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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Unfug und Rohheit fernzuhalten und auch eine, in aller Weise positiv veredelnde und bildungsförderliche Einwirkung auf das Jugendspiel auszuüben. Dazu würde ein Mann zu wählen sein, der mit gehöriger Bildung Sinn und Liebe für die Sache verbände, für das Leben und Treiben auf dem Platze verantwortlich gemacht würde und die etwaigen Spielgeräthschaften unter seinem Gewahrsam hätte. Selbstverständlich müßte er seine Wohnung auf oder unmittelbar an dem Spielplatze haben. Wünschenswerth würde ein Verheirateter sein, damit die weibliche Jugend auch weiblichen Einfluß genösse. Das Turnlehrer- oder Militairpersonal würde die reichlichste und passendste Auswahl bieten.

Diese Aufsicht müßte besonders darüber wachen, daß bei vollster Freiheit des jugendlichen Treibens doch jedem Einzelnen, wie auch den einzelnen Abtheilungen der Jugend Recht und Ordnung, und dem Ganzen heitere Harmlosigkeit und Sitte gesichert wären.

Von Seiten der Schulbehörden würde dann die leicht auszuführende Obercontrole und zugleich die Einwirkung auf allmähliche Vervollkommnung und Veredelung der Spielgattungen zu übernehmen sein, doch dies Alles, ohne die natürliche und – insoweit sie eine edle oder wenigstens unschuldige ist – selbstschaffende Thätigkeit und Freiheit des jugendlichen Sinnes zu stören.

Nur durch eine solche Einrichtung würde man die vielfachen und in mancher Hinsicht besonders wegen Sittenverderbniß gerechten Bedenken beseitigen können, welche außerdem alle diejenigen Eltern haben würden, die um das körperliche wie geistige Wohl ihrer Kinder zart besorgt sind. Nur bei einer dergestalt gewährleisteten Einrichtung ist kein vernünftiger Grund mehr denkbar, weshalb Eltern ihre Kinder von der Betheiligung an den so heilsamen gemeinschaftlichen Jugendspielen zurückhalten sollten. Diese Betheiligung würde dann ebensowol von Seiten ganzer Schulabtheilungen regelmäßig an bestimmten Tagen und Stunden, als auch nach Befinden von Einzelnen in irgend einem passenden Freistündchen, ein Mal so unbedenklich wie das andere Mal geschehen können.

Die harmonische und kräftige Entwickelung des jugendlichen Organismus legt den Grund für die gedeihliche Durchführung des ganzen späteren Lebens. Sie schafft den Kern, aus dem das spätere Leben Blüthen und Früchte entwickeln soll, von dessen Beschaffenheit die Beschaffenheit der letzteren bedingt wird. Von ihr in erster Instanz hängt Glück oder Unglück ab. Soll aber die körperliche und geistige Entwickelung des Kindes gedeihen, soll es gut und mit dauerndem Erfolge lernen, soll es zum Lernen die organische Kraft und die entgegenkommende Neigung haben, so muß es neben dem Lernen auch spielen können. Das elterliche Haus kann fast nirgends das bieten, was die Schule und eine allgemeine Einrichtung darin zu bieten vermag.

Die Jugendpflege ist ja die fundamentalste Lebensfrage des Staates. Nur der allseitig kräftig und gut entwickelte Mensch kann seine Lebensaufgabe für sich und für die Welt vollständig erfüllen, kann dem Staate sein, was er sein soll. Diese erste und allgemeinste Vorbedingung des ganzen Lebens ist zu wichtig, als daß nicht auch der eben besprochene Gegenstand die volle Aufmerksamkeit aller das wahre Wohl ihrer Kinder erstrebenden Eltern, aller Schul- und Staatsbehörden auf sich ziehen sollte.

Möchten diese Andeutungen nicht erfolglos verhallen!




Blätter und Blüthen.


Ein Stück neapolitanische Wirthschaft. Nach Privatbriefen aus Messina. Das Gerücht, in Palermo sei eine Revolution ausgebrochen, schreibt man uns, regte hier die Gemüther außerordentlich auf, zumal Niemand etwas Sicheres über das Geschehene erfahren konnte, weil die Regierung jede Communication mit Palermo abgebrochen. Am Sonntage mehrte sich der Zusammenlauf von Menschen in den Hauptstraßen, und gegen Abend waren sie dicht gefüllt. Damit jeder Zusammenstoß vermieden werde, hatten einige Bürger aus den höheren Classen die Behörde ersucht, die Polizeiagenten (die Sbirren) zurückzuziehen, denn diese müßten der Volksrache am meisten ausgesetzt sein, und ihre Anwesenheit in den Straßen bei dieser Gelegenheit die Aufregung nur steigern. Mit einem Male schoß, gegen sechs Uhr, eine der zahlreichen Militärpatrouillen, welche die Straßen durchzogen, auf das Volk, weil sie durch einen Betrunkenen (– den die Polizei wahrscheinlich dazu gedungen hatte –) verhöhnt worden sei, und kaum waren diese ersten Schüsse gefallen, so schossen alle Patrouillen ohne Weiteres auf das harmlose Volk. Ohne irgendwie Widerstand zu leisten, entfloh die Menge, die auch da noch durch Schüsse verfolgt wurde. Doch ist, so viel ich weiß, nur ein junger Mann todt auf dem Platze geblieben. Die Stadt wurde in Belagerungszustand erklärt und auf allen Hauptpunkten mit Truppen besetzt. Sie befand sich am nächsten Tage in der größten Bestürzung; Tausende der Einwohner suchten auf’s Land zu flüchten, und die Straßen waren mit bepackten Karren und Eseln bedeckt, welche eilig Habseligkeiten fortschafften. Die Montagsnacht verging ruhig, aber am Dienstag dauerte die Auswanderung fort. In der Dienstagsnacht hörte man plötzlich wieder auf allen Punkten der Stadt und von allen Forts Flinten- und Kanonenschüsse, und die Soldaten schossen nach jedem Balcon etc., wo sie Licht sahen. Am Mittwoch überraschte uns der General mit einer Proclamation, in welcher er für den Fall, daß der Angriff auf die Truppen fortdauere (von dem Niemand etwas wußte), „Bombardement und Plünderung“ ankündigte, „um die guten Bürger und deren Eigenthum vor den Insurgenten zu schützen“. Welches Entsetzen diese „beruhigende“ Proclamation hervorbrachte, läßt sich nicht beschreiben. Alle, die bis dahin in der Stadt geblieben waren, flohen nun trotz des Regens, der in Strömen herabgoß, auf das Land oder auf die Schiffe im Hafen. Es blieben nur einige Fremde zurück und jene, welche zu arm waren, um ihre Wohnung verlassen zu können.

