Seite:Die Gartenlaube (1860) 348.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

jenes polnischen Juden, der zu seinem Collegen, dessen Sinn nach dem Besuch der Kreuzberg’schen Menagerie stand, entrüstet über die unnütze Geldausgabe sagte: „Was willst Du in der Menagerie? Hirsch Bär Wolf heißt Du, Wanzen, Flöhe und Läuse hast Du, ein Sch…d bist Du, hast Du doch schon allein eine ganze Menagerie an Dir!“ Nein, der ehrwürdige Alte hat nichts gemein mit diesen beiden frivolen Verächtern der Zoologie, deren unsaubere Reden wir nur bange citiren; er besitzt eine wirkliche Menagerie. Zwar reicht sie nicht an den Berliner zoologischen Garten, aber sie vertritt doch immer eine gewisse wissenschaftliche Richtung; sie will die Menagerie des Kleinen und Curiosen in der Natur sein.

Der Alte zeigt sich nicht an jedem Tage mit seiner Menagerie öffentlich. Er ist ein Feinschmecker im Punkte der frischen Luft, und liebt Sonnenschein und blauen Himmel. Mehrere Grade Kälte pflegen ihn und seine Thiere noch nicht nach Hause zu treiben. Wenn man sich ihm nähert, bemerkt man anfangs noch nichts von einer Menagerie. In gerader Haltung geht der Alte vor dem Gitter auf und ab, und wirft Seitenblicke auf die Spaziergänger. Er beobachtet, ob sich nicht irgend ein Neugieriger einfinden und ihn um Erklärung der Thiere ersuchen wird. Nichts ist zu sehen, als eine Anzahl schmutziger Kästchen mit einzelnen Luftlöchern. Doch nein, an einem dieser Kästchen ist der Schieber aufgezogen, und man erblickt einen bunten Vogel, der einen sanften Anflug von Lebensüberdruß zur Schau trägt und zuweilen leise einen melancholischen Ton als den Rest seiner ehemaligen Jugend- und Waldmusik ausstößt. Dieser Vogel ist anscheinend der abgehärtete Vogel der Menagerie, dem die nordischen Lüfte nichts mehr anhaben können. Wir irren jedoch: indem wir unmittelbar in die Nähe treten und über die Köpfe eines halben Dutzend kleiner neugieriger Jungen sehen, bemerken wir einen noch abgehärteteren Bewohner der Lüfte, auf den die gespannteste Aufmerksamkeit der Jugend gerichtet ist. Er soll wahrscheinlich, gleich den Papageien, Arras und Kakadus der Menagerien, auf Jahrmärkten die Neugier der Menge im Allgemeinen anreizen, und erfüllt diesen Zweck vollkommen. Wenigstens verwendet die versammelte Jugend kein Auge von ihm und prägt sorgsam sein Aeußeres ihrem Gedächtnisse ein. Dieser Vogel ist eine ganz kleine Gattung der Waldeulen und wird von dem Menageriebesitzer als strix passerata bezeichnet. Strix passerata ist leider höchst rupfig und mit Rücksicht auf die Strenge der Witterung ganz ungenügend befiedert. Sie sitzt bald auf dem Deckel eines Kästchens, bald auf einer Eisenspitze des Gitters, welches das Museum umgibt, und ist durch ein dünnes, am Fuße befestigtes Kettchen an der Entweichung gehindert. Einzelne Federn stehen ungemüthlich aus ihrem Schwanze und den Flügelenden hervor, auf dem Kopfe hat sie einen kahlen Fleck. Mit offenbarem Mißbehagen kauert sie sich in ihrem traurigen Gefieder zusammen, und betrachtet argwöhnisch die Buben, welche unverkennbar die nächste günstige Gelegenheit, sobald der Alte wegsieht, wahrzunehmen und unsere arme strix rasch einer der eximirten Federn zu berauben gedenken.

Der Menageriebesitzer.

