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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Ein schreckliches Beispiel der Strafe, die das Glück denjenigen vorbehält, die sich von seiner Gunst haben berauschen lassen!“

Mit diesem Vertrage waren die Vertreter Napoleons, der Herzog von Vicenza, Caulaincourt, und der Herzog von Tarent, Macdonald, zu dem gestürzten Kaiser, der in Fontainebleau ihrer harrte, zurückgekehrt und hatten daselbst einen herzlicheren Empfang, als sie vermutheten, gefunden. Es sei uns vergönnt, über diesen letzten Aufenthalt Napoleons den Lesern der Gartenlaube ein paar in dieser Ausführlichkeit weniger bekannte Scenen mitzutheilen, die wir dem nächstens erscheinenden siebzehnten Bande von Thiers’ „Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs“ entnehmen und deren Glaubwürdigkeit nicht angezweifelt werden dürfte, da sie auf den handschriftlichen bis jetzt ungedruckten Denkwürdigkeiten Caulaincourt’s und Macdonald’s – zweier makelloser Ehrenmänner – beruhen.

Napoleon empfing – nach Thiers’ Erzählung – seine beiden Vertreter ruhig, sanfter als gewöhnlich und hatte in seinen Worten und seiner Haltung etwas Feierliches. Obwohl er alle seine Seelenstärke aufgeboten hatte, um sich unter den außerordentlichen Umständen, denen er erlegen, zu mäßigen, und obwohl er sich gleichsam auf den Flügeln seines Genie’s über die Erde emporgeschwungen, sodaß sich Caulaincourt nicht hatte enthalten können, ihm die höchste Bewunderung zu zollen, schien er in diesem Augenblicke sich doch noch höher zu erheben und von allen Dingen mit einer außerordentlichen Unbefangenheit zu sprechen. Er dankte auf’s Neue Caulaincourt, aber diesmal sehr persönlich, für alles, was er gethan, und wiederholte, der Vertrag sei genügend für seine Familie, mehr als genügend für ihn selbst, der nichts bedürfte, drückte aber nochmals sein Bedauern daüber aus, daß er nicht das Herzogthum Toscana für seine Gemahlin und seinen Sohn bewilligt erhalten habe. – „Es ist ein schönes Fürstenthum,“ sagte er, „das sich für meinen Sohn gepaßt hätte. Auf diesem Throne, wo die Intelligenz erblich geblieben ist, wäre mein Sohn glücklich gewesen, glücklicher, als auf dem allezeit den Stürmen ausgesetzten Throne Frankreichs, wo sich mein Geschlecht nur kraft eines Titels, nämlich des Sieges, behaupten kann. Ueberdies würde dieser Thron für meine Frau nothwendig gewesen sein. Ich kenne sie, sie ist gut, aber schwach und frivol … Mein lieber Caulaincourt,“ fügte er hinzu, „Cäsar kann wieder Bürger werden, aber seine Frau kann es nicht leicht entbehren, die Gemahlin Cäsars zu sein. Marie Louise würde zu Florenz noch einen Rest des Glanzes gefunden haben, womit sie zu Paris umgeben war. Sie hätte nur den Canal von Piombino zu überschreiten gebraucht, um mir einen Besuch abzustatten; mein Gefängniß wäre gleichsam in ihren Staaten enclavirt gewesen; unter diesen Umständen hätte ich hoffen können, sie zu sehen, ja ich hätte sie selbst besuchen können, und sobald erkannt worden wäre, daß ich der Welt entsagt hätte, daß ich, ein neuer Sancho, nur noch auf das Glück meiner Insel bedacht wäre, würde man mir diese kleinen Reisen gestattet haben; ich hätte das Glück wiedergefunden, dessen ich selbst mitten im vollen Glanze meines Ruhmes kaum genossen habe. Aber jetzt, wo meine Frau von Parma kommen und durch mehrere fremde Fürstenthümer wird reisen müssen, um sich zu mir zu begeben – Gott weiß es! … Doch lassen wir diesen Gegenstand; Sie haben gethan, was Sie vermochten …. Ich danke Ihnen dafür; Oesterreich hat kein fühlendes Herz …“ Er drückte auf’s Neue Caulaincourt die Hand und sprach über sein ganzes Leben mit einer seltenen Unparteilichkeit.

Er gab zu, daß er sich getäuscht habe, daß er, ganz eingenommen von Frankreich, von dem Range, den es in der Welt hatte, und von demjenigen, den es darin haben könnte, mit demselben und für dasselbe ein ungeheures Reich habe aufbauen wollen, ein leitendes Reich, von welchem alle andern hätten abhängen müssen, und er erkannte an, daß er, nachdem er diesen schönen Traum beinahe vollständig verwirklicht, es nicht verstanden habe, an der von der Natur der Dinge vorgezeichneten Grenze Halt zu machen. Darauf sprach er von seinen Generalen, seinen Ministern, gedachte Massena’s, versicherte, dieser sei derjenige seiner Feldherren gewesen, der die größten Dinge vollbracht habe, sprach von Suchet (Herzog von Albufera), von dessen tiefer Weisheit im Kriege und in der Verwaltung, äußerte einige Worte vom Marschall Soult (Herzog von Dalmatien) und dessen Ehrgeize und unterhielt sich endlich über Berthier (Fürst von Neufchatel und Wagram), dessen so richtigen Verstand, Rechtschaffenheit und seltene Talente als Generalstabschef.

