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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

begegnet sei, der sich mit jener verstellten Stimme nicht in Einklang bringen lasse. So glaubte der Zeuge, unbeschadet seines Gewissens, mindestens mit hohem Grade von Wahrscheinlichkeit versichern zu können, daß der ihm vorgestellte Grote jener nächtliche Besuch der Hein sei.

Ich ließ darauf zuerst die Hein vorführen. Jener ungewisse Blick des schuldigen Verbrechers, der einem neuen Zeugen zu begegnen fürchtet und ihn doch sucht, flog durch das Zimmer und dann in mein Auge.

„Fräulein,“ sagte ich zu ihr, „wenn ich Ihnen den Mann vorstelle, der Sie im Gebirgskruge besuchte, werden Sie ferner beim Leugnen bleiben?“

Eine fürchterliche Blässe zog durch ihr Gesicht.

„Er ist hier,“ fuhr ich fort. Ich konnte es sagen, mit der Ueberzeugung des Krügers.

Sie zitterte. Sie hatte keine Antwort.

„Sie antworten mir nicht? Sie zwingen mich dadurch, ihn in Ihre Gegenwart zu bringen.“

„Um Gotteswillen nicht!“ rief sie, wie entsetzt. Alle Kraft und Kunst der Verstellung war von ihr gewichen.

Ich glaubte den Augenblick gekommen zu sehen, ihr dringende Vorstellungen machen zu können. „Ihr Reisegefährte ist in meiner Hand,“ sagte ich, „derselbe Mann, der mit Ihnen zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten war. Glauben Sie, daß es mir jetzt noch schwer sein werde, von Ihnen die Wahrheit zu erfahren?“

Einen Augenblick noch hatte sie mich ängstlich durchbohrend angesehen, als wenn sie in die letzte Tiefe meines Innern blicken müsse; dann auf einmal athmete sie auf, ihr Blick wurde plötzlich frei, sicher.

„Er wird Ihnen bestätigt haben, was ich aussagte,“ erwiderte sie. „Wäre es anders, so haben Sie die Güte, ihn mir gegenüber zu stellen. Ich bin gefaßt darauf und wünsche es.“

„Und soeben erschraken Sie davor?“

„Es war im ersten Augenblick. Ich bin ein schwaches Weib.“

Sie sprach diese Worte beinahe mit Hohn, so sicher war sie auf einmal, und kaum eine Minute vorher jenes Entsetzen! Durch Grote konnte ich also nichts weiter erfahren, oder wußte er nichts? Aber warum dann seine eigene Angst und seine Unwahrheiten? War sie seiner Verschwiegenheit und Festigkeit gewiß? Ich hatte ihn im Gegentheil für keinen festen Charakter gehalten, und immer fehlte noch die Erklärung für den plötzlichen Uebergang vom höchsten Schreck zu der sicheren Ruhe. Dafür war nur eins anzunehmen: Grote war ihr Reisegefährte, nicht aber der Mann, der sie im Kruge besucht hatte. Nur diesen fürchtete sie; den Anderen jedoch, ihren Reisegefährten Grote, fürchtete sie nicht, trug vielmehr ein Verlangen, ihn zu sehen, mit ihm zusammengestellt zu werden; denselben Grote, der vor Schreck beinahe zusammenbrach, als er sie sah. Auf einmal glaubte ich es zu haben: sie war Mitschuldige, wenigstens schuldige Mitwisserin des Mordes; Grote war unschuldig, er konnte aber sie und den eigentlichen Mörder verrathen. Der Unbekannte, der sie in dem Gebirgskruge besucht hatte, war der Mörder, und wer war er? Er mußte in seinem Aeußeren Aehnlichkeit mit Grote haben, nur Haare und Bart waren schwärzer, glänzender, und das war die bis jetzt anzunehmende, bisher nicht beachtete Unähnlichkeit.

Grote aber mußte ihn kennen, und von ihm mußte ich also dennoch Auskunft erhalten; darum wünschte sie mit ihm zusammengestellt zu werden, denn auch sie kannte ihn als einen nicht festen Menschen. Sie mußte eine Gelegenheit haben, ihn zu kräftigen, ihn vor Verrath zu warnen, und dies ist gerade die gefährlichste Seite der gerichtlichen Confrontationen, weshalb ich Grote um so schleuniger vernehmen mußte. Ich schickte die Hein in das Gefängniß zurück und ließ Grote wieder vorführen, dessen Charakter mir jetzt noch klarer geworden war. Er dachte nicht an die noch entferntere, er erschrak vor der nahen Gefahr. Ich legte ihm den bei der Hein gefundenen Ring vor.

