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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der gefangene Major du jour wurde mit diesem Entwurf in die Citadelle gesandt. Ein österreichischer Officier wurde beauftragt, ihn zu begleiten. – Bis zur Rückkehr der beiden Herren wurden Anstalten getroffen, die Truppen zu verpflegen. Ein Theil erhielt die Erlaubniß, sich selbst in den Bürgerhäusern einzuquartieren; ein anderer sollte auf einigen freien Plätzen bivouakiren. Ein Officier wurde mit einem Detachement auf das Rathhaus gesandt, um die nöthigen Requisitionen zu machen.

Nach einer halben Stunde kamen die beiden Parlamentaire zurück. Die Bedingungen der Capitulation waren angenommen, bis auf zwei Artikel. Die Geldbestände der Gouvernementscasse auszuliefern wurde entschieden abgelehnt. Die Befreiung des Freiherrn von der Trenck wurde ebenfalls abgelehnt. Es wurde dagegen angeführt, daß Trenck auf einem andern Wege seine Freiheit und die Gnade des Königs zu gewinnen beschlossen habe und daß er allbereits in einer milderen Haft sich auf der Citadelle befinde.

Frohn hatte nicht gerade Gründe, sich um des Freiherrn willen zu ereifern, und beruhigte sich bei dieser Erklärung. Die Debatte über den anderen Punkt wurde in dem Kriegsrathe lebhafter geführt; aber da man einmal am Nachgeben war, that man es auch hierin und begnügte sich mit der Forderung, daß morgen vor dem Abmarsch und nach Uebergabe der eingenommenen Wachen und Posten jedem abziehenden Oesterreicher ein Thaler Reisegeld ausbezahlt werde. Die letztere Bedingung wurde von den Festungsbehörden genehmigt.

Als die Capitulation abgeschlossen war, unterzeichnete Frohn sie zuerst – dann bat er den ältesten Generalmajor, statt seiner das Commando zu übernehmen; der alte Herr willigte begierig ein, um einen so reglementwidrigen Stand der Dinge, daß ein Oberlieutenant über Stabsofficiere commandire und in Gegenwart hoher Vorgesetzter die Prärogative des Verdienstes habe, nicht länger fortdauern zu lassen. Die Verpflegung und Ablösung der Truppen auf den einzelnen besetzten Posten, die Bestimmung der Marschroute für die Heimreise am andern Tage, die natürlich in getrennten Colonnen angetreten werden mußte – alles das überließ jetzt Frohn den Uebrigen.

Er selbst hatte an Anderes zu denken. Er begab sich mit denen, welche die unterschriebene Capitulation in die Citadelle brachten, in diese letztere. Am Thore wartete er, bis nach einer Viertelstunde Harrens eine jubelnde, jauchzende, wilde Menge von Männern daraus hervorströmte, ein buntes Durcheinander von den verschiedensten Uniformtrachten, Physiognomien und Gestalten, der blonde, kräftige Tyroler neben dem schmalen, zigeunerhaften Serbier und Bosniaken, der cumanische Reiter neben dem bärtigen, von den letzten Fetzen seines rothen Mantels bedeckten slavonischen Panduren. Es waren die Gefangenen der Citadelle, die nach dem Inhalt der Capitulation in Freiheit gesetzt wurden.

Frohn ließ sie an sich vorüberziehen; er drückte sich zur Seite, statt sich in den Zug derer zu mischen, welche ihm ihre Freiheit verdankten, und die ihn auf den Händen getragen hätten. Es verlangte ihn nicht, von ihnen zu erfahren, wie sie am Morgen seine Anweisungen befolgt, wodurch ihre Versuche loszubrechen gescheitert seien … er sah nur voll Ungeduld, daß der lange Zug nicht enden wolle.

Endlich waren die Letzten vorüber; ein einzelner Mann, der nicht zu ihnen gehörte, der sie offenbar scheu vermied und einen weiten Raum zwischen sich und dem Letzten gelassen hatte, ein Mann, dessen großer dreieckiger Hut eine jüdische Physiognomie beschattete, folgte ihnen.

Zu ihm trat Frohn. „Isaak Heymann!“ sagte er.

Der Jude hob sein blasses, abgezehrtes Gesicht auf. „Wer ruft Isaak Heymann? Was soll geschehen mit dem armen Isaak, der ist errettet aus seinem Kerker, aus den Händen der Gojim, und weiß nicht, ob es ist ein Traum wie der Traum Jakobs, oder ob es ist die Wahrheit und die Wirklichkeit?“

„Kommt mit mir, Isaak,“ versetzte Frohn, „ich will für Euch sorgen!“

„Der Herr will für mich sorgen? Wer ist der Herr, daß er will sorgen für einen armen Juden, den er nicht kennt, und den die Mizraimiten haben gebrandmarkt mit Schande, obwohl er ist unschuldig wie Joseph, da seine Brüder ihn verkauften …“

„Laßt Euer altes Testament jetzt und kommt mit mir, Heymann, ich habe zu reden mit Euch.“

„Ich will nicht kommen mit irgend Jemand,“ sagte Isaak, „ich will gehen zu…“ Er endete nicht und verschluckte das letzte Wort, indem er einen furchtsamen Seitenblick auf Frohn warf.

