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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in seiner bescheidenen Wohnung in der Spandauerstraße und auf seinem Comptoir, wo er als Fabrikinspector bei seinem reichen Glaubensgenossen Bernhard mit dreihundert Thalern jährlichen Gehalts in Diensten stand. Freundlich aufgenommen brachte Lavater manche genußreiche Stunde in der Gesellschaft des armen, stotternden und verwachsenen Denkers zu, der von seinem Freunde Lessing später als Typus der religiösen Toleranz in seinem unsterblichen „Nathan“ verherrlicht wurde. Bei einem bescheidenen Mahle, durch heiteres und doch tiefes Gespräch gewürzt, oder bei einer Schachpartie entfaltete Mendelssohn, bei dem sich auch Lessing oft einfand, die ganze Fülle seines sokratischen Geistes und entzückte den leicht erregbaren Lavater bis zur enthusiastischen Bewunderung, von der seine Briefe sowohl, wie seine Physiognomiken Fragmente vielfach Zeugnis, geben.

Von ihm schreibt er dem bekannten Kanonikus Breitiger in Zürich: „Den Juden Moses, den Verfasser der philosophischen Briefe über die Empfindungen, fanden wir in seinem Comptoir mit Seide beschäftigt. Eine leutselige, leuchtende Seele im durchdringenden Auge und einer äsopischen Hülle; schnell in der Aussprache, doch plötzlich durch ein Band der Natur im Laufe gehemmt. Ein Mann von scharfen Einsichten, feinem Geschmack und ausgebreiteter Wissenschaft. Ein großer Verehrer denkender Genies und selbst ein metaphysischer Kopf; ein unparteiischer Beurtheiler der Werke des Geistes und Geschmacks; vertraulich und offenherzig im Umgange, bescheidener in seinen Reden als in seinen Schriften und beim Lobe unverändert, ungezwungen in seinen Gebehrden, entfernt von ruhmbegierigen Kunstgriffen niederträchtiger Seelen, freigebig, dienstfertig; ein Bruder seiner Brüder, der Juden, gefällig und ehrerbietig gegen sie, auch von ihnen geehrt und geliebt.“

Je mehr aber Lavater Mendelssohn bewunderte und lieb gewann, desto größer wurde sein Wunsch, den jüdischen Philosophen für das Christenthum zu gewinnen. Zu der aufrichten Ueberzeugung und der Sorge um das Seelenheil des von ihm verehrten Mannes gesellte sich seine natürliche Eitelkeit. Eine solche Bekehrung hätte nothwendigerweise das größte Aufsehn in der gebildeten Welt erregt und dem glücklichen Veranlasser keinen geringen Ruf verschafft. Aber es war dies keine leichte Aufgabe, da Mendelssohn treu an dem Glauben seiner Väter hielt und alle derartige Versuche bald mit tieferen Gründen, bald mit leiser Ironie zurückwies. Der fromme Lavater liest sich jedoch nicht so bald abschrecken, er wartete auf eine passendere Gelegenheit, die sich ihm auch mit der Zeit darbot. Einstweilen verabschiedete er sich mit dem Versprechen, von sich bald hören zu lassen.

Jahre waren seit jenem Besuche vergangen, als Lavater seinen gefaßten Vorsatz endlich ausführte, indem er Bonnet’s Beweise für das Christenthum aus dem Französischen übersetzte und Mendelssohn mit einem offenen Briefe widmete, welcher folgendermaßen lautete:

„Ich kenne Ihre tiefen Einsichten, Ihre standhafte Wahrheitsliebe, Ihre unbestechliche Unparteilichkeit, Ihre zärtliche Achtung für Philosophie überhaupt und die Bonnet’schen Schriften besonders, und unvergeßlich ist mir jene sanfte Bescheidenheit, mit welcher Sie, bei aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum, dasselbe beurtheilen, und die philosophische Achtung, die Sie in einer der glücklichsten Stunden meines Lebens über den moralischen Charakter seines Stifters bezeigt haben, so unvergeßlich und dabei so wichtig, daß ich es wagen darf, Sie zu bitten, Sie vor dem Gotte der Wahrheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Vater, zu bitten und zu beschwören: nicht, diese Schrift mit philosophischer Unparteilichlkeit zu lesen, denn das werden Sie gewiß ohne mein Bitten selbst thun, sondern dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden; wofern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heißen – was Sokrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen und unwiderleglich gefunden hätte.“

Das war eine schwere und bittere Stunde für den armen Mendelssohn, als er diesen Brief empfing und las. Wohl durchschaute er die zweideutige Falle, welche hinter den anscheinend liebevollen Worten lauerte. Als Jude konnte und durfte er nicht die Schriften Bonnet’s widerlegen, ohne das Christenthum selbst anzugreifen, wogegen sich seine Klugheit nicht minder wie seine Duldung Andersgläubiger sträubte. Mußte ihm nicht die Rücksicht auf die gedrückte Lage seiner Glaubensgenossen die Hände binden? Seine Entgegnung, so mild auch diese ausgefallen wäre, hätte sämmtliche Zeloten aufgebracht, zu neuen Beschuldigungen und Verfolgungen gegen die Juden Veranlassung gegeben. Auf der andern Seite konnte er ebenso wenig auf die öffentliche Aufforderung Lavaters schweigen; das hieß, ihm oder vielmehr Bonnet Recht geben, seine eigene Religion verdammen, seine innersten Ueberzeugungen verleugnen. Man hatte nichts Geringeres von ihm verlangt, als sich taufen zu lassen, wenn er nicht im Stande wäre, die Beweise für das Christenthum zu widerlegen. Was sollte er thun? – Am meisten aber schmerzte ihn die Indiskretion Lavaters, die jesuitische Schlauheit, womit der Freund ihm nur die Wahl ließ zwischen Abschwörung seines Glaubens oder einem ebenso gefährlichen, als seiner Natur widerstrebenden Angriffe aus die von ihm so hochgeachtete christliche Religion.

