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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Boden etwa 3 Fuß 2 Zoll, die ganze Länge bis zum Ansatz des Schweifes beträgt 5 Fuß 7–8 Zoll, der Kopf ist 20–21 Zoll, die Schwanzwurzel 11 Zoll lang. Das Gewicht beträgt zu Ende der Feistzeit nach Entfernung der Eingeweide (Aufbruch) oft an 250–300 Pfund. Viel stärker wird ein Wildschwein heutzutage nicht leicht, doch sind in frühern Zeiten Hauptschweine von vier Centnern eben keine Seltenheit gewesen. Die Bachen oder weiblichen Wildsauen werden selten so stark, und das im Park oder Gehege aufgewachsene Schwarzwild steht dem wild lebenden im Allgemeinen bedeutend nach.

Das Gebiß bringt unser Schwarzkittel vollständig mit auf die Welt und zwar in jedem Kiefer 6 Vorderzähne, 2 Eckzähne und an jeder Seite oben und unten 7 Backzähne. Die bekannten Eckzähne oder Hauer bleiben beim weiblichen Geschlecht kurz und führen den Namen: „Haken“; beim Keiler erreichen sie im höhern Alter oft eine bedeutende Länge und heißen in der Jägersprache „das Gewehr“ oder „Gewäff“, da sie die Wehr und Waffe des Thieres bilden.[1] Der eigentliche Hauer wurzelt im Unterkiefer, er ist dreiseitig, halbmondförmig gebogen und etwas nach hinten und auswärts gerichtet. Beim dreijährigen Keiler steht kaum ein Drittel des Hauers zu Tage, der untere stark gekrümmte Theil ist hohl und ruht in der soliden Knochenscheide des Unterkiefers. Der Hauer schließt und streift dicht vor dem im Oberkiefer befindlichen zweiten Eckzahn, welcher aus einem Fortsätze des Oberkieferbeins entspringend, sich ebenfalls aufwärts krümmt, wobei er der Wölbung des Rüssels folgt. Dieser obere Eckzahn ist rundlich, mit stumpfer Spitze und kurzer Wurzel, denn er bildet gewissermaßen nur den Wetzstein für den Hauer, welcher, beständig an ihm reibt. Durch dieses fortgesetzte „Wetzen“ ist die vordere Fläche des obern Eckzahns meist spiegelglatt abgeschliffen, die innern Kanten des Hauers aber oft messerscharf. Beim drei- und vierjährigen Keiler stehen die Hauer erst 2–3 Zoll hervor und sind noch ziemlich gerade, aber eben deshalb eine gefährliche Waffe. Derartige Keiler bezeichnet der Jäger wohl mit dem Namen: „Hundsschläger, Hosenflicker“, und ein alter Waidmannsspruch sagt mit Recht:

„Ein angehend Schwein macht zur Zeit
Witzige Hund’ und Jägersleut’!“

Im höhern Alter krümmt sich der stets wachsende Hauer oft so sehr, daß er, als Waffe betrachtet, geradezu untauglich wird. – Auch die obern Eckzähne krümmen sich mit den Jahren auffallend stark, und Referent hat ein Exemplar zu sehen Gelegenheit gehabt, wo die Spitzen der beiderseitigen Gewehre sich mitten auf dem Rüssel berührten.

Schädel des Wildschweins.

In der Jägersprache heißt das Wildschwein kurzweg Sau. Die Jungen nennt man bis zum ersten Lebensjahre Frischlinge, später Ueberläufer. Das Männchen heißt im dritten Jahre ein dreijähriger Keiler, im vierten ein angehendes Schwein, im fünften ein Schwein und später Hauptschwein, welchen Ehrentitel es alsdann zeitlebens behält. Das Weibchen heißt im dritten Jahre eine dreijährige, dann eine vierjährige und zuletzt eine grobe Bache. Man sagt überhaupt nicht: kleine und große, sondern: geringe und grobe Sauen. Der Rüssel wird das Gebräch genannt, die Furchen, welche sie mit demselben in’s Erdreich wühlen, aber das Gebreche. Die Ohren heißen Schüsseln oder Gehöre, die Haut Schwarte, der Schwanz Bürzel. Bei den Kinnbacken unterscheidet man Ober- und Unterwurf. Das Fett wird Feist, das Blut Schweiß, die Füße, wie bei allen jagdbaren Säugethieren, Läufe genannt. Die Hufe heißen Schalen, die kleinen Hinterzehen das Geäfter und der Abdruck des Fußes im weichen Boden oder Schnee die Fährte.

