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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Scene war so überraschend, namentlich für den Commandanten, der zunächst für seinen Gefangenen verantwortlich war, daß er mehrmals die Farbe wechselte und kaum wußte, was er erwidern sollte. Der Platzmajor richtete unterdeß seine Aufmerksamkeit auf den Minengang Trenck’s, er sprang in die Tiefe hinab und verschmähte es auch nicht, um sich zu überzeugen, in den Gang hineinzukriechen. Als er sich wieder aufrichtete, versicherte er: „Es ist wirklich und wahrhaftig ein tiefer Gang unter der Erde her – so weit ich den Arm vorgestreckt habe, ist kein Ende zu finden!“

„Er ist sieben und dreißig Schuh lang!“ fiel Trenck ein.

„Jetzt ist die Kunst, aus dem Loche wieder herauszukommen,“ sagte der Platzmajor, der weder so groß gewachsen, noch ein so guter Voltigeur war, wie Frohn, um sich mit einem Sprung auf den Rand des Loches schwingen zu können. Zwei Lieutenants faßten ihn unter die Arme und schroteten ihn in die Höhe.

„Da sollte man ja rein des Teufels werden,“ brach jetzt der Commandant aus, der schaudernd überdachte, welche zahlreichen Mitwisser Trenck gehabt haben müsse, um sich alle die Gegenstände zu verschaffen, welche er jetzt offen vorzeigte … es scheint, man hat mir die halbe Garnison bestochen und verführt!“

„Niemanden, der in Ihrer Gewalt wäre, Herr Commandant,“ versetzte Trenck. „Ich habe Ihnen nicht dazu meine Karten offen gelegt, daß Sie jetzt eine Inquisition beginnen und Unschuldige als Verdächtige chicaniren. Der einzige Schuldige ist mein Witz, der stärker war, als der Witz derer, die alles thaten, um mir das Entkommen unmöglich zu machen. Und von Schuld kann ja bei mir keine Rede sein. Der König hat mich hier ohne Urtheil und Recht, ohne daß ich nur ein einziges Mal verhört wäre, ohne daß mir nur angegeben wäre, wessen ich beschuldigt bin, in der unmenschlichsten und grausamsten Haft gehalten. Mich ihr zu entziehen, wie ich kann, das ist mein unveräußerliches Menschenrecht!“

„Kommen Sie jetzt mit uns,“ sagte der Commandant. „Ich nehme Sie mit mir in meine Wohnung. Ich werde von dort aus dem Herzoge die Sache melden, und wir werden seine weiteren Befehle abwarten.“

Trenck war natürlich sehr bereit dazu. Er schritt zwischen den Officieren aus seinem Kerker heraus und dann der Wohnung des Commandanten zu, die nicht in der Sternschanze, sondern in der Stadt lag. In zuversichtlicher Stimmung, voll sanguinischer Hoffnungen, sog er die für ihn fast berauschende frische, freie Luft ein, die er seit fast neun Jahren nicht mehr gekostet.

Wie wenig ließ er sich träumen, daß von Allem, was vorgegangen, der Herzog von Braunschweig keine Ahnung hatte; daß er nach acht Tagen wieder in seinen neubefestigten Kerker zurückgebracht, daß sein Fuß mit einer doppelt so schweren Kette an die Mauer geschlossen sein würde![1]


5.

Es mochte halb elf Uhr sein. Frohn hatte Esther heute nicht gesehen, denn wenn die Gefangenen nicht draußen arbeiteten, so wagte sie sich nicht zu ihm, durch die Menge von Männern, welche die Casematte füllten. Ein Laufbursche hatte Frohn das Frühstück gebracht. Er hatte dieses kaum verzehrt, der Laufbursche war kaum gegangen, als zur Ueberraschung der Gefangenen sich das Thor der Casematte noch einmal öffnete und ein Officier eintrat, dem drei oder vier Handwerker, mit Schaufeln und Schiebkarren versehen, folgten. Sechs Mann Wache besetzten das offen bleibende Thor.

Frohn trat dem Officier entgegen. „Wozu kommen der Herr Camerad?“ fragte er ihn.

„Man fragt noch lange?“ versetzte dieser barsch und von Diensteifer erregt. „Man hat sich in ein Complott eingelassen! Man wird die Folgen schon zu fühlen haben. Wo ist der Eingang zu dem Loch, durch welches man mit dem Trenck conspirirt hat?“

Der Officier war offenbar vortrefflich orientirt, denn er schritt, ohne eine Antwort abzuwarten, dem obersten Ende der Casematte zu, wohin die Arbeiter ihm folgten. Bei dem Erscheinen des Officiers war es natürlich Frohn’s erster Gedanke, daß er verrathen sei. Bei den Worten desselben, bei dem Vorwurf, daß er sich in ein „Complott“ eingelassen, durchzuckte es ihn wie ein Blitzschlag. Es war gewiß, Trenck hatte den Verräther gespielt!

Was war zu thun? War das große Unternehmen aufzugeben, in der Furcht, daß die Festungsbehörden bereits alle Maßregeln ergriffen, um es scheitern zu machen? Dazu war es zu wohl überlegt, dazu sicherte die unverhältnißmäßige Ueberzahl der Gefangenen über die Besatzung zu sehr den Erfolg! Nein – der Streich mußte geführt werden – aber auch sofort! Es war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Jeder weiter verlorene Augenblick war für die sich gegen einen Angriff der Gefangenen rüstende Besatzung ein Gewinn.

