwandverkäuferin, die ihr – als sie das letzte Mal nach beinah zehnjähriger Abwesenheit nach Dresden zurück kam – auf offenem Markt mit den Worten: „Ach! meine beste Madame Devrient, sind Sie denn wieder da?“ um den Hals fiel. „Das ist mein Stolz, daß ich im Herzen des Volkes stecke,“ pflegte sie zu sagen.

Das war wirklich der Fall und wird es wohl noch lange sein, denn das Volk hat ein treues Gedächtniß für seine Freunde. Als die Künstlerin von der Bühne scheiden wollte, weiß ich, daß ein Zimmermann, der als Maschinist im Theater beschäftigt war, sein fünfjähriges Töchterchen mit in die Probe nahm, damit das Kind doch einmal die Schröder-Devrient sehen sollte. „Paß auf und sieh Dir diese Frau recht ordentlich an,“ sagte er zu der Kleinen; „die Andern kannst Du alle vergessen, aber diese nicht, das ist die Schröder-Devrient.“

Im Frühjahr 1830 erhielt die Künstlerin einen Ruf nach Paris, das heißt, sie wurde auf zwei Monate von der Direction der italienischen Oper engagirt, die eine deutsche Truppe aus Aachen kommen ließ und für die ersten Tenorpartien den berühmten Anton Haitzinger gewann. Mit stolzer Freude unterschrieb Wilhelmine den Contract, dessen Bedingungen ebenso glänzend als ehrenvoll waren, aber je näher die Abreise heranrückte, um so schwerer fühlte sie sich von der Größe der übernommenen Verpflichtung bedrückt. „Ich hatte nicht allein meinen eigenen Ruf, ich hatte die deutsche Musik zu vertreten,“ schrieb sie; „wenn die Künstlerin nicht gefiel, so mußten Mozart, Beethoven, Weber darunter leiden. Bei diesem Gedanken überfiel mich eine solche Angst, daß ich mehr als einmal im Begriff war, Alles daran zu setzen, um den Contract wieder rückgängig zu machen.“

Es kamen aber auch Stunden, wo sie sich der Größe ihrer Aufgabe freute und wo das Gefühl der eignen Kraft mächtig genug wurde, alle Besorgnisse zu überwinden. „Nicht wahr, ich bin eine Künstlerin – ich darf mich in den Kampf wagen?“ sagte sie dann zu den Freunden, die ihr in den Stunden der Muthlosigkeit vergebens zuzureden suchten. Nach und nach befestigte sich aber in ihr die Ueberzeugung, daß gerade sie zur Prophetin deutscher Kunst berufen wäre, und so trat sie in gehobner Stimmung die Reise an.

Unterwegs verweilte sie in Weimar, wo sie das Publicum, dem sie bekannt und lieb war, durch einige Gastrollen entzückte. Der achtzigjährige Goethe, der seit seiner Entlassung als Intendant – 1817 – das Theater nicht mehr betrat, wünschte die Künstlerin zu hören, deren Lob ihm von allen Seiten mit Begeisterung verkündigt wurde. Er lud sie ein, ihn zu besuchen, und sie sang ihm einige Lieder vor, denen der alte Herr mit steigendem Interesse lauschte. Ueber Stimme und Vortrag der Sängerin sprach er sich anerkennend aus – der höchste Triumph vielleicht, den Wilhelmine je errungen hat, denn Goethe hatte sich längst gewöhnt, das Gute und Schöne nur in der Vergangenheit zu finden. Zur Erinnerung an dies einzige Zusammensein mit dem großen Manne bewahrte Wilhelmine in ihrem Album ein Blatt von seiner Hand. Ein aufsteigender Adler, der eine goldene Lyra in den Fängen trägt, ist darauf gemalt, und darunter steht in herrlichen, festen Schriftzügen:

„Guter Adler, nicht in’s Weite,
Mit der Leyer nicht nach oben!
Unsre Sängerin begleite,
Daß wir Euch zusammen loben.“

Weimar, 24. April 1830.   Goethe.

Sobald Wilhelmine in Paris angekommen war, begannen die Proben, und schon am 6. Mai debütirte sie als Agathe. Das Haus war zum Erdrücken voll; die Menge sah in lautloser Erwartung der Oper – und der Künstlerin entgegen, von deren Schönheit das Gerücht Wunderdinge erzählte. Mit großer Befangenheit trat Wilhelmine auf. Aber gleich nach dem Duett mit Aennchen wurde sie durch lauten Beifall ermuthigt; als die große Scene am Fenster begann, hatte sie sich vollständig in der Gewalt – sie war wieder einmal, wie Weber gesagt hatte, „die erste Agathe der Welt“, und das Entzücken des Publicums sprach sich so stürmisch aus, daß die Künstlerin vier Mal aufhören mußte zu singen, weil sie das Orchester nicht mehr hörte. Am Schluß des Actes wurde sie im vollen Sinn des Wortes mit Blumen überschüttet,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_302.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)