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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Torsfjord und gerade aus über das ganze Wasser hin bis auf die Trolltinden von Romsdalen, schien es schöner gelegen, als alle übrigen. Eine liebliche Stelle war es, denn die Felsklippen schützten es von zwei Seiten vor rauhen Winden und schlossen den kleinen Grund hinter dem Hause ein, wo Aepfel- und Kirschbäume beisammen in dem hohen Grase standen.

In diesem Hause, das er vor zehn Jahren neu gebaut, wohnte Gullik Hansen, der Fischer. Von allen Leuten umher wurde er geachtet, als ein ernsthafter, verständiger Mann von großem Fleiß und, obwohl er sich auf seine Vortheile im Handel und Wandel gut verstand, auch von Frömmigkeit und Rechtschaffenheit. Die Kaufleute in Molde machten gern mit ihm Lieferungsgeschäfte, und der Pfarrer, Herr Jöns Bille, sein gelehrter Nachbar, sprach oft mit ihm und hielt gute Freundschaft, obwohl er von seiner Gemeinde als ein stolzer und hochfahrender Mann betrachtet wurde, der es am liebsten mit den Reichen hielt.

Gullik Hansen befand sich an dem Tage, wo diese Geschichte beginnt, nicht zu Hause, aber die Bank neben der Thür, auf welcher er zu sitzen pflegte, war darum doch nicht leer. Denn es saß dort seine Tochter Sigrid, ein achtzehnjähriges Mädchen, neben welcher mancher junge Bursch gern gesessen und ihr geholfen hätte, wenn sie es gelitten. Sie flickte an den Maschen eines alten Netzes, wie dies Fischerkinder thun müssen, und das Netz lag auf ihrem Schooß und auf dem Erdboden zu ihren Füßen; in der Hand hielt sie ein rundes Holz, wie eine lange Nadel, um welche festes Hanfgarn gewickelt war, mit dem sie die neuen Maschen einsetzte. Sigrid war Gullik Hansens einzige Tochter, er hatte jedoch auch einen Sohn, doch dieser war acht Jahre jünger als seine Schwester. Es war ein ziemlich schwächlicher Knabe, des Vaters Liebling, auch deswegen, weil er seiner Mutter ähnlich sah, und diese war gestorben, da er kaum sechs Jahre zählte. Von jener Zeit an hatte Sigrid des Vaters Haushalt geführt und den kleinen Bruder Anders behütet und gepflegt, wie es eine sorgsame Mutter thun würde; dennoch war es ein rothes munteres Mädchen mit hellen großen Augen und braunen Haaren, mit Zähnen, die sie in zwei vollen Reihen zeigte, wenn sie lachte, was häufig geschah, und mit einem Gesicht, in welches die Allermeisten gern hineinschauten, mochten sie jung oder alt sein. Sie war stark und groß; alle Arbeit wurde ihr leicht, und von ihrer Mutter hatte sie Ordnungssinn, von ihrem Vater Ueberlegung und festen Willen geerbt.

Wie Sigrid, mit dem Netze beschäftigt, emsig schaffte, ging die Sonne tiefer an dem Himmel hinab und schien bald nicht mehr weit davon sich in’s Meer zu versenken. Ihr Licht wurde goldig roth und überstrahlte auf’s Schönste den ganzen Fjord und die hohen Trolltinden in den Romsdalsfjellen mit allen ihren wunderlichen Hexenklippen, die bald wie Schlösser der alten Riesenkönige, bald wie versteinerte seltsame Gebilde aussehen, von denen es viele Sagen gibt. Sigrid sah zuweilen hinauf zu den Tinden und einige Male, als sie dies gethan, sah sie auch seitwärts in den Torsfjord hinein, der sich bald zwischen steilen hohen Felsen einbuchtete. Dort aber lag an dem entgegengesetzten Ufer auch ein Fischerhaus unter drei hohen weißen Birken, die ihre langhängenden Zweige auf sein Dach herabträufelten. Die Sonne beschien es eben mit ihrem feurigen rothen Lichte, und es sah sehr schön aus, wie das grüne Geblätter und die weißen Stämme und Aeste davon überglüht wurden. Vielleicht sah Sigrid eben deswegen so lange hin und war in ihren Gedanken so damit beschäftigt, daß sie ihre Arbeit vergaß und ihre Hände in den Schooß legte. Denn viel Anderes zu sehen gab es dort nicht. Das Land umher schien öde und die Hütte selbst unbewohnt, da weder Boot noch Netz zu blicken waren, auch die Läden vor den Fenstern lagen.

Plötzlich aber legte sich eine Hand auf Sigrids Schulter, daß sie erschrocken zusammenfuhr, denn sie hatte Niemand kommen hören. Sie mußte sich ihrem Sinnen ganz hingegeben haben, sonst hätte sie nicht allein die Schritte dessen vernommen, der sie überraschte, sondern auch den Schatten bemerkt, welcher lang über das Gras fiel. Es war ein Mann, der eben nicht ganz leise auftrat, denn er hatte feste Stiefeln an den Beinen, war ein kräftiger Bursch mit breiten Schultern und trug eine blaue Jacke mit Hornknöpfen und einen Glanzhut auf seinem dicken Kopf.

„Du brauchst nicht zu erschrecken, Sigrid,“ lachte er. „Ich bin’s.“

„Ich seh’ es,“ antwortete sie und nahm ihre Nadel wieder auf.

