Seite:Die Gartenlaube (1860) 407.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Abenteurern und noch verworfeneren Abenteurerinnen. Als Grote ihn traf, besaß er wieder gar nichts; dennoch stand er im Begriffe nach Europa zurückzukehren. Ein Grund zu dieser Rückkehr war für Grote nicht ersichtlich. Der Freiherr selbst gab keinen an. Grote stand übrigens in keinem Verkehr mit ihm. Der Freiherr zog sich auch in dem fremden Lande ebenso stolz von ihm zurück, wie er in der Heimath die Bewerbung des Bürgerlichen um seine Schwester hochmüthig und roh zurückgewiesen hatte.

Der Freiherr lebte zusammen mit einer ebenso schönen, wie verschmitzten Person, einer Tänzerin oder Schauspielerin, die er von einem Winkeltheater in San Francisco zu sich genommen hatte, für die er eine wahrhaft wilde Leidenschaft fühlte, und die eine unbegreifliche Gewalt über ihn ausübte. Es schien Grote, als wenn sie ein Verlangen habe, nach Europa zurückzukehren, und als wenn der Freiherr nur ihrem Willen folge. Den wahren Grund der Rückkehr Beider sollte er erst in Europa gewahr werden.

Bei seiner Ankunft in Antwerpen traf er dort Franz Bauer, den er in Californien kennen gelernt hatte. Bauer war am Tage vor ihm in Antwerpen angekommen. Sie sprachen über Bekannte, und er erzählte Grote, daß er mit Langner und dessen Frau die Ueberfahrt gemacht habe – Langner hatte der Freiherr sich in Amerika genannt, und seine Geliebte hatte er auch früher für seine Frau ausgegeben –; er werde auch mit Beiden, da sie denselben Weg wie er hätten, weiter zu der Heimath reisen. Er bat Grote, sich ihnen anzuschließen, soweit auch er den nämlichen Weg habe. Grote hatte keine Lust, mit dem Freiherrn zusammen zu reisen; am Tage vor der Abfahrt aber theilte Bauer ihm mit, Langner müsse noch mehrere Tage zurückbleiben, seine Frau werde allein vorausreisen, und Langner habe ihn gebeten, bis zu seiner Heimath sie zu begleiten, und er habe sich dazu bereit erklärt. Jetzt war auch Grote bereit, sich dem Bekannten anzuschließen.

Bauer, Grote und die Hein, oder wie die Geliebte des Freiherr eigentlich heißen mochte, reisten zusammen auf der Eisenbahn von Antwerpen ab und blieben zusammen bis zu der letzten Eisenbahnstation. Die beiden Männer nahmen dort für ihre Weiterreise einen Miethwagen. Als sie einstiegen, war auch die Hein wieder da, die mit ihnen fuhr, zufällig, wie sie behauptete. Sie fuhren in dem Miethwagen ab: Bauer wollte bis zu einem Punkte der Landstraße fahren, wo der Weg in seinen Heimathsort abging; Grote wollte nach Schloß Diburg, Sophie von Lengnau zu sehen, bevor ihr Bruder zurück sei.

Wohin die Hein wollte, hatte sie nicht gesagt. Sie kamen an dem Wege an, der zu der Heimath Bauer’s führte. Es war Abend, und Bauer stieg aus, den Weg zu Fuße zu machen. Mit ihm stieg Grote aus. Er hätte noch zehn oder zwölf Minuten weiter fahren können, wo dann auch für ihn ein Seitenweg, aber in entgegengesetzter Richtung, abging. Er wollte jedoch nicht den Wagen zweimal halten lassen. Die Hein fuhr allein weiter. Bauer und Grote nahmen von einander Abschied, und Ersterer ging links, einer Waldung zu, in die sein Weg hineinführte.

Grote ging langsam auf der Landstraße weiter, und er hatte beinahe den Seitenweg erreicht, den er zu nehmen hatte, als er auf einmal durch die Stille des Abends einen Schuß fallen hörte. Der Schuß fiel hinter ihm, in der Richtung, die Bauer genommen hatte. Er stutzte, und es fiel ihm heiß auf das Herz. Warum war der Freiherr von Lengnau zurückgeblieben? Warum hatte er Bauer um die Begleitung der Hein gebeten? Die Hein, die schon auf der Eisenbahnstation Abschied von ihnen genommen hatte, war bald nachher durch einen so seltsamen Zufall wieder mit ihnen zusammengetroffen. Sie hatte unterwegs sich so angelegentlich um ihn, Grote, bekümmert, ihn offenbar an sich zu ziehen gesucht, und als er zugleich mit Bauer ausgestiegen war, hatte sie ihn zurückhalten wollen. Eigenthümliche Blicke, die sie zuweilen auf Bauer geworfen, fielen ihm hinterher ebenfalls auf.