Der General hatte es nicht für nöthig gehalten, seine Proclamation den Consuln mitzutheilen, die bei dem französischen zusammenkamen und dann in corpore zu dem General gingen, um gegen eine Barbarei zu protestiren, eine Stadt mit Bombardement und Plünderung zu bedrohen, obgleich auch nicht ein Schuß von Seiten des Volks auf die Truppen gefallen, während im Gegentheil bewiesen und offenbar sei, daß man den simulirten Angriff in der vergangenen Nacht nur erfunden habe, um die sogenannten Sicherheitsmaßregeln zu solchem Extreme treiben zu können. Man sagte dem General, der nichts darauf zu erwidern wußte, in das Gesicht, jene Bedrohung sei „infam“. Er gab darauf sein Ehrenwort, er würde die Stadt nicht beschießen lassen. Dann ließ er eine andere Proclamation drucken, in welcher er die Bürger aufforderte, nach Hause zurückzukehren; man würde die Rebellen verfolgen, welche die Stadt verlassen und auf dem Lande sich zerstreut hätten. Trotz dieser Worte dauerte die Auswanderung fort, weil man ihm nicht traute. Die erste Proclamation wurde rasch beseitigt. Er habe sie unterzeichnet, ohne sie gelesen zu haben, hatte der General den Consuln gesagt; die ganze Sache sei „ein Versehen“.

In der Donnerstagsnacht wiederholte sich die Komödie der simulirten Angriffe auf die Truppen, und am Freitag früh ließ der General den Consuln sagen, sie möchten ihre Flaggen einziehen, weil dieselben Ursache wären, daß die Gemüther sich nicht beruhigten. Die Consuln kamen nochmals zusammen, um gegen diese Forderung zu protestiren. Uebrigens sind 3000 Mann frischer Truppen angekommen, und Gott weiß, wie es enden wird!




Die wunderbare Musik im Hause Goethe’s (vergl. Nr. 16 der Gartenlaube) findet in folgendem Fall ein Gegenstück, welches den Schlüssel zu manchem ähnlichen Räthsel bieten dürfte. In einem Hause zu R. vernahmen Einwohner und Vorbeigehende im März d. J. eigenthümliche Töne, die mit kleinen Unterbrechungen erklangen und von Manchen mit dem leisen Summen von Orgelpfeifen, von Andern mit den Tönen eines Fagotts, einer Windharfe oder Mundharmonika verglichen wurden. Nach vielen fruchtlosen Nachforschungen in Oefen und Schlöten ergab sich folgender Sachverhalt. In einer Fensterscheibe der Küche war zwischen zwei, im spitzen Winkel zusammenstoßenden Sprüngen eine lange schmale Glaszunge entstanden, deren breiterer Grund im Falze des Rahmens festsaß, während ihre Spitze und Ränder durch das Eis so weit nach außen gedrängt waren, daß sie frei hervorragten. Dieser Glassplitter, welcher vollkommen der Zunge einer Mundharmonika glich, wurde von der kalten zuströmenden Luft in Erzitterungen versetzt, die nur dann aufgehoben wurden, wenn durch Oeffnung der dem Fenster gegenüberliegenden Küchenthür ein Gegenzug entstand. Das Tönen verstummte sogleich, als ein Holzspähnchen in die klaffende Spalte der Glasscheibe eingeführt wurde.

B. S.

Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

In diesem dritten Quartale dürfen wir außer den trefflichen Beitragen von Bock, Schulze-Delitzsch, Beta, Max Ring, Roßmäßler, Sternberg, Kossak, W. Hamm, Temme, Mor. Hartmann, G. Hammer, Lev. Schücking, Frauenstedt etc. etc. folgende bereits vorliegende und später noch eingehende Arbeiten versprechen: Sigrid, das Fischermädcken, Novelle von Th. Mügge – Skizzen und Scenen aus Norwegen (mit Abbildungen) von Alfred Brehm – Amerikanische Bilder von Otto Ruppius – Reisebriefe von Friedr. Gerstäcker – Originalbilder und Schilderungen aus Sicilien und Neapel von Gust. Rasch – Erinnerungen an die Schröder-Devrient (Fortsetzung) – Der Hainbund von Robert Prutz – Die Louisenburg bei Wunsiedel. Erinnerungen an die Königin Louise von Ludw. Storch – Schill und seine Reiterzüge von Schmidt-Weißenfels – Skizzen aus Garibaldi’s Leben.

Auch die

Deutschen Geschichten – und – Bilder aus dem Leben deutscher Dichter, mit Illustrationen

werden fortgesetzt.

Leipzig, im Juni 1860.

Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_416.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)