Seite:Die Gartenlaube (1860) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

daß ich den feurigen Insulaner so allein hinuntergießen mußte. Ich trinke nicht gern allein, und darf mit Octavio Piccolomini sagen:

„Ein halben Dutzend guter Freunde höchstens
Um einen kleinen, runden Tisch, ein Gläschen
Tokaier Wein, ein off’nes Herz dabei
Und ein vernünftiges Gespräch – so lieb ich’s.“

„Mein Verlangen nach Gesellschaft sollte sich dieses Mal schnell erfüllen. Es wurde mir nämlich von meinem Diener ein Herr Geisbock gemeldet, der mich in einer hochwichtigen Angelegenheit zu sprechen wünsche. Ich ließ ihn einführen. Herr Geisbock stellte sich mir als Apostel der Wupperthaler Missionsgesellschaft vor, der die „Berufung“ erhalten habe, mit den Brosamen des Worts, die aus der Quelle des Lichtes der Erlösung der frommen Wupperthaler Gesellschaft fließen, auch die verwahrlosten Soldaten zu speisen und bei denselben namentlich auf die Enthaltung von allen alkoholhaltigen Getränken hinzuwirken. Er überreichte mir ein Convolut Berliner und Wupperthaler Betteltractätlein, deren erstes Heft ein Titelkupfer führte, auf welchem der Teufel einen Soldaten am Strick hielt, und erbat sich meine Protection und Mitwirkung bei dem frommen Werke. – Der Herr Apostel war eine lange, hagere Gestalt mit bleichem Gesichte, in welches die Sinnlichkeit tiefe Furchen geschnitten hatte. Das Auge war erloschen, die Züge todt und beinahe bewegungslos. Das fettige, semmelblonde Haar war sorgfältig gescheitelt und hing lang über den Kragen eines dunkelfarbigen Rockes hinab, der nicht nach dem Schnitte der Welteitelkeiten gefertigt war. Die weiße Wäsche war ohne Tadel, bleichte aber die Gesichtsfarbe, die unter den Liebesexercitien, denen sich diese modernen Heiligen in ihrer engern Gemeinschaft hingeben sollen, erdfahl geworden war, zu einem schmutzigen Gelb. Der Mensch machte den widerlichsten Eindruck auf mich, und ich war nahe daran, ihm die himmlische Speise, die er mir in den Druckschriften überreicht haben wollte, in’s Gesicht zu werfen und ihn mit Fußtritten aus dem Heiligthume meiner Häuslichkeit hinauszutreiben, als ich wahrnahm, daß dieser Prediger absoluter Enthaltsamkeit sehr begehrliche Blicke nach der Madeiraflasche auf dem Frühstückstische warf.

„Diese Beobachtung änderte mein Vorhaben. Ich wollte den Menschen in seiner ganzen Niedrigkeit sehen und ihn benebelt zu seinen frommen Brüdern schicken. In dieser Absicht kämpfte ich den Unwillen nieder, der gegen diesen Heuchler in meiner Brust gährte, und lud ihn mit der gewinnendsten Herablassung ein, an meinem Frühstücke Theil zu nehmen. Er zierte sich nicht lange, nahm ungenirt mir gegenüber Platz und goß das Glas Wein, welches ich ihm einschenkte, hinunter, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Es sei die Erleuchtung über ihn gekommen, hob er hierauf an, daß es ihm gelingen werde, mich für die heilige Angelegenheit seiner Gesellschaft zu gewinnen und meine sündige Seele aus den Klauen des Teufels zu erretten; nur müsse er dafür zum Märtyrer werden und, um mich zu bekehren, vorläufig mit mir den Weg der Hölle wandeln. Dies sei ihm in diesem Augenblicke von Gott befohlen, der ihn für diese Stunde von dem strengen Gelübde der Enthaltsamkeit losgebunden und ihm aufgegeben habe, mit mir zu trinken, um meine Gunst zu erringen und dadurch Gelegenheit zu erhalten, mich für die Sache der Gesellschaft zu gewinnen.

„Ich war nahe daran, dem lästernden Schurken die Flasche, an den Kopf zu werfen, doch mäßigte ich mich, verschloß meine Ohren und meine Seele gegen die Salbadereien des Heuchlers und trank ihm tapfer zu, um möglichst schnell mit ihm an’s Ende zu kommen. Doch wir hatten bereits zwei Flaschen meines kräftigsten Madeira’s geleert, ohne daß sich irgend eine Erregung an ihm bemerken ließ. Die dritte und vierte Flasche folgte, der bleiche Mensch blieb so nüchtern, als hätte er Wasser getrunken, während ich, ich will es nicht verhehlen, schon das Gewicht des starken Weines zu fühlen anfing. Ich ließ zwei neue Flaschen bringen, deren Inhalt fast ganz in der bodenlosen Kehle dieses Enthaltsamkeits-Apostels verschwand.

„Ist das Rum vor Ihnen?“ fragte er mich, nachdem er soeben das letzte Glas der sechsten Flasche hinuntergestürzt hatte. „Darf ich Sie darum bemühen?“

„Ich reichte ihm die Flasche, er füllte sich ein großen Glas und goß das flüssige Feuer mit einem Zuge hinab. – Das ging mir doch über den Spaß. „„Altes ausgepichtes Spiritusfaß!““ schrie ich ihm zu, „„Du mußt mit dem Hohenpriester Eurer Gesellschaft, dem Satan, im Bunde stehen, sonst müßtest Du lange am Boden liegen.““ – Der würdige Mann erhob sich langsam von seinem Stuhle und stand kerzengerade vor mir.

