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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der Höhenrauch.
Von Dr. Schwabe.

Endlich haben wir ihn wieder da, den ersehnten, lieben, schönen Mai mit seinen Blüthen, seinen sonnigen Tagen und – mit seinem Höhenrauche!

Allerdings, werther Leser, gehört der Höhenrauch in gewissem Sinne zu den Attributen des schönen Monats Mai, wenigstens für einen großen Theil des deutschen Vaterlandes. Ob aber jenes Bild des Mai’s, welches Deiner Phantasie vorschwebt, durch den Gedanken an den stinkenden Nebel beeinträchtigt wird, das soll mich einmal nicht kümmern, denn ich beabsichtige, weit entfernt von allen poetischen Ergüssen, ein verständiges Wort mit Dir zu reden über den Höhenrauch, diesen Gast aus der Fremde, von dem noch immer so Viele nicht wissen, „woher er kam“, und wer er eigentlich ist. Dieser fast alljährlich im Mai und Juni, bisweilen auch in den ersten Tagen des Juli, im Spätsommer und im Herbste bei uns im mittleren, seltener im südlichen Deutschland einsprechende Gast verfehlt nie, so oft er erscheint, lebhafte, ja oft lächerlich heftige Disputationen zu veranlassen. Die Einen sagen, der Höhenrauch sei das Product der Moor- und Haidebrände, welche jährlich in gewissen großen Länderstrecken des nordwestlichen Deutschlands zum Behuf der Cultur des Moorbodens angestellt werden. Die Anderen behaupten, es seien „zersetzte Gewitter“. Noch Andere lachen über den Unsinn beider Behauptungen, und erklären den Höhenrauch für gewöhnlichen Nebel, der mit Schwefeldünsten geschwängert sei. Endlich müssen wir noch der allerneuesten Entdeckung erwähnen, die ein gelehrter Mann in einer besonderen Schrift niedergelegt hat, und welcher zufolge der Höhenrauch durch Zersetzung der in der Luft enthaltenen Kohlensäure in ihre Grundbestandtheile, Kohlenstoff und Sauerstoff, entsteht.

Man möchte wirklich am gesunden Menschenverstande verzweifeln, wenn man den entsetzlichen Unsinn mit anhören muß, der oft bei solchen Disputationen zu Tage gefördert wird und auf einer völligen Unkenntniß der einfachsten physikalischen Vorgänge beruht. Bleiben wir einen Augenblick bei der am häufigsten laut werdenden Ansicht über die Natur des Höhenrauches stehen, nach welcher dieser aus zersetzten Gewittern bestehen soll. Ein „zersetztes Gewitter“ ist ein Unding. Nur ein aus mehreren Bestandtheilen zusammengesetzter Stoff kann zersetzt werden; ein Gewitter aber ist kein Stoff, sondern ein Vorgang, ein physikalischer Proceß, welcher darin besteht, daß sich die in einzelnen Wolken angehäufte positive Elektricität mit der negativen Elektricität anderer Wolken oder der Erdoberfläche mittels sogenannter Entladungen (Blitz und Donner) ausgleicht. Man sollte daher wenigstens, um nicht sinnlos zu reden, statt von zersetzten Gewittern, von zersetzten Gewitterwolken sprechen. Darunter könnte man allenfalls solche Wolken verstehen, welche ihre Elektricität, ohne plötzliche Entladung durch Blitz und Donner, mittels allmählicher Ableitung gegen die entgegengesetzte Elektricität anderer Körper, was allerdings oft geschieht, ausgleichen.

Man bildet sich nun ein, daß die „freigewordene“ Elektricität in der Luft schwebe und den dem Höhenrauch eigenen Geruch erzeuge, und daß die gewesene Gewitterwolke sich zur Erde gesenkt habe und hier als Nebel (Höhenrauch) verweile. Diese irrigen Ansichten sind leicht zu berichtigen. Wolken, die als Nebel auf der Erde liegen, ertheilen der Luft selbstverständlich eine feuchte Beschaffenheit, während die zur Messung des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft dienenden Instrumente (Hygrometer) bei Höhenrauch stets zeigen, daß die Luft sehr trocken ist. Auch fehlt dem Wassernebel jene eigenthümliche Färbung, die der Höhenrauch, wenn er einigermaßen dicht ist, deutlich genug an sich trägt. Was nun die „frei gewordene“ Elektricität und ihren Geruch betrifft, so kann zunächst von einer solchen frei gewordenen Elektricität gar keine Rede sein; die Elektricität ist stets an Körper gebunden. Auch hat die Elektricität durchaus keinen Geruch, obgleich man bekanntlich einen phosphorähnlichen Geruch verspürt, wenn man die Nase einem erregten elektrischen Körper, z. B. einer stark geladenen Elektrisirmaschine nähert. Diese Erscheinung schreibt Schönbein seinem noch in vieler Beziehung problematischen Ozon zu; sie findet aber ihre viel einfachere und näher liegende Erklärung in der Thatsache, daß jeder auf einen Sinnesnerv wirkende Reiz, gleichviel woher derselbe rührt, in dem Nerv die ihm eigenthümliche Sinneswahrnehmung hervorruft. So bewirkt ein Stoß gegen das Auge, der stark genug ist, um den im Hintergrund des Augapfels sich ausbreitenden Sehnerv zu reizen, sofort eine Lichterscheinung, das sogen. Funkensehen; Blutzudrang nach dem Gehörorgan erzeugt Ohrenklingen; ein auf die Zunge geleiteter, noch so schwacher galvanischer Strom erregt augenblicklich einen eigenthümlichen, metallischen Geschmack; und in gleicher Weise ruft ein die Geruchsnerven treffender elektrischer Strom hier eine Geruchsempfindung hervor, eben so gut, wie das ein diesen Nerv berührender Nadelstich thun würde.

