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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Abscheu: „Fort, hinweg! Ich will weiter nichts hören. Ihren Vater, den Herrn Cameraden vom Landsturm, werde ich wohl in irgend einer Menagerie suchen müssen.“

Er warf die noch nicht durchgesehenen Nationale mit Ekel aus der Hand, wobei er die Verse citirte:

„Vorüber, ihr Schafe, vorüber,
Dem Schäfer ist gar zu weh.“

Die Ocular-Inspection war hiermit beendet, und das Examen konnte beginnen. Der Tag war für die Prüfung in der Mathematik bestimmt, der Hauptmann Mühler erlaubte sich aber dem Alten bemerklich zu machen, daß es bereits elf Uhr sei und die kurze Zeit bis ein Uhr, mit welcher Stunde täglich geschlossen werden sollte, zu einer gründlichen Prüfung in der Mathematik nicht ausreichen möchte. Er fragte, ob der Herr Oberst nicht lieber an deren Stelle das Französische setzen wollte. Der Oberst ging auf diese Abänderung ein und gab dem Lieutenant Hohnemann den Befehl, die mündliche Prüfung in der französischen Sprache zu beginnen.

Diese Abänderung war uns im hohen Grade unangenehm. Wir hatten uns nämlich gestanden, daß gerade das Französische die schwache Seite unseres Wissens sei. Unsere Erziehung datirte aus jener Zeit, wo man zu patriotisch war, um an die Sprache des Feindes auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Gab es doch Gymnasien, die in den zwanziger Jahren das Französische ganz aus ihrem Lehrplane gestrichen hatten. Unser Wissen in dieser Sprache war deshalb auch sehr lückenhaft, und es gab unter uns nur sehr Wenige, die der Prüfung, so gering auch die Ansprüche waren, die man nach dieser Seite hin an uns machte, mit Ruhe entgegensehen durften. Dazu kam noch, daß wir auf diesem Felde den Alten am meisten zu fürchten hatten, weil er der französischen Sprache durchaus mächtig war und somit unsere Leistungen vollständig beurtheilen konnte. Wenn das Französische, wie es im Plane lag, an dem letzten Tage des Examens Gegenstand der Prüfung geworden wäre, so durften wir hoffen, daß er entweder gar nicht mehr anwesend, oder uns doch in Berücksichtigung der Kenntnisse, die wir bereits in den anderen Wissenschaften gezeigt hatten, bei diesem Gegenstande ein milder Richter sein werde. Jedenfalls durften wir doch annehmen, daß sich bis dahin der sengende Sarkasmus seiner einschneidenden Geradheit, der in unserer Unwissenheit die gewünschte Gelegenheit fand, sich in seiner ganzen Schärfe geltend zu machen, schon etwas abgekühlt haben würde.

Die Anforderungen, die man an uns stellte, waren, wie schon erwähnt, nicht besonders schwierig. Wir sollten einen leichten französischen Autor fließend übersetzen, ein deutsches Dictat ohne grobe Fehler französisch niederschreiben können und in der Conversation einige Gewandtheit haben. Dies war Alles sehr leicht, für uns aber dennoch sehr schwer, und unsere Wissenschaftlichkeit in der unglücklichen Sprache mußte sehr geweckt werden, wenn sie zu den Anforderungen ausreichen sollte.

Die Prüfung begann.

Der Lieutenant Hohnemann sprach den Unterofficier v. Sorgen französisch an und forderte ihn auf, die Autoren zu nennen, welche er gelesen habe, und ihm einen kurzen Ueberblick über seine Kenntnisse in der französischen Sprache zu geben. Natürlich erwarte er die Antwort in derselben Sprache, in welcher die Frage gestellt sei.

Der Unterofficier v. Sorgen schien durch dies Ansinnen keinen Augenblick in Verlegenheit zu kommen. Er antwortete sofort und parlirte einige Minuten in so flüssigen Redensarten, daß man meinen konnte, er rede seine Muttersprache. Es setzte uns dies in nicht geringes Erstaunen, da wir wußten, daß unser lieber Camerad nach seinem eigenen Geständnisse zu denjenigen gehörte, die gar nichts wußten, die nicht einmal flüssig lesen konnten.

Den Alten schien die Gelehrsamkeit des v. Sorgen gleichfalls zu überraschen. Er hörte einige Augenblicke mit Aufmerksamkeit zu und rief dann lachend: „Sieh’, da hat ja dieser Erzwindbeutel auch eine starke Seite. Der Junge parlirt ja wie ein Professor der französischen Akademie. Das Maulwerk dazu hat er schon.“

„Nichts als Dummheiten, Herr Oberst,“ entgegnete der finstere Examinator. „Eingelernte Phrasen auf eine Frage, die er voraussehen konnte.“

„Unmöglich!“ brummte der Oberst ärgerlich.

„Refaites-le!“ rief er dem Unterofficier zu.