Frohn war bald entschlossen. Der Officier hatte unter Frohn’s Matratze das Loch, welches in Trenck’s Kerker führte, bald aufgefunden. Er gab jetzt den Arbeitern, die herantretend ihn umgaben und das aufgewühlte Loch betrachteten, seine Befehle.

Frohn benutzte diesen Augenblick. Er winkte seinen Leuten – drängte sich an den Officier, riß ihm mit Blitzesschnelle den Degen aus der Scheide, faßte ihn im selben Augenblick am Kragen und warf ihn in das Loch hinunter. Zugleich rief er mit einer donnernden Stimme: „Es lebe die Kaiserin!“

Es war ein entsetzliches Gebrüll und Gejauchz’, was diesem Rufe folgte und die niedrige Casematte mit einem Getöse erfüllte, welches allein hinreichend schien, die kleine, sofort hereinstürzende Escorte des Officiers zu betäuben und zu überwältigen. In der That war dies halbe Dutzend ziemlich harmloser Landmiliz ohne alle Schwierigkeit zu Boden geworfen, und sechs Musketen und ebenso viele Patrontaschen und Seitengewehre waren in den Händen der Gefangenen. Frohn, den blanken Degen in der Faust, stürzte nun zur Casematte hinaus – die zwei davor aufgestellten Schildwachen konnten nicht daran denken, dem Menschenstrom, der sich hinter ihm her daraus ergoß, Widerstand zu leisten; sie waren entwaffnet, ehe sie zur Besinnung über das, was vorging, gekommen. Der entzügelte Haufe rannte nun über den innern Hof der Sternschanze fort, der Hauptwache zu. Diese war mit einer so geringen Mannschaft besetzt, daß Frohn über den Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte; er hielt es deshalb nicht für nöthig, den Angriff zu leiten, sondern trennte sich von der Schaar und lief quer über den Platz den Wällen zu. Vierzig Mann der Schaar hatten sich ihm zunächst gehalten; diese folgten ihm jetzt.

Durch seinen Plan orientirt, fand er es nicht schwer, sein Ziel zu erreichen, nämlich die Alarmkanonen auf dem Walle der Sternschanze. Zwei schwere Geschütze waren stets geladen, um jeden Augenblick, so bald die Meldung kam, daß ein Deserteur entsprungen, abgefeuert werden zu können und die Landbevölkerung in der Umgegend der Festung auf ihre Posten zum Schließen eines doppelten Cordons zu rufen. Ein Artillerist schritt als Wache neben den Geschützen auf und ab; als er die herbeistürzenden Gefangenen erblickte, deren laute Zurufe ihm an’s Ohr schlugen, ohne daß er sie verstand, blieb er wie vor Schrecken regungslos stehen und ließ sich ohne Widerstand entwaffnen. Frohn fand augenblicklich in einem der Protzkästen das nöthige Pulver, schüttete es auf das Zündloch der zwei Geschütze, schlug mit dem Stahl und Stein, den er bei sich führte, Feuer, entzündete die Lunte, die er an ihrem richtigen Platz neben der Lafette fand, und einen Augenblick nachher flammte ein heller Blitz auf – ein weithin krachender Schuß donnerte über die Festungswerke, die Stadt und die Elbe fort; ein zweiter Blitz – ein zweiter Donner folgte, und aufgeregt von seiner eigenen That schrie Frohn, die Mütze schwenkend:

„Vivat Maria Theresia! Der Tanz beginnt! Jetzt vorwärts, Ihr Mannen! Ein Bombardier und sechs Mann bleiben hier und halten die Batterie besetzt. Die Andern folgen mir!“

Er eilte fort, von seinen Artilleristen gefolgt, die brennende Lunte in der Hand. Als er den Hof inmitten der Sternschanze wieder erreicht hatte, sah er, daß seine früheren Anordnungen befolgt und bereits ausgeführt waren. Die Wache war von seinen Leuten besetzt, das Thor der Sternschanze war in ihren Händen; viele von ihnen waren schon bewaffnet – sie hatten von dem kleinen Häuflein, welches die Besatzung des Forts bildete, nirgends Widerstand gefunden. Vor der Wache standen zwei kleine Kanonen,

  1. Er erzählt wenigstens in seiner Lebensgeschichte (Wien 1787): „Nach meiner erlangten Freiheit reiste ich selbst nach Braunschweig und erfuhr vom Herzoge selbst, daß die damals über mich bestellten Majors demselben nicht die Wahrheit rapportirt und um einen Verweis wegen nachlässigen Visitirens zu vermeiden, demselben gemeldet, sie haben mich bei der Arbeit ertappt und bei genauer Untersuchung gefunden, daß ich ohne ihre Wachsamkeit sicher entflohen wäre. Einige Zeit nachher habe aber der Herzog die Wahrheit erfahren, dem Könige den Vorfall gemeldet, und von dieser Zeit an habe der Monarch nur auf Gelegenheit gewartet, um mir die Freiheit wieder zu geben.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_338.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)