Zu den besonderen Eigenheiten der Sauen rechnen wir zunächst ihr offenbar schwaches Sehvermögen, dagegen sind Geruch und Gehör von wunderbarer Feinheit. Bei günstigem Wind und feuchtem Boden hält es aus obigem Grunde gar nicht schwer, einer Sau auf einer freien Waldblöße zu Nahen, dagegen ist das leiseste Geräusch, die geringste verdächtige „Witterung“ (Ausdünstung, Geruch) hinreichend, sie in Alarm zu bringen. Die aufmerksam gewordene Sau wendet alsdann sofort den Kopf nach der gefahrdrohenden Seite und sichert und windet mit erhobenem Gebräch und steifem Gehör, wobei von Zeit zu Zeit ein kurzer, schnaubender oder pfauchender Ton durch die Nüstern gestoßen wird. Sind mehrere Sauen beisammen, so stutzt auf diesen Ton sofort das ganze Rudel, und bald geht’s entweder in kurzem Trott oder in wilden Bogensätzen dahin.

Ein alter Jagdschriftsteller (v. Heppe) sagt: „Wenn die Sauen flüchtig fortstreichen, so geschieht dies in voller Furie und mit Brausen und Schäumen.“ In der That hat die plötzliche, unerwartete Flucht eines größern Rudels etwas Imposantes, und trotz des anscheinend plumpen Körperbaues sind die Bewegungen der aufgeregten Sau von rapider Schnelligkeit. Das häufige Suhlen in Pfützen, das Reiben an Baumstämmen und die Stimme hat die Wildsau mit der zahmen gemein. Doch hört man jenes bekannte, durchdringende Nothgeschrei nur von Jungen und Bachen; der Keiler wehrt sich stumm, unter Schäumen und Wetzen bis zum letzten Hauch. Grobe oder starke Sauen pflegen vor einzelen Hunden nicht leicht die Flucht zu ergreifen, sie lassen sich vom Hund „verbellen“ und gehen, wenn sie in die Enge getrieben werden, auf Menschen, Hunde, Pferde und was ihnen sonst im Wege stehen mag, unerschrocken los.

Das gewöhnliche Angriffsmanöver einer solchen „pressirten“ Sau besteht darin, den Gegner über den Haufen zu rennen. Selbst Frischlinge und Ueberläufer sieht man mitunter dies Experiment ausführen, was denn allerdings sehr viel Komisches hat. Der Keiler sucht bei diesem Anlauf seinem Feind einen Schlag mit dem Gewehr zu versetzen, zu welchem Zweck er den Unterkiefer etwas nach der entsprechenden Seite herausschiebt. – Durch einen Seitensprung weiß sich der Jäger in solchem Falle leicht zu helfen, denn der Keiler begnügt sich fast immer mit diesem einen Anlauf. Dagegen war Referent einst Augenzeuge, wie eine Bache, welche die Hunde „abgesetzt“ hatte, den ihr zunächst stehenden Jäger vier bis fünf Mal hintereinander attaquirte. Es dürfte überhaupt gefährlicher sein, durch eine Bache, als durch einen Keiler überrannt zu werden, denn letzterer kann, in Folge der nach oben gerichteten Hauer, einem platt am Boden liegenden Menschen wenig schaden; die Bache aber beißt und tritt den Gegenstand ihres Hasses mit Nachdruck und Ausdauer.

Glücklicherweise gehören derartige Unfälle heutzutage immer schon zu den Seltenheiten, und die Jäger von Fach wissen mit diesen ungehobelten Gästen leicht fertig zu werden. Die Wildsau ist phlegmatisch-cholerischen Temperaments und, so lange sie nicht zum Aeußersten gereizt wird, ein sehr friedfertiges Geschöpf, welches sich

  1. In der Kirkdaler Höhle und im Kalksinter und Tuff Schwedens hat man Ueberreste vom urweltlichen Schwein (S. priscus) mit beinahe fußlangen Hauern gefunden.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_365.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)