Eine ungeheure Angst befiel ihn, und er eilte, er lief zurück; er lief in den Weg, den Bauer genommen hatte, und kam in die Waldung, in die Gegend, in der seiner Meinung nach der Schuß gefallen sein mußte. Er ging vorsichtiger, leiser, blieb manchmal stehen, um zu horchen. Da hörte er endlich in der Tiefe des Waldes, weit seitwärts von dem Wege, ein Geräusch, es kam ihm vor, als wenn etwas auf dem Waldboden geschleppt werde. Er flog hin, eilig, aber leicht, leise, kaum hörbar.

Das Geräusch hatte aufgehört, er drang aber dennoch weiter. Er war bewaffnet und drang mit gespanntem Revolver vor. Ein Schuß fiel durch die Finsterniß, kaum zehn Schritte vor ihm, und eine Kugel schlug unmittelbar neben seiner Brust in die Zweige der Bäume. Er sprang zu der Stelle, an der er das Feuer des Gewehres hatte aufblitzen sehen, und – er stand vor dem Freiherrn von Lengnau, welcher im Begriff war, einen zweiten Hahn seines Doppelpistols zu spannen. Eine Leiche, Bauer’s Leiche, lag zu seinen Füßen.

Grote sprang auf den Mörder zu, ihm die Mordwaffe zu entreißen. Sie rangen darum. Während des Ringens entlud sich das Gewehr; das war Grote’s Rettung gegen den wüthend gewordenen Mörder, dem in diesem Augenblicke das zweite Menschenleben weniger war, als das erste. Grote konnte entfliehen, und was konnte er mehr? Das Verbrechen war vollendet.

„Klage den Bruder Deiner Geliebten an!“ höhnte der Mörder dem Entfliehenden nach.

Konnte er es? Der Mörder hatte sich selbst anklagen müssen, er hatte sich aber auch selbst seine Strafe gegeben. Mit sich hatte er in seinem Portefeuille die geraubte Summe zurückgebracht, welche der Familie Bauer’s übergeben wurde.

Wilhelm Grote und Sophie von Lengnau wurden nach Jahr und Tag ein Paar. Von der Antonie Hein wurde nie wieder etwas gehört.




Menageriebilder.
1. Eine Löwenmutter.
(Mit Abbildung.)

Obgleich seit mehr als zwanzig Jahren ein leidenschaftlicher Besucher von Menagerien, war doch mein sehnlichster Wunsch, eine Löwin mit ihren Jungen sehen und beobachten zu können, unerfüllt geblieben, denn der Fall, daß dieses Thier im Käfig Junge wirft, kommt so selten vor, daß er selbst in großen und lange bestehenden Menagerien ein Ereigniß ist. Zwar hatte ich früher als Kind junge Löwen mit ihrer Mutter gesehen, aber diese Erinnerung ist viel zu schwach, und ich weiß blos noch, daß die kleinen Thiere, wenn sie sich spielend herumkollerten, ganz reizend aussahen.

Endlich sollte nun mein Wunsch in Erfüllung gehen.

Einst am frühen Morgen, beim Eintreten in die große Kreuzberg’sche Menagerie, bemerkte ich, daß die Wärter (in der Menageriesprache ganz prosaisch Knechte genannt) einen leeren Käfig vor dem Behälter eines noch ziemlich jungen Löwenpaares aufstellten. Das Männchen dieses Paares war mir immer sehr interessant gewesen. Es gehörte zu den „arbeitenden“ Thieren der Menagerie und spielte bei den Vorstellungen, welche der Besitzer der Thiere mit den Bären, Hyänen, Leoparden und diesem Löwen in einem Käfig gab, die Hauptrolle. Denn während die andern Bestien sich entweder balgten, oder ihrem Herrn und dessen gefürchteter Nilpeitsche auszuweichen suchten, bestand seine Vorstellung in einem fortwährenden Auflehnen gegen die Zumuthungen desselben, und wer häufig diese Vorstellungen besuchte, konnte fast immer Zeuge der erregendsten Auftritte sein. Vielleicht läßt sich davon später einmal erzählen, jetzt haben wir es mit der Löwin zu thun, welche bald das anziehendste Thier in der Menagerie werden sollte.

Heinrich, der eine Wärter, hatte behauptet, daß diese Löwin bald Junge werfen würde, und deshalb, neben dem Versprechen eines Trinkgeldes für den Fall der Bestätigung, den Auftrag erhalten, das Thier abzusperren, damit es dann ungestört von dem männlichen Löwen sei. Es geschah dies, indem der leere Käfig dicht vor den mit den beiden Löwen gerückt wurde, vorher aber der Löwe durch eine eingeschobene Zwischenwand von der Löwin getrennt worden war. Dann wurden die beiden aneinander stehenden Eisengitter aufgezogen, und indem man die Löwin durch ein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_407.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)