„Ihr wollt gehen zu Eurer Tochter,“ sagte dieser – „gerade von ihr wollte ich mit Euch reden!“ Damit nahm Frohn den Alten unter den Arm und schritt mit ihm durch das Thor der Citadelle, über die Elbbrücke der Stadt zu.

Was der österreichische Lieutenant auf diesem Wege zu dem armen Juden geredet – brauchen wir es zu erzählen? Es reicht hin, wenn wir dem Leser ein dunkles und ergreifendes Bild zeigen, in welchem wir die beiden Männer nach wenig Stunden wiederfinden. Eine große, niedrige, dürftig meublirte Kammer eines Judenhauses der Stadt Magdeburg bildet den Rahmen desselben. In der Mitte, unter einer angezündeten dreiarmigen Hängelampe von blankem Messing, auf Kissen, die auf den flachen Boden gelegt sind, ruht ein Frauenbild, die Züge wachsbleich, die Hände gefaltet. Zu ihren Füßen kniet ein Mann mit grauem Haar, Gebete murmelnd, dann leise mit sich selber sprechend, dann plötzlich laut aufschluchzend und sich niederwerfend, daß seine Stirn den Boden berührt, seine Arme die Füße der Leiche umschlingen. Ihm gegenüber, zu Häupten der Todten, steht eine hohe, breite Männergestalt, die Arme über der Brust verschränkt, aber das Gesicht zu Boden gewendet, sodaß der Strahl der Lampe sie nicht berühren und den Ausdruck tödtlichen Schmerzes nicht zeigen, nicht in der Thräne glänzen kann, die an den Wimpern des Mannes hängt.




Beide Männer sind am anderen Tage, in der Frühe des Morgens, Reisegefährten. Sie schreiten zusammen der Grenze Sachsens zu, wo sie sich trennen wollen; Isaak Heymann, um Verwandte in Polen aufzusuchen, Joseph von Frohn, um zu seinem Regimente in Böhmen zurückzukehren. Beide schreiten den dichten Haufen vorauf, welche nach wenig Stunden durch dieselbe Gegend marschiren werden, in getrennten Schwärmen, die Einen nach links, die Andern nach rechts hinaus durch die Gegend fouragirend und marodirend, ein Schrecken der Dörfer, durch welche ihr Weg führt. Und so schwinden sie aus unseren Augen … hinter den Wäldern und Hügeln des Sachsenlandes, sowie das Gedächtniß an sie, an Frohn, den muthigen Befreier seiner gefangenen Cameraden, aus den Büchern der Geschichte geschwunden ist. [1]

  1. In einzelnen historischen Werken finden sich nur flüchtige Andeutungen an die erzählten Thatsachen. So z. B. in Trenck’s Lebensbeschreibung, dessen Unzuverlässigkeit schon aus seinen Zahlenangaben erhellt. Er gibt die Anzahl der Gefangenen auf 16,000, der Besatzung bald auf 1500, bald auf 900 Mann an und behauptet, das Unternehmen Frohn’s sei gescheitert, ohne recht zu motiviren, weshalb. Ueber den Erfolg Frohn’s vergleiche v. Stramberg, Rhein. Antiq. II. 1. S. 534, wo auch das Schweigen der zeitgenössischen Geschichtsquellen erklärt wird.


Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer.
VI.
(Mit Portrait.)

Am 14. Juni 1831 begann die deutsche Operngesellschaft ihr zweites Gastspiel in Paris. In der Nacht desselben Tages brachen Unruhen aus, die durch Einschreiten der bewaffneten Macht unterdrückt werden mußten und zu weitverzweigten Untersuchungen Anlaß gaben, sodaß wieder die politischen Interessen alles Andere in den Hintergrund drängten.

Trotz dieser Ungunst der Verhältnisse fand Wilhelmine Schröder-Devrient noch wärmere Aufnahme als das erste Mal. Einige der tonangebenden Blätter dankten der Künstlerin, der es gelungen war, „ihre Zuhörer über das unheimliche Treiben des öffentlichen Lebens zu erheben und für Augenblicke durch ihre Melodien alle Sorgen einzuschläfern.“ Die deutsche Sängerin wurde Mode in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_342.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)