„Kennen Sie diesen Ring?“

Er wurde sofort wieder unruhig. „Ich glaube,“ sagte er, „wenn ich nicht irre, so habe ich ihn an der Hand des unglücklichen Bauer gesehen.“

„Er ist im Besitz der Antonie Hein gefunden worden.“

Er starrte mich ungewiß an, denn er hatte den Namen nicht kennen wollen.

„Im Besitz Ihrer Reisegefährtin wurde er gefunden,“ fuhr ich fort.

Der Angstschweiß brach ihm schon jetzt aus.

„Erklären Sie sich den Umstand?“ fragte ich.

Er schwieg noch immer.

„Oder können Sie gar bestimmte Auskunft darüber geben?“

„Nein,“ antwortete er hastig.

„Also eine Erklärung hätten Sie?“

„Nein, ich weiß nichts davon,“ sagte er zögernder.

„Herr Grote,“ ermahnte ich ihn, „bedenken Sie Ihre Lage, bevor Sie mir weiter antworten. Sie und die Hein, jenes Frauenzimmer, das Sie hier sahen, sind die letzten Personen, die in der Gesellschaft des Ermordeten gesehen worden sind.“

„Ich weiß das nicht.“

„Sie sind in der Nähe seiner Ermordung bei ihm gewesen. Geben Sie das zu?“

„Ich kann es nicht leugnen.“

„Wenige Stunden vor dem Verbrechen.“

„Auch das ist wahr.“

„Der Ermordete ist seines ganzen Vermögens beraubt worden.“

„Ich kann nichts darauf entgegnen.“

„Sie wußten, daß er dieses bei sich trug.“

„Er hatte es mir gesagt.“

„Sie sind seitdem im Besitze eines bedeutenden Vermögens gefunden worden.“

„Ich hatte es schon früher und habe es mir redlich erworben.“

„Haben Sie Beweise dafür?“

Er verstummte.

„Aber weiter. Die Hein ist im Besitze des Ringes des Ermordeten; hat auch sie ihn ehrlich erworben?“

„Ich weiß es nicht.“

„Sie haben seit dem Verbrechen die Hein geheimnißvoll besucht?“

„Nein, nein.“

„Der Krüger hat Sie mit der größten Wahrscheinlichkeit wiedererkannt?“

„Ich war es nicht, er hat sich geirrt.“

„Er ist bereit, es zu beschwören, und wird es Ihnen in das Gesicht sagen.“

„Er schwört falsch.“

„Es war in der Sonntagsnacht vor acht Tagen; können Sie beweisen, wo Sie damals waren?“

Er starrte in einer unbeschreiblichen Unruhe und Angst vor sich hin; noch zwei oder drei Schläge, und ich mußte ihn haben. Es waren grausame Schläge, die ich nach ihm führte, Schläge einer entsetzlichen moralischen Tortur; aber rief er sie, indem er dem Rechte sein Recht nicht werden lassen wollte, nicht selber als Acte der Gerschtigkeit hervor?

„Wo waren Sie in jener Nacht?“ wiederholte ich.

„Ich habe keine Beweise darüber.“

„Ah, Sie können also das Zeugniß des Mannes nicht falsch machen; es wird aber auch anderweit bestätigt, durch Sie selbst.“

„Durch mich?“

„Als ich Ihnen vor einigen Tagen durch jenes Fenster die Hein zeigte, erschraken Sie, wie vor einem Blutzeugen.“

Er mußte wieder verstummen, und ich kam zum Schlusse.

„Erwägen Sie alle diese Momente und fällen Sie dann selbst Ihr Urtheil. Welcher Richter, welcher Geschworene wird und kann Sie für unschuldig halten?“

Der Schweiß floß ihm von der Stirn, und ich hörte fast die Tropfen auf die Erde fallen.

„Nehmen Sie dazu noch Ihr verborgenes, geheimnißvolles Herumschweifen in dieser Gegend, über das Sie keinem Menschen Auskunft geben können, und jetzt antworten Sie mir.“

Er wollte mir eine Antwort geben, aber es war kein Geständniß, ich sah es ihm an und kam ihm deshalb zuvor.

„Es gibt in der Welt nur ein Mittel, das Sie retten kann, und Sie haben es in Ihrer Gewalt.“

„Ich?“ rief er.

„Legen Sie ein offenes Geständniß ab.“

Er blickte heftig zu mir auf, denn ich hatte die richtige Seite getroffen.

„Sind Sie unschuldig, so können Sie es nur noch dadurch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_387.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)