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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 24. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.
Aus den Papieren eines *schen Beamten.
Herausgegeben von J. F–e.
(Fortsetzung.)


Trotz der Entschiedenheit der Dame sah ich mich dennoch genöthigt, sie weiter zu inquiriren.

„Führen Sie einen Paß bei sich?“ fragte ich sie.

„Thun die Gerichte hier Polizeidienste?“ fragte sie mich.

„Wenn Sie wünschen, kann der nächste Polizeibeamte Ihren Paß in Empfang nehmen,“ erwiderte ich.

„Nein, mein Herr, ich führe keinen Paß.“

„Auch keine sonstigen Legitimationspapiere?“

„Auch keine anderen Legitimationspapiere; nicht einmal einen Brief, nicht einmal eine Adresse, aus der Sie etwas über mich erfahren könnten.“

„Absichtlich, Madame oder mein Fräulein?“

„Nehmen Sie an, es sei absichtlich. Zwischen Madame und Fräulein haben Sie die Wahl.“

Sie sprach die letzten Worte mit einem gewissen Hohn, welcher mir in ihrer Lage wenig angebracht schien. Die ordinaire Frau der Wirthsleute fiel mir wieder ein. Sie mochte in der vornehmen Welt gelebt haben, jedoch gehörte sie derselben nicht an. Aber ich wollte mir kein voreiliges Urtheil über sie bilden, nur eins konnte ich nicht über mich gewinnen: sie für eine verheirathete Frau zu halten. Die Heiligkeit der Ehe und sie – die Verbindung widerstrebte mir; freilich, es gibt ja auch unheilige Ehen. Ich trat den entscheidenden Fragen an sie näher.

„Mein Fräulein, würden Sie mir eine Durchsuchung Ihrer Sachen gestatten?“

Sie veränderte sich auch bei dieser plötzlichen Frage nicht.

„Wenn Sie ein Recht dazu haben!“ warf sie hin.

„Es käme auch darauf an. – Fräulein, der eine Ihrer Reisebegleiter hieß Franz Bauer.“

„So?“

„Er ist ermordet!“

Ich sah sie scharf genug bei diesen Worten an. Kein Zug ihres Gesichts veränderte sich, aber sie stand von ihrem Sitze auf.

„Das Schicksal des Mannes dauert mich,“ sagte sie mit unverkennbarer Theilnahme in Stimme, wie in Blick. „Ich bin nur wenige Stunden mit ihm gereist; aber ein solches Verbrechen entsetzt uns, wenn es auch Jemanden betroffen hat, den man blos flüchtig kannte.“

Dann auf einmal veränderte sich ihr ganzes Wesen; sie trat näher vor mich, sah mich durchdringend, stolz, vorwurfsvoll an und sprach langsam, nachdrucksvoll: „Aber nun, mein Herr, eine Frage meinerseits an Sie, nur eine. Sie halten mich dieses Verbrechens verdächtig; darum inquiriren Sie seit einer Stunde gegen mich. Was berechtigt Sie hierzu?“

Sie behielt den Blick auf mich gerichtet, als sie die Frage ausgesprochen hatte. Ihre Augen blitzten, ihre Wangen waren geröthet, und so erwartete sie meine Antwort. Sie sah fast edel aus in diesem Augenblick, ihre Schönheit war eine erhabene. War das Kunst? Ich war ihr Offenheit schuldig und stand ohnehin nach dem Gange des Verhöres unmittelbar an dem entscheidenden Augenblick.

„Ja, mein Fräulein,“ antwortete ich ihr, „ein Verdacht gegen Sie hat meine Fragen geleitet, die Sie auch richtig mit Inquiriren bezeichnen; ob nun der Verdacht ein berechtigter ist, darüber mögen Sie selbst entscheiden. Franz Bauer ist in der Zeit vom Sonnabend Abend bis zum Sonntag Morgen erschossen und beraubt, und Sie sind am Sonnabend Nachmittag in seiner Gesellschaft gesehen worden; auch sind Sie geständig, noch am Sonnabend Abend in seiner Gesellschaft gewesen zu sein, und waren bei ihm in der Nähe des Ortes des Verbrechens; Sie waren bei ihm in Gesellschaft noch eines Dritten, seitdem jedoch waren Sie spurlos verschwunden und hatten sich in diese öde, verlassene Gebirgsgegend zurückgezogen. Hier endlich aufgefunden, wollen Sie keine Auskunft über sich geben, weder über Ihre Heimath und Verhältnisse, noch über den Zweck Ihres verborgenen Hierseins. Das Alles erweckt Verdacht, allerdings nur entfernten; Sie können völlig unschuldige Ursachen zu Ihrem Benehmen haben, aber nun vernehmen Sie ferner: Sie haben während Ihres Hierseins den geheimen Besuch eines fremden Mannes empfangen, welcher jenem Dritten glich, mit dem Sie zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten waren, und diesen Besuch haben Sie mir abgeleugnet. Entscheiden Sie.“

Ich war es jetzt wieder, der sie durchdringend ansah, und – sie schlug ihre Augen nieder; sie schlug sie nieder, als ich des Besuchs erwähnte, und es kam mir zugleich vor, als wenn etwas in ihr aufzucke, aber so unmerklich, daß ich meiner Sache nicht gewiß werden konnte. In demselben Momente hatte sie ihren Blick schon wieder erhoben; sie sah mich klar an, nur nachsinnend, als wenn sie mit sich berathe, ob sie etwas, das sie auf der Zunge, vielleicht auch tief im Herzen hatte, aussprechen solle oder nicht. Sie sprach es aus, sie sprach es mit Thränen aus, die heftig aus ihren Augen hervorstürzten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_369.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)