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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Was der Bericht weiter über die liberalen Regungen nach 1813 sagte, hatte den vollständigsten Beifall dieser preußischen Partei.

Gerade in die Zeit unmittelbar nach der Berichterstattung der Untersuchung-Commission fallen die Bemühungen, Preußen für ein Einschreiten des Bundes gegen die süddeutschen Verfassungen zu gewinnen. Baiern und Baden hatten darum angesucht, Metternich war der eifrige Förderer des Plans, wie denn Oesterreich überhaupt auch hier das ewig drängende und treibende Reactionsprincip abgab, und Friedrich Wilhelm III. sollte nun mit der Entdeckung schrecklicher Verschwörungen geängstigt werden. Darum stellte der Bericht Alles zusammen, was sich über den Briefwechsel von Liberalen, über Besprechungen und Pläne von Gleichgesinnten, vorzüglich über Adressen und Bittschriften um landständische Verfassungen ermitteln ließ, und gruppirte das Material so, daß der Anschein entstehen konnte, als seien jene vereinzelten Thatsachen auf einen der Carbonaria nahe verwandten, wahrscheinlich mit ihr in Verbindung stehenden Geheimbund zurückzuführen.

Welche Beweise hatte die Commission für ihre Behauptungen, die eben so viele Verdächtigungen waren? Wie sie selbst gestand, gar keine. Sie urtheilte, wie sie sagt, nach einigen tausend Papieren, die in zum Theil nicht ganz verlässigen Abschriften vorhanden, in ihrer Folge durch Lücken unterbrochen, ihrem wahren Sinne nach größtenteils nicht hinlänglich erklärt waren; sie urtheilte ferner nach einigen Hundert zum Theil noch unvollständigen Vernehmungen, denen nur in den wenigsten Fällen mit Aufrichtigkeit und ohne Rückhalt entsprochen wurde, und gewann durch diese nach ihrem eigenen Geständniß werthlosen Grundlagen das Bild eines politischen Treibens, das sich weniger in bestimmten Thathandlungen, als in Vorbereitungen, Einleitungen und Versuchen ausgesprochen hatte. So lauten die eigenen Worte des Berichts.

Um aus diesen Vorlagen allgemeine Verdächtigungen ableiten zu können, sah sich die Commission genöthigt – wir brauchen abermals ihre eigenen Worte – „den Grad der Gewißheit, der höhern oder geringern Wahrscheinlichkeit der einzelnen Thatsachen nicht nach den in dieser oder jener besondern Gesetzgebung vorgeschriebenen Normen, sondern nach den Grundsätzen des historischen Glaubens, nach ihrer eigenen subjektiven Ueberzeugung zu bemessen. Deutlicher konnte nicht gesagt werden, daß die Commission keine juristischen Beweise bringe, sondern Phantasieen, die in ihrer subjectiven Ueberzeugung den Charakter von mehr oder minder wahrscheinlichen Thatsachen annähmen. Wahrlich, eine Behörde, die ein solches Machwerk von Bericht vorlegte, verdiente auf der Stelle aufgelöst zu werden. Statt diesen Beschluß zu fassen, erkannte der Bundestag an, daß die Commission ihrem Auftrage genügt habe, und einer seiner Redner hob lobend hervor, daß ihr Bericht „ein treues, bis in die kleinsten Züge ausgeführten Gemälde von dem innern Zustande Deutschlands enthalte.“

Die Mainzer Commission würde bald durch Mangel an Stoff genöthigt worden sein, ihre Thätigkeit von selbst einzustellen, wenn ihr nicht ein besonderer Glücksfall die Entdeckung einer wirklichen Verschwörung zugeführt hätte. Das war nun freilich eine Verschwörung, bei der wiederum Alles auf „Vorbereitungen, Einleitungen und Versuche“ hinauslief, doch für eine Behörde, die aus dem Tugendbunde, aus Fichte’s Reden und aus den Abendgesellschaften beim Buchhändler Reimer Anzeichen eines im Dunkeln durch Jahre fortkriechenden hochverräterischen Bundes geschmiedet hatte, war das vollauf genug. Wenn es sich um Stoff zu Verdächtigungen handelt, begnügt sich die Reaction mit Wenigem. Jene Verschwörung war in der That ein winziges Ding. Ein Burschenschafter, v. Sprewitz, hatte auf einer Schweizerreise von einem deutschen Männerbunde gehört, der an die Carbonari der romanischen Länder sich anschließe. Mit dieser Nachricht war er nach Deutschland zurückgekehrt und hatte zur Bildung eines Jünglingsbundes aufgefordert. Die wieder erstandenen Burschenschaften waren in Folge der Aufmerksamkeit der Regierungen, die sich fast ausschließlich auf sie richtete, zu sehr vom Gefühl ihrer Wichtigkeit durchdrungen und zugleich zu unzufrieden geworden, als daß der Sprewitz’sche Bericht hie und da nicht Glauben gefunden hätte. Für den Jünglingsbund fanden sich nach und nach 139 Theilnehmer. Die Geschichte dieses Bundes ist in zwei Worten erzählt. Man suchte den Männerbund, man fand ihn nicht, und Alles war in völliger Auflösung begriffen, als die Gerichte das Spiel, denn weiter war es nichts, nachträglich entdeckten.

