Seite:Die Gartenlaube (1860) 323.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Lassen Sie mich also aus der Sache. Reussiren Sie nicht, so bleibt mir noch immer die Flucht auf meinem eigenen Wege übrig.“

Frohn mußte einräumen, daß diese Bemerkung ihre Richtigkeit hatte. „Es ist wahr, was Sie da sagen,“ versetzte er; „es scheint mir jedoch, Sie thäten am besten, Ihr Heil ganz auf die Karte zu setzen, welche ich im Begriff bin auszuspielen. Ihr Plan ist zu gewagt; kommen Sie auch aus der Festung heraus, so wird man Sie in dem Costüme, worin Sie sich befinden, und das etwas auffällig ist, wie Sie einräumen werden, bald in den doppelten Cordons, die um die Festung gezogen werden, sobald der Deserteurschuß fällt, wieder einfangen.“

„Was das Costüm angeht,“ erwiderte Trenck, „so haben Sie darin allerdings Recht, es ist jedoch dafür gesorgt, daß ich bald ein anderes finde. Und wenn ich Ihnen erzähle, wie ich trotz der doppelten Cordons aus der Festung Glatz geflohen bin …“

„Sie sind schon einmal aus einer preußischen Festung geflohen?“

„Aus Glatz – wie ich Ihnen sage. Hören Sie zu – ich will Ihnen das erzählen.“

Trenck begann nun eine ausführliche Erzählung seiner bisherigen Schicksale. Er berichtete, wie er den Dienst in der Garde du Corps begonnen; wie er lange Friedrichs des Großen vertrautester Adjutant gewesen; wie er durch glänzende Waffenthaten im ersten schlesischen Kriege des Monarchen Gunst in immer höherem Maße gewonnen; wie er zugleich auch einer dem Könige sehr nahe stehenden Dame Gunst genossen; wie dem König dies nicht verborgen geblieben; wie seine Feinde und Neider dann ihn bei dem Monarchen verleumdet, daß er sich in Verbindungen mit seinem Vetter, dem österreichischen Pandurenführer von der Trenck, eingelassen; wie man ihn deshalb in die Festung Glatz eingesperrt habe; wie er zu stolz gewesen, des Königs Gnade anzurufen und vorgezogen habe, durch seine eigene Kraft die Freiheit wieder zu finden. Er erzählte dann die merkwürdigen und unglaublichen Abenteuer, die seine Flucht aus Glatz begleitet; wie er sich nun nach Rußland begeben und hier ein ganz fabelhaftes Glück gemacht habe; wie er endlich nach Oesterreich gegangen, um die unermeßlich reiche Erbschaft in Empfang zu nehmen, welche ihm sein Vetter, der Pandur, hinterlassen. Und dann endlich, wie er, um mit den Gliedern seiner Familie in Preußen eine Zusammenkunft zu haben, sich in die freie Reichsstadt Danzig begeben; wie hier jedoch der preußische Resident mit Einwilligung des pflichtvergessenen Magistrats sich wider alles Völkerrecht seiner Person bemächtigt und ihn in Ketten nach Magdeburg geliefert.

Es war eine lange, ausführliche Erzählung, deren lebhaft vorgetragene Details Frohn vollständig überschütteten, so eifrig trug Trenck sie vor; es wurde Nacht, bevor er damit zu Ende kam. Frohn lauschte zwar gespannt zu, allein er konnte sich nicht verhehlen, daß diese Schilderungen eines höchst abenteuerlichen Lebenslaufs von Eitelkeit und Ueberhebung und von einer starken Begierde zu imponiren gefärbt seien; und weiter sagte er sich, daß hier ein Mensch, dem das Schicksal wie in einer verschwenderischen Laune Alles, was nur in seiner Macht steht, einem Sterblichen zu verleihen, in reichstem Maße gegeben: Kraft und Energie, Geist, Selbstvertrauen, Schönheit, Geburt, Gunst der Mächtigen, Reichthümer, Erfolg in seinen Unternehmungen – daß hier ein zum höchsten irdischen Glück wie vorherbestimmter Mensch sich selbst in den tiefsten Jammer gestürzt, weil ihm nur Eines abging: die ganz gemeine Klugheit, sich zu beugen. Dieser Freiherr von der Trenck mit seiner nie zagenden, stolzen Stirn und seinem Pochen auf sein Recht, mit seiner tief innerlichen Ueberzeugung, daß alle die, welche sein Recht nicht unbedingt anerkannten, Teufel und Ausgeburten der Hölle seien – er hatte inmitten einer Zeit der Willkür und tyrannischer Vorurtheile, inmitten einer fossilen, vom Zopf beherrschten Gesellschaft etwas von einem Wahnwitzigen, aber auch etwas von einem Prometheus.

Endlich hatte Trenck einen Schluß gefunden.