Dieser begann seine Litanei von Neuem, und zwar mit einer Furchtlosigkeit und Zungenfertigkeit, die in Erstaunen setzte.

„Taisez-vous. Tais-toi!“ unterbrach ihn der Alte schon nach den ersten Sätzen. Der Unterofficier, der diesen Zuruf nicht übersetzen konnte, schwadronirte ruhig fort, bis der Oberst wüthend aufsprang, ihm die riesige Faust vor die Augen hielt und mit einem Gebrüll, das die Fenster beben machte, ausrief: „Taisez-vous. autrement je vous ferme la bouche!“

Die verständliche Handbewegung brachte unsern kecken Cameraden endlich zum Schweigen.

„Kreuz-Millionen-Donnerwetter!“ schrie der Alte, „eine solche kecke Dummdreistigkeit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Aber ich kenne diesen dicken Millionenhund schon, der überbietet an Frechheit und Selbstvertrauen den ärgsten Mucker, und es gibt keine Dummheit, die er nicht auszuführen und zu vertreten geneigt wäre. In hundert Kneipen ist er Stammgast und bei allen Schenkmädchens Hahn im Korbe. Die schönen Redensarten, durch welche er uns bestechen wollte, hat er sich jedenfalls auch von einer französischen Gouvernante oder Bonne einpauken lassen. Aber ich werde dem ausgepusteten Windsack diese Flausen anstreichen. Balgentreter und Steineklopfer kann er werden, aber nicht Artillerie-Officier. Halten Sie sich nicht länger bei dem Stockfisch auf, Herr Lieutenant. C’est une buse!“

Der nächste Camerad erlag schon bei der ersten Frage.

„Imbécile que vous étes!“ schrie der Alte, als der junge Mann bei seiner Entgegnung einige Augenblicke in seinem Gedächtnisse nach einer fehlenden Vocabel suchte. „Verlieren Sie keine Zeit, Herr Lieutenant, aus dessen Hirnkasten filtriren Sie doch nichts heraus. Den kenne ich schon: c’est un bon diable, der nicht einmal so viel Geist und Muth hat, um mit Geschick einen dummen Streich auszuführen. Den hat der liebe Gott auch in seinem höchsten Zorn zum Artilleristen gemacht.“

Der Nächste, als er in seiner Antwort einige Unsicherheit zeigte, wurde von dem Alten mit einem vous étes un nigaud abgefertigt; und so bekam ein Jeder sein Theil mit Ausnahme des „Weinerlichen“, wie der Oberst den armen Schwalbe nannte, und des „Verwahrlosten“, womit er den Bombardier Werter bezeichnete, welche die Sprache beherrschten und sich darin mit Gewandtheit auszudrücken vermochten.

Der Camerad Kohlhüter wußte gar nichts, er konnte kaum richtig lesen und nicht einmal den leichtesten Satz aus dem Französischen in’s Deutsche übersetzen.

„Cet homme me répugne!“ rief der Alte. „Lassen Sie es für heute genug sein, Herr Lieutenant. Es ist Mittag, wir wollen schließen.“

Zu mir gewandt, fügte er hinzu: „Mit Ausnahme des Weinerlichen und des Verwahrlosten habt Ihr Alle nichts gewußt. Das läßt sich aber noch nachholen. Zu Eurer Beruhigung kann ich Euch sagen, daß ich manchen braven Officier gekannt habe, der die Franzosen zu schlagen wußte, ohne von ihrer Sprache etwas zu verstehen. Morgen kommt die Mathematik an die Reihe. Da bitte ich mir aus, daß Ihr den heutigen Nachmittag dazu benutzt, Euch gehörig vorzubereiten. Bei der Entscheidung über Eure Tüchtigkeit zählt diese Wissenschaft mit vier Stimmen, und wer darin nichts weiß, kann die Hoffnung auf die Epauletten aufgeben, und mag sich nur immerhin mit dem Leierkasten bekannt machen, denn das Herumsingen würde doch sein endliches Loos sein. Also keine Bummelei heute! Den leichtsinnigen Millionenhund, den ich in einer Kneipe attrapire, schicke ich sogleich auf die nächste Wache. Ich nenne mich Tuchsen! Adieu.“


Für „Vater Arndt“

gingen im Laufe der letzten Woche wieder ein: 5 fl. Einige deutsche Verehrer des Vater Arndt in Tiefenbach bei Tannwald (Böhmen) – 15 fl. aus Grätz und zwar: 3 fl. J. P. – 1 fl. J. R. – 1 fl. R. L. – 1 fl. A. P. – 1 fl. H. W. – 2 fl. F. F. – 2 fl. J. B. – 1 fl. J. M. – 1 fl. J. F. – 1 fl. L. P. – 1 fl. F. B. – 2 Thlr. Ludw. Riedel in Meerane.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_352.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)