Um den Geruch der Elektricität zu beweisen, wird auch oft angeführt, daß man in Gebäuden und an anderen Orten, wo der Blitz eingeschlagen hat, selbst dann, wenn er nicht gezündet hat, oft noch eine Zeit lang deutlich einen schwefligen Geruch wahrnimmt. Hiergegen ist ganz einfach zu erwidern, daß der Blitz in solchen Fällen den schwefligen Geruch nicht mitgebracht, sondern daß er den Schwefel da, wo er einschlug, vorgefunden hat. In dem Eisenwerk der Gebäude, in den Mauersteinen, in dem Bindekalk, in den Kieseln und dem Kalkgeröll des Erdbodens – überall finden sich Schwefelbestandtheile, welche da, wo der Blitz mit ihnen in Berührung kommt, verbrennen und so den schwefligen Geruch verbreiten.

Diejenigen, welche das Phänomen des Höhenrauches zu erklären glauben, wenn sie sagen, dieser Rauch sei mit Schwefeldünsten geschwängerter Nebel, geben statt einer Erklärung lediglich eine Paraphrase. Denn sie lassen uns gänzlich darüber im Dunkeln, woher die Schwefeldünste kommen sollen, und ein mit Schwefeldünsten geschwängerter Nebel ist doch wahrlich kein so selbstverständliches Ding.

Uebrigens liegt diesen Annahmen eine sehr mangelhafte sinnliche Auffassung zu Grunde, denn die durch einen elektrischen Strom erregte Geruchsempfindung, sowie der Geruch nach Schwefel sind deutlich von dem Geruch des Höhenrauches zu unterscheiden. Der Höhenrauch riecht ganz entschieden nach brennendem Torf.

Die oben erwähnte neueste gelehrte Hypothese, nach welcher der Höhenrauch das Product einer Zersetzung der in der Luft enthaltenen Kohlensäure in Sauerstoff und Kohlenstoff sein soll, ist zu fabelhafter Natur, als daß wir hier näher darauf eingehen möchten.

Wenden wir uns mit Uebergehung der zahlreichen übrigen Hypothesen, die oft wunderlich genug klingen, zur Darstellung des wirklichen, nicht in den Irrgängen der Phantasie, sondern in einfachen natürlichen Vorgängen begründeten Ursprunges jener Erscheinung, die wir Höhenrauch, richtiger Moorrauch oder Haiderauch nennen.

Im nordwestlichen Theile von Deutschland, namentlich im Großherzogthum Oldenburg und in den hannöverschen Fürstenthümern Ostfriesland und Bremen, befinden sich weit ausgedehnte Landstriche, die aus Moorboden bestehen. Wir wollen hier nur kurz andeuten, daß der Moor aus theils fertigem, theils im Werden begriffenen Torf besteht. Jene Gegenden würden völlig unfruchtbar und daher auch unbewohnt sein, wenn es nicht ein Mittel gäbe, selbst diesem traurigen Moorboden eine Gabe abzuzwingen. Diese Gabe ist der Buchweizen, und das Mittel, den Boden zu seiner Production geeignet zu machen, ist das Abbrennen des Moores.

Dieser eigenthümliche Zweig der Feldwirthschaft besteht erst seit etwa anderthalbhundert Jahren. Der Prediger Bolenius zu Hatshusen hat zwischen 1707 und 1716 den Anfang damit gemacht. Soll ein noch wüstes Moor zum Buchweizenbau zugerichtet werden, so zieht man eine Menge kleine Gräben, um für die nöthige Abwässerung zu sorgen. Hiernach wird die Bodenoberfläche in lauter einzelne Schollen von etwa 3/4 Fuß Durchmesser mittels der sogen. Hackthaue zerstückelt. Das geschieht im Herbst; man läßt die Schollen den Winter hindurch liegen, und wenn sie im Frühling – gewöhnlich Mitte Mai – trocken sind, so setzt man die Schollen in kleine Haufen und brennt sie dann an. Bei dem Brennen ist sorgfältige Aufsicht nöthig; das Feuer muß überall blos glimmend oder schmauchend fortgehen und darf nirgends in Flammen ausbrechen, weshalb man die Schollen nie ganz trocken werden läßt. Fortwährend sind Leute beschäftigt, die brennenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_311.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)