Nachdem der Jünglingsbund so lange den Männerbund gesucht hatte, begab sich die Mainzer Commission an dasselbe Geschäft. Sie fand diesen geheimnißvollen, für seine Gesinnungsgenossen unerreichbaren Männerbund, wenigstens behauptete sie es. Was sie wirklich nachwies, bestand in gelegentlichen, immer auf Reisen eingetretenen Berührungen von Burschenschaftern mit älteren Männern. In den letzteren, unter denen ein Müller und ein Artillerieofficier, Beide in Erfurt wohnhaft, besonders hervortreten, wollte die Commission Mitglieder des Männerbundes erkennen. Mit welchem Recht, möge man danach beurtheilen, daß bei einer der Unterredungen, die zwischen angeblichen Abgeordneten des Männerbundes und des Jünglingsbundes stattgefunden hatten, von weiter nichts die Rede gewesen war, als daß man darauf hinwirken müsse, eine Verfassung, Verantwortlichkeit der Minister, öffentliche Rechtspflege, öffentliche Rechnungsablage über Staatseinnahmen und Ausgaben, Gleichheit vor dem Gesetz und Preßfreiheit zu erlangen. Welche Begriffe von dem öffentlichen Rechtszustande in Deutschland mußte die Commission haben, daß sie in Besprechungen über Staatseinrichtungen, die theils urkundlich verbrieft (z. B. durch Artikel 13 der Bundesacte), theils feierlich zugesagt worden waren, ein Anzeichen von Hochverrath erblickte!

Was die Sprewitz’schen Enthüllungen, die einzige Grundlage der Geschichte vom Männerbunde, betrifft, so hatte die Justizkanzlei zu Güstrow von ihnen eine ganz andere Ansicht, als die Mainzer Commission. In einem Urtheil, das über einen Betheiligten gefällt wurde, erklärte dieses mecklenburgische Gericht, „die Aussagen des v. Sprewitz und seiner Genossen hätten überall keinen Werth, einmal wegen Mängel in der Form (Unvollständigkeit der Protokolle), zweitens weil alle diese Aussagen zu wenig auf reine Thatsachen beschränkt seien, vielmehr ein bloßes Urtheil, veranlaßt durch die mit den Betheiligten bei den polizeilichen Verhören angestellten Betrachtungen und Deduktionen, enthielten.“

Der Jünglingsbund, der allerdings existirt hatte, war zur Zeit seiner Entdeckung von seinen wilden Träumen einer gewaltsamen Erhebung längst zurückgekommen. Seine Mitglieder waren zuletzt darüber einig gewesen, „daß sie sich die Ausbildung liberaler Ideen über öffentliche Angelegenheiten unter den Studirenden zum einzigen Ziele setzen müßten,“ oder, wie ein anderer Angeklagter sich ausdrückte, daß der Bund seine Zwecke erfülle, „wenn er seine Ideen auf dem ruhigen Wege der Ueberzeugung verbreite und durch eine Art von Nationalerziehung dahin zu wirken suche, daß die Wünsche für die politische Einheit Deutschlands vorbereitet würden.“ Es war schon schlimm genug, daß Jünglinge, und noch dazu Studenten, die dem realen Leben, dem Philisterthum, wie sie es nennen, ihre Ideale entgegen zu setzen lieben, für Gedanken über politische Neugestaltungen, die nie und nirgends zur That, oder auch nur zu einem festen Plan gereift waren, mit mehrjähriger Haft bestraft wurden. In Frankreich hätte das in der schlimmsten Zeit der Bourbonenherrschaft nun und nimmermehr geschehen können. Noch weit schlimmer aber war, daß die Regierungen die „Umtriebe“ jener wahrlich ungefährlichen „Demagogen“ zum Vorwand brauchten, weshalb sie fortfuhren, ein System despotischen Zwanges auszuüben, die heißesten Volkswünsche und ihre eigenen Versprechungen unerfüllt zu lassen und Alle, die als Lehrer oder als Schriftsteller zur Bildung des Volks beitrugen, kleinlichen Beaufsichtigungen und Beschränkungen zu unterwerfen.

Selbst in die Untersuchung wurden Lehrer verflochten, deren ganzes Leben und Wirken zeigte, daß sie weder Revolutionairs noch Verschwörer sein konnten. Welcker, Arndt und Jahn waren unter ihnen. Welcker war damals schon der gelehrte Doctrinair, der er sein Leben lang geblieben ist, ein Professor der Rechtswissenschaft, der mit Leib und Seele an das Gesetz gekettet und überdies seinem ganzen Wesen nach nicht geeignet war, aufzuregen oder gar zu wühlen. Sein Schicksal gestaltete sich im Vergleich zu Arndt und Jahn noch so ziemlich günstig, da er in Folge einer Berufung an eine fremde Hochschule den Verfolgungen in Preußen sich entziehen konnte. Arndt und Jahn hatten sich um das Vaterland, dessen Leiter plötzlich Landesverräther in ihnen sahen, unvergeßliche Verdienste erworben, Jahn als Begründer der Turnkunst und als der thätigste Werber für die Freiwilligenschaaren von 1813, Arndt als eifriger und begabter Gehülfe der Stein, Hardenberg, Scharnhorst und Gneisenau. Was Jahn allein zur Last fiel, waren gewisse derbe Aeußerungen, während gegen Arndt nicht der Schatten eines Vorwurfs erhoben werden konnte. Man verfolgte in Beiden nichts als die rettenden Ideen von 1813, denen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_319.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)