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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Meine Frau, mein Sohn genügen mir übrigens. Ich werde sie, hoff’ ich, sehen, ich werde sie oft sehen; sobald man überzeugt sein wird, daß ich nicht daran denke, mein Asyl zu verlassen, wird man mir erlauben, sie zu empfangen, vielleicht auch, sie zu besuchen, und dann will ich die Geschichte dessen schreiben, was wir gethan haben … Caulaincourt,“ rief er aus, „ich werde eure Namen unsterblich machen! …“ Dann fügte er hinzu: „Es sind noch Gründe vorhanden, zu leben! …“

Indem er sich darauf mit einer erstaunlichen Beweglichkeit der neuen Existenz zuwandte, deren Bild er sich entworfen hatte, beschäftigte er sich mit den Einzelheiten seiner Einrichtung auf der Insel Elba und sprach die Absicht aus, daß Caulaincourt selbst sowohl zu Marie Louise als zu den Monarchen gehen sollte, um die Weise zu reguliren, in welcher seine Frau sich wieder mit ihm zu vereinigen hätte. Er war nicht darauf bedacht gewesen, sich Geld zu reserviren; der ganze Schatz der Armee war für den Sold erschöpft worden. Marie Louise war noch im Besitz von einigen Millionen. Seine Absicht war, sie ihr zu lassen, damit sie den Dienst Niemandes, namentlich nicht ihres Vaters, in Anspruch zu nehmen haben möchte. Nur nachdem die Nothwendigkeit, seine Zuflucht zu diesem einzigen Hülfsmittel zu nehmen, nachgewiesen war, willigte er ein, daß man mit ihr theilen möchte. Er beauftragte Caulaincourt, sich zu ihr zu begeben und ihr wiederholt zu rathen, eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Franz zu verlangen, welcher ihr, vielleicht durch ihre Gegenwart gerührt, Toscana bewilligen würde. Sie sollte sich alsdann über Orleans auf der Straße des Bourbonnais bei ihm einfinden. Indeß empfahl er Caulaincourt ausdrücklich, Marie Louise nicht zur Wiedervereinigung mit ihm zu drängen, sondern sie in dieser Hinsicht ihre Entschlüsse aus eigenem Antrieb fassen zu lassen, „denn,“ sagte er mehrmals, „ich kenne die Frauen und besonders die meinige! Statt des Hofes von Frankreich, so wie ich ihn geschaffen habe, ihr ein Gefängniß anbieten, heißt sie auf eine sehr harte Probe stellen! Wenn sie mir ein trauriges oder gelangweiltes Gesicht brächte, würde ich untröstlich darüber sein. Ich will lieber die Einsamkeit als den Anblick der Traurigkeit und der Langenweile. Wenn ihr Herzensdrang sie zu mir führt, werde ich sie mit offenen Armen empfangen; außerdem mag sie in Parma oder Florenz bleiben, da, wo der Sitz ihrer Regierung sein wird. Ich werde nur meinen Sohn von ihr verlangen.“

Nachdem Napoleon diese Bedenken geäußert, beschäftigte er sich mit den Einzelnheiten seiner Reise. Man war übereingekommen, ihn durch Commissare der Mächte nach der Insel Elba begleiten zu lassen, und es schien ihm besonders an der Gegenwart des englischen Commissars gelegen zu sein. – „Die Engländer,“ sagte er, „sind ein freies Volk und sie achten sich.“ – Nachdem alle diese Einzelheiten geordnet waren, trennte er sich von Caulaincourt und wiederholte ihm die Versicherungen unbedingten Vertrauens und ewiger Dankbarkeit. Caulaincourt reiste ab, um seine Mission bei Marie Louise und bei den Monarchen zu erfüllen.




Die freiwilligen Rifle-Corps in England.

Die häßliche, scharlachrothe Soldaten-Uniform mit dem scheußlichen Pelzthurm auf dem Kopfe gilt in England ungefähr ebensoviel, wie die Zuchthausjacke oder irgend ein Kainsstempel. Nur aus den niedrigsten, verwahrlostesten Schichten der englischen Hefe kauft der Werbeofficier unter falschen Vorspiegelungen und unterstützt von Bier, Gin, Tanz, Kneiperei und Tanzmusik, seine frische Waare für das schauderhaft casernirte und gefütterte, hoffnungslose, avancementsunfähige, noch mit Knute und „neunschwänziger Katze“ tractirte, gemeine Linien-Heer. Blos bis zum Corporal kann’s der gemeine Soldat bringen und dies nur unter seltenen, günstigen Umständen. Bis zur nächsten höheren Stelle gähnt eine unüberwindliche Kluft, jenseits welcher nur Söhne und Taugenichtse der Aristokratie und des großen Capitals die Officierstellen für schweres Geld kaufen, aber nicht durch Verdienst und Talent erwerben können. Deshalb sind auch die fabelhaft kostbaren Officier-Uniformen in gebildeter, civiler Gesellschaft so mißliebig, ja unmöglich, daß es keinem Lieutenant, Major oder General je einfällt, sich, wenn nicht pflichtmäßig „im Dienste“, öffentlich oder in Gesellschaft uniformirt und wohl gar mit scandalirendem, das Straßenpflaster mißhandelndem Schleppsäbel, wie es der Berliner Lieutenant so sehr liebt, zu zeigen.