Der zudringliche Eifer des Züricher Philosophen versetzte ihn, in die größte Verlegenheit und griff ihn so an, daß er sich dadurch eine schwere Krankheit zuzog, die ihn längere Zeit für jede Arbeit untüchtig machte. Nicht minder erzürnt waren aber die zahlreichen Freunde Mendelssohns, vor Allen der herrliche Lessing, welcher sich, damals in Wolfenbüttel befand. Er schrieb ihn, in Folge dieser Angelegenheit die charakteristischen Zeilen: „Was ist das für ein neuer Angriff, der in der Jenaischen Zeitung von Lavater auf Sie geschehen? Ich lese diese Zeitung nicht und habe sie auch in ganz Braunschweig nicht auftreiben können. Haben Sie doch ja die Güte, mir das Blatt mit der ersten Post zu senden. Noch mehr aber bitte ich Sie, wenn Sie darauf antworten, es mit aller möglichen Freiheit, mit allem nur ersinnlichen Nachdrucke zu thun. Sie allein dürfen und können in dieser Sache so sprechen und schreiben, und sind daher unendlich glücklicher als andere ehrliche Leute, die den Umsturz eines abscheulichen Gebäudes nicht anders, als unter dem Vorwande, es neu zu unterbauen, befördern können. – Ich sende Ihnen auch hierbei Ihre Briefe von Bonnet zurück. Der Narr ist mir so ekel geworden, daß ich auch nicht einmal die Wahrheit von ihm lernen möchte.“

Ermuthigt durch die vielfachen Beweise der Theilnahme von Seiten aller Aufgeklärten und der Freunde wahrer Toleranz, entschloß sich endlich Mendelssohn zu einer Antwort, die von der zarten Feinheit seiner wahrhaft humanen Bildung, von seinem Verstande und seinem Herzen ein gleich ehrenvolles Zeugniß gab. „Sicherlich,“ schrieb er an Lavater, „wenn ich auch sonst kriechend genug dächte, die Klugheit der Wahrheitsliebe und Redlichkeit das Gegengewicht halten zu lassen, so würde ich doch hier in diesem Falle alle drei in derselben Schale antreffen. Ich bin völlig überzeugt, daß Ihre Handlungen aus einer reinen Quelle fließen, und kann Ihnen keine andern, als liebreiche und menschenfreundliche Absichten zuschreiben.

„Aber leugnen kann ich es nicht, ich hätte Alles eher erwartet, als von einem Lavater eine öffentliche Aufforderung. – Sie erinnern sich der vertraulichen Unterredung, die ich mit Ihnen auf meiner Stube zu halten das Vergnügen hatte; – wenn ich nicht irre, so sind Versicherungen vorhergegangen, daß von den Worten, die bei der Gelegenheit vorfallen würden, niemals öffentlicher Gebrauch gemacht werden sollte. Jedoch, ich will mich lieber irren, als Ihnen eine Uebertretung dieses Versprechens[WS 1] Schuld geben. – Die Bedenklichkeit, mich in eine Religionsstreitigkeit einzulassen, ist von meiner Seite nie Furcht oder Blödigkeit gewesen. Ich darf sagen, daß ich meine Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen.

„Wäre nach meinem vieljährigen Forschen die Entscheidung nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen, so hätte sie nothwendig durch eine öffentliche Handlung bekannt werden müssen. Wäre ich gegen beide Religionen gleichgültig und verlachte oder verachtete in meinem Sinne alle Offenbarung, so wüßte ich gar wohl, was die Klugheit räth, wenn das Gewissen schweigt. – Von dem Wesentlichen meiner Religion bin ich so fest, so unwiderleglich versichert, als Sie oder Herr Bonnet nur immer von der Ihrigen sein können. Sie hätten die Bedingung der Hochachtung für den moralischen Charakter des Stifters Ihrer Religion nicht verschweigen sollen, die ich ausdrücklich in jenem Gespräche beifügte.

„Nach den Grundsätzen meiner Religion soll ich Niemand, der nicht nach unserem Gesetze geboren ist, zu bekehren suchen. Moses hat uns das Gesetz geboten, es ist ein Erbtheil der Gemeine Jakob. Alle andern Völker auf Erden, glauben wir, seien von Gott angewiesen worden, sich an das Gesetz der Natur und an die Religion der Patriarchen zu halten, – die es thun, werden tugendhafte Männer von andern Nationen genannt, und diese sind Kinder der ewigen Seligkeit.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verbrechens
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_390.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)