„Siehe, Du Mann der Gewalt,“ hob er feierlich an, „der Du weder an Gott noch an seine Wunder glaubst, der Allmächtige hat in seiner Barmherzigkeit, in der Unendlichkeit seiner verzeihenden Liebe, vor Deinen Augen ein Wunder geschehen lassen, um Deine verwahrloste Seele für den Glauben zu retten. Ich, der schwache Jüngling, der seinen Durst mit dem Wasser aus den Bronnen der Wüste löscht und seine Zunge mit dem Thau des Himmels netzt, durfte Fluthen Deiner giftigen Flüssigkeit verschlingen, ohne daß mein Gehirn dadurch belästigt ist. Der Herr verwandelte das flüssige Feuer, wenn es meine Zunge berührte, in lauteres Wasser, sodaß mein Verstand immer klarer und meine Zunge biegsamer wurde, während Dein Geist und Körper in den Banden einer schmachvollen Trunkenheit schmachtet.“

„Herr–raus, verfluchter Gotteslästerer!“ schrie ich und warf ihm zuerst die Betteltractätlein in’s Gesicht. Eine Flasche zersplitterte an der Thür, die der flüchtige Heilige schnell genug zwischen sich und meinen Zorn zu bringen wußte. Meine Hunde verfolgten ihn die Treppe hinunter, ich aber eilte an das Fenster, um seinen Gang und seine Haltung zu beobachten, und mußte die bittere Wahrnehmung machen, daß das süße „Jesuslämmlein“ ohne Wanken und Straucheln seinen Weg verfolgte. Am nächsten Tage erhielt ich eine Rechnung, wonach ich zehn Silbergroschen für das Ausbessern seiner Beinkleider, die meine Hunde zerrissen haben sollten, bezahlen mußte. Ich war offenbar der Düpirte. Ich überlasse es Ihnen, meine Herren, die Nutzanwendung aus dieser Geschichte zu ziehen. Meine Antipathie gegen Alles, was nur im Entferntesten nach Muckerei und Pietisterei riecht, werden Sie sich jetzt zu erklären wissen. Diese lichtscheuen Conventikel sind Pasquille auf’s Christenthum, und die gerühmte Bildung und Civilisation unserer Zeit muß nicht weit her sein, wenn sie solche Erscheinungen unter sich aufkommen läßt.“

Nach dieser Einschaltung beschäftigte sich der Oberst wieder mit der Durchsicht der Nationale.

„Bombardier Kohlhüter,“ rief er nach kurzer Zeit.

Der Bezeichnete erschien vor dem Katheder.

„Ihr Vater,“ begann der Oberst, ohne von dem Papier aufzusehen, „ist in Ihrem National als Landsturm-Major aufgeführt. Dies ist aber eine Charge, die nur für die Kriegsjahre von 1813 und 1814 Geltung hatte, und zu welcher in jener Zeit der Noth Schuster und Schneider ernannt wurden. Ich frage deshalb, was für eine Stellung nimmt Ihr Vater im bürgerlichen Leben ein?“

Bei dieser Frage blickte der Oberst auf, fuhr aber erstaunt zurück, als sein Auge auf den Bombardier traf.

„Ein Pavian in der Uniform meiner Brigade!“ rief er mit grimmigem Lachen aus.

Und wirklich mochte es kaum eine zweite Gestalt geben, in welcher sich das Affenthum so der Menschheit assimilirt hatte. Der Bombardier war klein von Figur und trug sich gebückt. Sein Körper ruhte auf krummen Säbelbeinen, die entsetzlich hager waren. Vor Allem litt sein Gesicht an Mangel von Fleisch, so daß die runzlige Haut auf den bloßen Knochen zu hängen schien. Die kaum fingerhohe Stirn verlor sich in einem Wald von braunrothen Haaren, deren struppiger Wuchs der Bürste spottete. Die Nase war eingedrückt, der Mund ungewöhnlich groß und das Kinn lang und zurückgezogen. In den Augen spielte das unstete Flunkern, welches die kleinen Affenarten so widerlich macht. Der Ausdruck aller dieser Anomalien wurde dadurch noch unangenehmer, daß die Gesichtsmuskeln in einer steten zuckenden Bewegung waren, die der Bombardier auch mit dem Aufgebote seiner ganzen moralischen Kraft nicht zu unterdrücken vermochte.

Der Oberst betrachtete den jungen Mann einige Minuten mit immer steigendem Erstaunen, was so groß war, daß er selbst die Antwort überhörte, die der Bombardier auf die von ihm gestellte Frage gab.

„Na, meine Herren,“ wandte er sich endlich mit einer wahrhaft kläglichen Stimme an die Officiere, „was führt doch der Himmel in seinem Zorn für einen Abhub des menschlichen Geschlechts zu meiner Brigade! Haben Sie jemals ein herrlicheres Ensemble menschlicher Häßlichkeit gesehen, als in dieser Gestalt ausgedrückt ist?“ Und sich nach dem Bombardier zurückwendend, rief er voll

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_351.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)