Nach einer Pause sagte Frohn: „Welch ein merkwürdiges, bewegtes Leben! Und welch ein Gegensatz dazu ist die erzwungene Ruhe, zu der dies Leben hier verdammt ist!“

„Ruhe? Nun, wie viel Ruhe ich mir hier vergönnt habe, das haben der Herr Camerad selber gesehen!“

„Haben Sie niemals die Hoffnung gehegt, den König von seinem Unrecht gegen Sie überzeugen zu können?“ fuhr Frohn fort. „Sie brauchten ja nicht um Gnade zu flehen, was Sie verschmähten … aber Ihre Schuldlosigkeit hätten Sie doch bei ihm selber geltend machen – um Ihr Recht hätten Sie doch bitten können!“

Trenck zuckte die Achseln. „Nun ja,“ sagte er, „daß ich kein Verräther sei und mit meinem Vetter, dem Pandur, nicht intriguirt habe, das hätte ich ihm begreiflich machen können. Aber ich habe Ihnen schon angedeutet, daß noch andere Gründe da sind, weshalb ich hier in einer Oubliette schmachte. Und dann … der König glaubt … nun, weshalb soll ich Ihnen das nicht auch sagen? … er glaubt, ich habe eine Infamie begangen … ich habe ein neugeborenes Kind dadurch beseitigt, daß ich es in die Flammen eines Kaminfeuers geworfen … der Teufel möge die Schurken holen, die es ihm eingeredet haben … aber Sie begreifen, Camerad, daß es unter der Würde des Freiherrn von der Trenck ist, sich darüber zu vertheidigen.“[1]

Eine abermalige Pause entstand. Nachdem Frohn dann dem Gefangenen noch einmal ausgesprochen, wie gewaltig alles Gehörte ihn gespannt habe, suchte er das Gespräch auf das ihm zunächst am Herzen Liegende zurückzulenken. Aber Trenck ging nicht sehr bereitwillig darauf ein. Frohn fragte sich umsonst, was ihn so zurückhaltend machte, wo ein Anderer gewiß mit Freuden zugegriffen hätte. Trenck verlangte noch Bedenkzeit – er verweigerte auch den Schlüssel herauszugeben, der von innen das Thor der Casematte aufschloß.

„So lassen Sie uns folgenden Pact machen,“ sagte endlich Frohn. „Wenn ich Ihres Schlüssels bedarf, so komme ich hierher zu Ihnen, um mir ihn zu borgen. Ich sende Ihnen den Schlüssel sodann durch einen meiner Leute zurück und befehle diesem zugleich, das in der Casematte drüben aufgebrochene Loch zu füllen und zu bedecken, sodaß es nicht möglich ist, die Arbeit zu bemerken. Wenn wir in unsrer Unternehmung, wie Sie es beharrlich annehmen zu wollen scheinen, Schiffbruch leiden, so bleibt unser Verkehr mit einander unentdeckt, und Sie sind nicht compromittirt!“

„Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie selbst darüber wachen wollen?“

„Worüber?“

„Daß an Ihrer Seite drüben das Loch sorgfältig genug zugeworfen und überdeckt werde, um keine Spur der stattgefundenen Arbeit zu verrathen?“

„Ich will’s!“ antwortete Frohn.

„Gut. So werde ich Ihnen meinen Schlüssel wahrscheinlich hergeben.“

„Wahrscheinlich?“

„Nun ja. Es ist ja nicht nöthig, daß es gleich geschehe.“

„Das nicht, aber nöthig, daß Sie gleich sich darüber erklären.“

„Nun, so holen Sie ihn!“

Bei dieser Verabredung blieb es. Frohn plauderte noch eine Weile mit dem Freiherrn von der Trenck, und dann begab er sich auf den Heimweg. Es war Mitternacht, als er in seine Casematte zurückkam.


4.

Am Tage darauf brachte Esther unserem Gefangenen wieder die besten Nachrichten. Es war ihr gelungen, ihre Depeschen an ihre Adressen zu befördern. Frohn gab ihr neue, die letzten, welche nöthig waren. Wenn sie bestellt waren, so brauchte er nur das schon früher bekannt gemachte Signal zu geben, und Jeder, der zum Handeln berufen, eilte an seinen Posten. Es fehlten nur noch die Schlüssel zu dem Laboratorium. Esther hatte, wie sie berichtete, die Wachsabdrücke. Aber es war ihr noch nicht gelungen, die Schlüssel selber machen lassen zu können; der Schlosser, der es übernommen, gegen Bezahlung von zwölf Friedrichsd’or sie anzufertigen, wollte erst am folgenden Tage gegen Mittag damit fertig werden können, da er nur daran arbeiten durfte, wenn er allein und sein Geselle nicht in der Werkstatt war. – –

  1. Die Anschuldigung eines solchen Verbrechen wurde in der That gegen Trenck erhoben – man kennt noch heute in Magdeburg eine dahin lautende Aeußerung des Feldmarschalls von Kalkstein, Gouverneurs von Magdeburg, gegen den vor etwa zwanzig Jahren verstorbenen Propst des Klosters U. L. Frau und Ständemitglied Röttger. Uns scheint sie jedenfalls aus der Luft gegriffen, wie auch die Anchuldigung des Hochverraths gegen Trenck. Die ganze spätere Haltung des Mannes spricht dawider, daß er sich mit einem solchen Verbrechen belastet wußte, und am meisten die außerordentlich gnädige Aufnahme, die er später am Hofe Friedrich Wilhelms II. und bei diesem Monarchen selber fand, der ihn mit Huld überhäufte.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_323.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)