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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 27. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Sigrid, das Fischermädchen.
Novelle von Theod. Mügge.
1.

Unter den vielen seltsam schönen Meerbusen, welche die westliche Felsküste Norwegens zerspalten, ist der Moldefjord zwar keiner der größten, aber einer der berühmtesten durch die romantische Herrlichkeit seiner Ufer und deren Umgebungen. Der Fjord hat zwei schmale Eingänge. Wasserpässe, zwischen denen die fruchtbare Insel Otteröe liegt; sobald der Reisende diese im Rücken hat, öffnet sich vor ihm ein meilenbreites großes Seebecken, an welchem zur Rechten grüne Weiden und Waldgebiete sich erheben, zur Linken die freundliche Stadt Molde liegt, vor welcher während des größten Theils des Jahres eine Anzahl Briggs, Schooner und Yachten ankern, um Holz bis Holland und getrocknete oder gesalzene Fische bis in die europäischen Südländer zu führen. Der Fjord aber dringt mit zahlreichen Armen und Buchten tief in’s Land; wechselnd und prächtig sind seine Ufer. Zuweilen steigen sie steil in nackten Felsmassen auf, und hinter ihnen liegen die wilden Wäomelandsfjellen aufgethürmt voll zackiger, wunderbarer Klippen; an anderen Stellen leuchten diese Ufer sanft und grün, und manche große und kleine Höfe liegen dort mit ihren Fruchtfeldern und Fruchtgärten, die gar lieblich anzuschauen sind. Dies tritt noch mehr hervor, wenn man die schwarzen Felsmassen dicht dabei betrachtet, welche zuweilen mitten aus den Fluthen des Fjord wie senkrechte Mauern emporsteigen. Zwei- oder dreihundert Fuß tief geht es an solchen Wänden in’s Salzwasser hinab und ebenso hoch zu Spitzen und Wipfeln hinauf, wo nur Meergänse, Alken und Möven hinfliegen und ihre Nester bauen. An einigen dieser Felsen sind alte Runenzeichen in den Stein gehauen, die Siegesdenkmale von Schlachten und Königen, von denen keine Geschichte Kunde gibt. Gewiß ist, daß an diesen Fjorden bis nach Trondhjem hin immerdar kühne nur unternehmende Männer wohnten, ein abgehärteter, die Meere durchschwärmender Menschenschlag, nach Krieg und Beute lüstern. Aber es ist auch richtig, daß hier und auf den Inseln, welche diese Küste begleiten, noch jetzt viele Familien leben, die ihren Ursprung von berühmten Helden aus den Zeiten König Harald Harfagar’s und seines Geschlechtes herleiten.

Und wunderbar sieht es aus, schön und wunderbar, wenn man in die Tiefe dieser Fjords blickt, auf den weiten Halbkreis zahlloser seltsamer Felsen und Hörner, die ihn einschließen. Ein einziger Weg führt durch diese gigantische Mauer, ein schmaler Spalt, den das Thal Romsdalen bildet; wäre er nicht vorhanden, so würde diese Welt unersteiglich verschlossen sein. Unzählige senkrechte Massen voll Zinken und Zacken thürmen sich dort empor, umschimmert von schneeigen Halsbändern, und wenn die Abendsonne darauf glüht und funkelt, kann man solch’ prächtiges Panorama kaum irgend noch wieder finden.

Am Eingänge des Fjord, der Stadt Molde fast gegenüber, springt das Ufer weit vor und südlich biegt es in eine tiefe Bucht ein, die der Torsfjord heißt. Auf der Spitze liegt die Kirche von Besnies, der Pfarrer wohnt nicht weit davon, und über die Halbinsel zerstreut liegen die Höfe und Hütten der Gemeinde. Das Land umher ist grün, es wächst Gerste auf den kleinen Feldern, und in den Gärten werden die Kirschen reif, wenn der Sommer warm ist und die Bäume geschützt stehen. Am Ufer hin wohnen Fischer, denn Fischfang ist doch auch hier die menschliche Thätigkeit, welche die Meisten ernährt, denen nur ein kleines Erbe zu Theil wurde, oder nichts als ihre rüstigen Hände. Drüben in der Stadt Molde wohnen Leute, welche Fische immer brauchen können und auch bezahlen. Frische Fische, wie das Meer sie reichlich hat, sammt Krabben, Krebsen und allerlei Gethier essen die Stadtleute täglich gern mit ihren Familien, aber die Kaufleute schließen auch Contracte mit den Fischern, wenn die Heringsschwärme von Trondhjem herunter kommen und der Segfisch hinauszieht nach seinen Laichplätzen. Dann fahren die Fischer hinaus in die Canäle vor den Außeninseln und in’s offene Meer, und wer ein vierrudrig oder sechsrudrig Boot besitzt, oder wohl gar zwei, und Stellnetze und Angeln dazu, der ist ein wohlangesehener Mann und kann, wenn das Glück mit ihm ist, auch ein Stück Geld verdienen und in seiner Art wohlhabend heißen.

Seitwärts von dem Pfarrhause, das ziemlich hoch und frei lag, senkte sich das Land zum Strande nieder, und dort auf dem Vorsprunge stand eine Fischerhütte, die Einem gehörte, der als ein solcher Glücksvogel galt. Denn zwei große Boote und mehrere kleine schaukelten sich an den Pfählen im Wasser, wo sie befestigt lagen; mehrere lange Netze hingen an den Steinen zum Trocknen ausgespannt. Das Haus war auch nicht ganz klein, sondern, lang gestreckt, stand es auf starken Kreuzbalken, hatte mehrere Fenster, freilich nicht eben hoch und breit, doch helle Scheiben darin und dahinter Vorhänge von rothem Kattun. Ueberhaupt sah es ordentlich und reinlich aus, und obwohl es, wie alle Häuser und Hütten im Lande, ganz aus Holz gebaut war, zeichnete es sich doch vor manchen anderen aus, denn es hatte einen röthlichen Anstrich und die Fensterkreuze waren weiß gefärbt.

Das Pfarrhaus über seinem Kopfe und mancher Gaard der wohlhabenden Bauern umher sahen freilich viel größer und schöner aus; doch wie es da vorn auf dem Vorsprunge stand, frei nach Otteröe hinüberblickte und nach Molde, zur Rechten in den tiefen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_417.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)