Da der Alte den bösen Sinn der Buben längst erkannt hat, läßt sich ihr Vorhaben nicht leicht ausführen. Er hat die Augen überall und stößt von Zeit zu Zeit mit leisem seltsamen Tone den Warnungsruf aus: „Nicht anfassen! nicht anfassen!“ Doch nicht er allein, auch strix passerata merkt scharf auf, und zuweilen verräth der Schreckensruf eines der Jungen, den sie in den Finger gebissen hat, daß wieder ein Attentat gegen ihre Federn unternommen worden ist. Bald veredelt sich aber die Gesellschaft. Ein Herr in groben, aber reinlichen Sonntagskleidern, vielleicht ein kleiner Handwerker oder Fabrikarbeiter, tritt mit seinem Sohne näher und gedenkt ihm, möglicher Weise zur Feier seines Geburtstages, die Menagerie zu zeigen. Der Alte kennt den Herrn seit geraumer Zeit; ihre Sympathien sind auf denselben Punkt der Zoologie gerichtet. Auch der Handwerker liebt kleine curiose Bestien und beherbergt in großen, mit Leinwand zugebundenen Glasgefäßen eine Anzahl Eidechsen und Schlangen. Jetzt enthüllt der Alte mit freundlichem Lächeln seines gekupferten Gesichtes die naturhistorischen Schätze und erklärt sie mit jener Monotonie, welche immer von der allzuhäufigen Wiederholung auch der geistreichsten Gedanken und interessantesten Thatsachen herzurühren pflegt. Der Handwerker aber zeigt seinem Knaben sehr genau die Sehenswürdigkeiten, während der Alte jedes Kästchen so zu halten und zu drehen weiß, daß kein Unberufener einen unentgeltlichen Blick hineinzuwerfen vermag.

Da ist in erster Reihe der schwarze Kanarienvogel, eine sehr seltene Spielart, dann ein Kästchen mit weißen Mäusen, dann ein Thier, welches so zahm ist, daß es nach vollendeter Mahlzeit, wie der Alte mit der Genugthuung eines glücklichen Erziehers sagt, „in sein Local freiwillig zurückkehrt“. Aufsehen bei dem Knaben erregt namentlich der Siebenschläfer, so genannt, „weil er sieben Monate im Jahre schläft“. Er betrachtet ihn mit stillem Neide und verzeiht es ihm nicht, daß er selber von seinem zärtlichen Vater schon um sechs Uhr Morgens gewaltsam aus den Federn hervorgeholt wird. Dann folgt ein Kästchen mit kleinen Schlangen, die zum Schutz vor der Kälte mit einigen Lappen bedeckt sind. Der Menageriebesitzer schildert sie als nicht giftig, bezeichnet sie aber doch als bedenkliche und nicht zuverlässige Thiere, vor deren näherem Umgange der Deutsche gewarnt werden muß. Die zur Schaustellung herangezogenen Thiere wissen leider die ihnen angethane Ehre nicht zu schätzen. Sie befinden sich in einem Zustande von Widerwillen gegen den Umgang mit Menschen und stiller Selbstbeschaulichkeit; man wandelt nicht ungestraft unter Palmen und Professoren, aber man steckt auch nicht ungestraft in kleinen schmutzigen Kästchen. Der alte Menageriebesitzer beobachtet aber, während seiner gelehrten Auseinandersetzung, die vorüberwandelnde Menschheit, und wirft Jedem, der es wagt, zu lächeln, einen scharfen, mißbilligenden Blick zu. Es schwebt etwas Räthselhaftes um den Mann, er spricht mehrere neuere Sprachen, und ein dunkles Gerücht gibt ihn für einen ehemaligen Officier aus, der durch merkwürdige Lebensschicksale in diese abenteuerliche Lage gebracht worden sein soll. Uebrigens ist er ein Unicum; die Gattung stirbt mit ihm aus.

Der „ewigen Musikanten“, wie wir die im Thiergarten den Leierkasten drehenden Invaliden nennen wollen, sind dagegen immer mehrere. Als öffentliche Charaktere betrachtet, sind sie noch öffentlicher, als der Menageriebesitzer, da sie alle leidlich heitere Stunden des Jahres auf ihren Posten zubringen. Auch kann ihre Gattung nicht aussterben, denn sobald einer von ihnen das Zeitliche segnet, ertheilt die hohe Obrigkeit einem Andern die nothwendige Concession zur Ausübung seiner wilden Musik. Es scheinen nicht sowohl Verdienste auf dem Schlachtfelde zu sein, welche zur gnädigen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_348.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)