Er zog seine grobe Hand zurück und lachte noch einmal. „Na, na,“ sagte er und setzte sich auf die freie Ecke der Bank, „weh that es Dir nicht. Bist Du ganz allein, Sigrid?“

„Ja, Clas Gorud.“

Clas Gorud nahm seinen Hut ab und strich durch sein struppiges gelbliches Haar, dann setzte er den Hut wieder auf. Darauf sah er seitwärts seine Nachbarin an und fuhr mit den Fingern um seinen Hals zwischen dem blauen bedruckten Tuch. Endlich sagte er: „Ist meine Mutter Grete nicht hier gewesen?“

„Nein, sie ist nicht hier gewesen,“ antwortete Sigrid und arbeitete fort.

„Sie wollte es thun,“ sagte Clas, „es muß ihr was dazwischen gekommen sein.“ Darauf faßte er in seine Tasche, zog eine Dose von Zinn hervor, holte ein Stückchen schwarzen Kautabak heraus, schob ihn zwischen seine Zähne und fing dann wieder an zu lachen. „Geschieht es heute nicht, kann’s morgen geschehen,“ sagte er. „Ich bin noch nicht lange von Molde zurück. Habe mit dem Herrn Schiemann meine Geschäfte in Ordnung gebracht. Das ist ein schneller Mann, Sigrid, er kauft das Holz am ganzen Fjord weg und die meisten Fische dazu.“

„Was hast Du mit ihm?“ fragte Sigrid.

„Gute Dinge,“ antwortete Clas. „Ich soll sein Aufsichtsmann sein beim Handel, und bei mir ist er an den Besten gekommen, denn es kennt Keiner die Sache so wie ich, und die Leute und Stellen dazu.“

„Meinst wohl also, daß Keiner Dir gleich kommt?“ sagte Sigrid spöttisch lachend, und indem sie dies sagte, sah sie wieder nach dem Hause am Torsfjord hinüber.

„Ich denke, es ist so!“ rief Clas, darauf hob er seinen Arm auf und deutete ebenfalls auf das Haus. „Es wird bald in Klunx fallen,“ fuhr er fort, „aber nächstens wird es verkauft.“

„So,“ sagte Sigrid, „wird’s verkauft?“

„Es sind Schulden da, die müssen bezahlt werden. Der leichtsinnige Junge hat dem alten Mann, seinem Vater, ja die letzten Schillinge abgenommen. Noch ein paar Monate vorher, da er starb, mußte er ihm zu Liebe die Stelle verpfänden und hat’s ihm geschickt. Eine Schande war’s, jetzt kommt es danach.“

„Was kommt danach?“ fragte Sigrid.

„Na,“ rief Clas, „daß er ein Lump ist, der nichts mehr hat. Jetzt kann er Soldat bleiben, so lange er lebt, denn hier ist nichts mehr für ihn zu holen. Was der alte Mann sonst noch hinterlassen, ist längst fort, jetzt geht’s an die Stelle. Es wird bald anders aussehen da drüben.“

„Du willst sie wohl gar kaufen?“ fragte Sigrid und sah ihn wieder spottend an.

Clas grinste und nickte. „Warum nicht? ich kann’s brauchen,“ erwiderte er behaglich.

„Weil Du der Erste jetzt bist, mußt Du Dich dort hineinsetzen,“ lachte sie, „wo der saß, der sonst der Erste hieß.“

„Schnack!“ rief er. „Thorkel Ingolf ist nun länger als drei Jahre fort. Damals warst Du noch ein kleines Mädchen. Was weißt Du von ihm?“

„Mehr als Du denkst,“ sagte sie.

„Meinetwegen. Aber der Erste ist er nie hier gewesen. Jetzt soll er nicht einmal der Letzte sein.“ Das sagte Clas mit Spott und dabei sah er sehr häßlich aus, denn sein Gesicht war überhaupt nicht eben wohlgebildet, sein Mund sehr groß, seine Stirn niedrig und seine Nase ging in die Höhe.

Sigrid hörte nicht auf zu lachen, sah ihn jedoch nicht dabei an, sondern knüpfte ihre Fäden. „Kaufe nur die Stelle,“ sagte sie, „wenn Du Geld genug dazu hast. Der Platz ist gut, doch billig wird er nicht sein; Mancher wird danach ausgehen.“

„Es wird sie doch Keiner bekommen, als ich,“ antwortete Clas zuversichtlich. „An den Herrn Schiemann ist sie verpfändet, der hat damals die zweihundert Speciesthaler gegeben, die Thorkel seinem Vater abpreßte, Niemand weiß wozu. Dafür hat Schiemann eine feste Schrift in Händen, daß die Stelle sein ist, wenn nach einem Jahre das Geld nicht zurückgezahlt werden kann. Und jetzt eben ist das Jahr um, Sigrid, und Schiemann will mir den Platz geben und verkaufen. Er will bezahlen, was sonst noch darauf haftet, dann ist sie sein und wird mein werden. Ihm wird so leicht Keiner in den Handel kommen.“

„Daß es ihm nur nicht wieder leid wird,“ lachte Sigrid.

„Hat nichts zu sagen,“ versetzte Clas. „Ich kann ihm gute Dienste leisten, wie sie ihm gefallen.“ – Er zog seinen Hut um

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_418.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)