Da es nun überhaupt in England verhältnißmäßig die wenigsten Soldaten gibt und die gemeinen außer Dienst nie mit Waffen ausgehen dürfen, fällt das englische Leben im Vergleich zu Ländern wie Preußen und Frankreich, wo man sich öffentlich vor Soldaten und Säbeln oft kaum retten kann, erfreulich durch seine freie, civile, uncasernirte Bewegung auf. Freilich ging daraus eine andere, langweilige, viel ödere Uniformirtheit hervor, die des merkantilen schwarzen, gebürsteten, schauderhaften französischen Hutes, dieser lächerlichen „Angströhre“ mit Backenbärtchen, steifen Vatermördern und fast immer schlecht sitzenden schwarzen, kellner- und bedientenhaften Leib- oder Oberröcken darunter. So eine dicht gedrängte Versammlung von Börsenmännern und City-Herren, von oben gesehen, gleicht einem kohlschwarzen, wimmelnden Sumpfe statt einer Schaar von Männern.

Die Trostlosigkeit dieser civilen, mercurialen Kleidungs- und Lebensweise ist zu schwer zu ertragen, als daß sich nicht wenigstens in der Jugend Sehnsucht und Streben nach freundlicheren Formen hätte regen sollen. Dieser Umstand ist nicht zu übersehen, wenn wir uns die neuen Lebensbilder, die jetzt durch die Straßen Englands ziehen und alle civilen Kreise durchdringen, hinlänglich erklären wollen. Aber wir geben einen tieferen, bedeutungsvolleren Grund zu und an. Das Vaterland war und ist wirklich in Gefahr, wie jedes Land in Europa, das unter Palmerston’s und anderer hoher politischer Herren pflegeväterlicher Zärtlichkeit den größten und energischsten Charlatan aller Zeiten wachsen und so gedeihen sah, daß Niemand mehr seiner Wäsche auf dem Zaune sicher ist.

England hat wenig, theuere und gegen Palmerston’s intimsten Zögling und Freund unzureichende Soldaten. Außerdem ist die Politik dieser kindisch gewordenen Greise, welche England regieren, dem starken, schlauen, konsequenten allgemeinen Feinde Europa’s gegenüber so schwach, so unzuverlässig, daß das in England plötzlich sich verwirklichende Wunder einer allgemeinen Volksbewaffnung nur aus diesem Umstände in seiner wahren Bedeutung sich begreifen läßt. Das Gefühl allgemeiner Unsicherheit und des Mißtrauens in die Kraft und den guten Willen der englischen Regierer, die Enthüllungen über Schwäche und Schwindeleien der Admiralität, welche sich Jahr aus Jahr ein eine ungeheuere „Canalflotte“ mit Millionen bezahlen ließ und eigentlich nur wenige Schiffe als gesund und gerüstet aufweisen kann, die täglichen unheimlichen Gerüchte von drüben, dem Lager des „Alliirten“, des Busenfreundes des englischen Regierer-Chefs, dessen Rüstungen, Kriegshäfen, Legionen und Lügen – dies zeugte chronischen, panischen Schrecken in England, allgemeine Entrüstung und allgemeine Rüstung. Freiwillige Volksheere sprangen wie aus der Erde über Nacht empor. Die regierenden Classen, ebenfalls in peinlichster Furcht vor den Folgen der Palmerston’schen Politik für Busenfreund Napoleon, hatten wenigstens so viel Einsicht, diesem Geiste allgemeiner Volksbewaffnung – den man in despotischen, militairischen Staaten als ein revolutionäres Element grimmig haßt und verfolgt – nicht nur nicht entgegen zu treten, sondern ihn zu begünstigen, durch vortreffliche Waffenlieferung zu kräftigen und ihn für sich zu gewinnen. Dies ist ihnen so sehr gelungen, daß man in den Rifle-Corps-Freischaaren ein conservativ-patriotisches Element geschaffen und erzogen haben mag, und England, von Soldaten und Marine, von Regierung und Parlament im Stiche gelassen, nun auf seine gleichsam aus Nichts geschaffenen Freischaaren sein Vertrauen zusammendrängt.

Die eigentliche Militair-Aristokratie – mit Robert Peel im Parlamente an der Spitze – spottet und höhnt zwar über diese „Soldatenspielerei“ nach Kräften, aber die bedeutendsten Herren des Ober- und Unterhauses und der Armee stehen an der Spitze dieser Spielerei und der nationalen Association, welche sich zur Förderung des Rifle-Corps-Wesens gebildet hat. Selbst Palmerston ist Mitglied dieser Association, und der Herzog von Cambridge, Chef des ganzen englischen Heeres, – florirt und fungirt als Oberst der City-Rifle-Brigade.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_395.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)