Es würde zu weit führen, wollten wir hier diese denkwürdige Unterredung in ihrer ganzen Ausführlichkeit wiedergeben; daher nur noch Folgendes. Napoleon schloß die Unterredung im Ausdrucke liefen Schmerzes mit den Worten: „Es ist nicht zu leugnen, ich leide, aber die Leiden, die ich erdulde, sind nichts gegen eins, das sie alle übersteigt: meine Laufbahn zu beschließen, indem ich einen Vertrag unterzeichne, worin ich kein einziges allgemeines Interesse habe stipuliren können, nicht einmal ein einziges moralisches Interesse, wie die Erhaltung unsrer Farben oder die Aufrechthaltung der Ehrenlegion! einen Vertrag zu unterzeichnen, worin man mir Geld gibt! …. Ach! Caulaincourt, wären nicht mein Sohn, meine Frau, meine Schwestern, meine Brüder, Josephine, Eugen, Hortensia, ich würde diesen Vertrag in tausend Stücke zerreißen!“ Darauf fügte Napoleon mit einem doppelten Schmerz hinzu: „Und diese Demüthigungen sind nicht die letzten! … Ich werde durch jene südlichen Provinzen reisen, wo die Leidenschaften so heftig sind. Mögen die Bourbons mich dort ermorden lassen, ich verzeihe es ihnen; aber ich werde vielleicht den Beschimpfungen jenes abscheulichen Pöbels des Südens preisgegeben werden. Auf dem Schlachtfelde sterben ist nichts, aber mitten im Kothe und unter solchen Händen! –“

Napoleon schien in diesem Augenblicke mit Grauen nicht den Tod, dem zu trotzen er zu sehr gewohnt war,/um ihn zu fürchten, wohl aber eine schändliche Marter zu ahnen! … Da er endlich bemerkte, daß sich diese Unterredung außerordentlich verlängert hatte, entschuldigte er sich, Caulaincourt so lange zurückgehalten zu haben, entließ ihn mit noch herzlicheren Ausdrücken und wiederholte, er werde ihn wieder rufen lassen, sobald er seiner bedürfe. Caulaincourt verließ ihn tief ergriffen von dem, was er gehört hatte, und erblickte in diesen langen Recapitulationen, in diesen feierlichen Urtheilen über sich und über die Andern nur einen der irdischen Größe, nicht aber dem Leben gesagten Abschied. – Er irrte sich. Es war ein dem Leben geltender Abschied, den Napoleon zu nehmen glaubte, indem er sich in dieser Weise offen aussprach. Er hatte in der That den sonderbaren und seiner nicht sehr würdigen Entschluß gefaßt, sich den Tod zu geben. Sehr thatkräftige Charaktere empfinden selten Ueberdruß am Leben, denn sie bedienen sich desselben zu sehr, um sich versucht zu fühlen, darauf zu verzichten. Napoleon, der eins der thatkräftigsten Wesen menschlicher Natur war, hatte sonach keine Neigung zum Selbstmord; er verachtete ihn sogar als eine unüberlegte Verzichtung auf die Wechselfälle der Zukunft, die stets ebenso zahlreich als unvorhergesehen für Jeden bleiben, der die vorübergehende Last der schlechten Tage zu ertragen weiß. Gleichwohl treten in jedem, selbst auf das Muthigste ertragenen Mißgeschick Augenblicke der Niedergeschlagenheit ein, wo sich Geist und Charakter unter der Last des Unglücks beugen. Napoleon hatte an diesem Tage einen jener Augenblicke unüberwindlicher Schwäche. Nachdem der auf seine Familie bezügliche Vertrag unterzeichnet, die Ehre der Monarchen als Bürgschaft dafür verpfändet und das Loos seines Sohnes, seiner Frau, seiner Verwandten gesichert schien, glaubte er seine letzten Pflichten erfüllt zu haben. Uebrigens meinte er, bei redlichen Leuten werde sein Tod den gegen ihn übernommenen Verpflichtungen einen heiligen Charakter verleihen, und indem man aufhöre, ihn zu fürchten, werde man auch aufhören, ihn zu hassen. Während er immer mehr seine Laufbahn als geschlossen betrachtete, nicht begriff, wie er auf einer kleinen Insel des mittelländischen Meeres leben solle, wo er weiter nichts thun würde, als die warme Luft Italiens zu athmen, auch nicht einmal mehr auf Familienfreuden zählte, denn in diesem Augenblicke unheimlichen Hellsehens errieth er, daß man ihm weder seinen Sohn noch seine Frau lassen werde, gedemüthigt, einen Vertrag unterzeichnet zu haben, dessen Charakter durchaus persönlich und so zu sagen pecuniair war, müde, jeden Tag den Lärm der öffentlichen Verwünschungen zu hören, während er sich mit Grauen auf seiner Reise nach der Insel Elba bereits den Beschimpfungen eines gereizten Pöbels preisgegeben sah, war ihm einen Augenblick das Leben verhaßt geworden und er entschloß sich, seine Zuflucht zu einem Gifte zu nehmen, das er seit langer Zeit für einen extremen Fall in Bereitschaft gehalten hatte. In Rußland, am Tage nach der blutigen Schlacht von Malo-Jaroslawetz, nach dem plötzlichen Einbruche der Kosaken, der seine Person in Gefahr gebracht, hatte ihm die Möglichkeit vorgeschwebt, der Gefangene der Russen zu werden, und er hatte deshalb vom Doctor Yvan eine starke Dosis Opium verlangt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_393.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)