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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

das Papstthum von der Abhängigkeit der Kaiser frei zu machen und zur ersten Macht der Erde zu erheben, zur bedeutungsvollen That; Kaiser Heinrich IV. mußte barfuß, im wollenen Bußgewand, drei Tage bei strenger Januarkälte (1077) nüchtern vom Morgen bis Abend innerhalb der zweiten Ringmauer der Burg Canossa stehen, bis sich der Papst bequemte, den Bann zu lösen, den er über ihn ausgesprochen; und der Papst erreichte sein Ziel; er stand jetzt neben dem Kaiser; fortan galt es, die letzte Stufe zu ersteigen und sich kühn und herrschend über ihn zu stellen.

Inmitten des Kampfes jener zwei die Welt bewegenden Mächte, des Kaiserthums und des Papstthums, treffen wir jedoch von Zeit zu Zeit auf Männer, die sich mit kühnem Muthe dem päpstlichen Herrschergelüst entgegenwerfen und für die Oberhoheit und Herrlichkeit des deutschen Reichs mit kräftigem Wort, mit tapferer That zu wirken suchen. Es sei uns vergönnt, aus dem unerquicklichen Jammer der deutschen Gegenwart, wo nur die Feder der Diplomaten leichte und ruhmlose Siege erkämpft, den Lesern der Gartenlaube ein solches Bild deutschen Männermuthes vor Augen zu führen, das durch den Pinsel eines geistvollen Künstlers (Herrn Plüddemann in Dresden, dessen großes Oelbild auf den deutschen Ausstellungen verdientes Aufsehen erregte) vielleicht Manchem, wenn auch nur im Allgemeinen, bekannt sein dürfte.

Friedrich I., der Hohenstaufe, war nach König Conrad’s Tode von den zu Frankfurt versammelten deutschen Fürsten am 4. März 1152 einstimmig auf den deutschen Königsthron berufen worden. Seine Thaten sind bekannt. Seine äußere Erscheinung erinnert an die alten Deutschen, welche vor zwölfhundert Jahren die Verwunderung und den Schrecken der Römer erregt hatten. Er war nicht eben von hohem, aber von schlankem Wuchse; die Brust hoch gewölbt, der Bau des ganzen Körpers straff und stark, so daß er so leicht als kräftig einherschritt und die größten Anstrengungen leicht zu ertragen vermochte; das Gesicht fein und frisch, die Augen blau, das Haar an Haupt und Kinn roth und kraus: deswegen hat man ihn den Rothbart beigenannt. In diesem Körper aber wohnte ein gewaltiger Geist. Was die Natur für einen Menschen zu thun vermag, das hatte sie für ihn gethan. Er hatte die Fähigkeit, Alles zu erreichen, was menschlichen Kräften zugänglich ist: einen tüchtigen Verstand, ein rasches Urtheil, einen scharfen Blick und ein so ausgezeichnetes Gedächtniß, daß er einen Jeden, der ihm einmal bekannt geworden war, nach sehr langer Abwesenheit sogleich wieder bei seinem Namen zu begrüßen vermochte. Und wenn er diese geistigen Kräfte allzumal am meisten auch nur in kriegerischen Dingen und für kriegerische Dinge ausgebildet hatte, und wenn er sich auch in anderen wissenschaftlichen Kenntnissen versäumt haben mochte, so wußte er doch Mancherlei und suchte selbst als Kaiser so weit als möglich gut zu machen, was gut zu machen war. Vor Allem liebte er, in diesem Stücke Karl dem Großen gleich, die Geschichten früherer Tage zu lesen oder sich lesen zu lassen, wohlerkennend, daß ein Mensch, er mag ein Fürst sein oder ein Gemeiner, welchem die Vergangenheit verschlossen ist, nothwendig ein Fremdling in der Gegenwart bleibt. Auch verstand er mit vieler Anmuth in der vaterländischen Sprache zu reden, und durch diese Anmuth im Besondern gelang es ihm leicht, die Herzen zu gewinnen, an deren Gewinnung ihm gelegen war.

Hatte dieser tüchtige, ausgezeichnete Mann auch seine Schattenseiten, war er nicht immer Herr seiner Leidenschaften, und bewies er in der Befolgung derselben eine Beharrlichkeit, eine Stärke des Willens, die Schauder und Angst erregt, war er namentlich furchtbar in seinem Hasse, der keine Verzeihung, keine Milde kannte: so war er doch bei alledem ein guter Deutscher, dem die Macht und das Ansehen seines Vaterlandes sehr warm am Herzen lag.

Ein Mann mit solchen Gesinnungen und Gefühlen konnte natürlich die Uebergriffe des Papstthums, sobald sie seine Herrscherrechte berührten, nicht ungestraft geschehen lassen. Zunächst galt es jedoch, sich die Gunst des Papstes zu erhalten, denn Friedrich’s Hauptstreben ging dahin, aus des Papstes Hand die Kaiserkrone, das Zeichen der höchsten Würde dieser Welt, zu empfangen. Aber erst im Juni 1155 konnte er vor Rom erscheinen, woselbst jetzt Hadrian IV., ein Mann, der in vielen Stücken das Andenken an Gregor VII. aufruft, den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte.

Wir übergehen es, die vielfach erzählte Steigbügelscene im Lager von Sutri nochmals vorzuführen. Zu stolz, das Geschäft des Reitknechts zu besorgen, versäumte der Kaiser beim Erscheinen des Papstes, die Bügel demüthig zu halten, und erklärte, als ihm vom heiligen Vater der Friedenkuß verweigert und er auf die von allen seinen Vorgängern den Aposteln Petrus und Paulus bewiesene Ehrfurcht aufmerksam gemacht wurde, mit stolzen Worten, ein König der Deutschen sei zu solchen Dingen nicht verpflichtet. Schon wollten Papst und König in voller Aufregung das Lager wieder verlassen, als es den Bemühungen der deutschen und italienischen Fürsten noch gelang, den König zu bewegen, der Form nach den Ansprüchen des stolzen Hirten von Rom zu genügen, worauf die Versöhnung stattfand und Friedrich in Rom zum Kaiser gekrönt ward.

Der alte Groll aber blieb im Herzen des Kaisers sitzen, und weniger nachgiebig, als bei dieser Gelegenheit, zeigte er sich zwei Jahre später gegen die Abgeordneten, die Papst Hadrian zu ihm nach Besançon gesandt, wo er eben die Huldigung der burgundischen Großen empfing.

Der Erzbischof Eskyl oder Eskild von Lund war auf der Rückreise von Rom nach Schweden in Burgund von einigen Edeln überfallen, ausgeplündert und in irgend einer Burg gefangen gehalten, damit er seine Freiheit durch ein großes Lösegeld erkaufe. Ueber diesen Frevel war, wie von Andern, so von dem Papste selbst, bei dem Kaiser Beschwerde geführt worden. Friedrich aber hatte nichts gethan, um dem Priester die Freiheit wieder zu verschaffen, und noch weniger, um die Verbrecher zu bestrafen; vielmehr hatte er sich um die Sache gar nicht bekümmert und sich mit der Versicherung begnügt, daß er nichts von derselben wisse. Ob diese Versicherung des Kaisers in der Wahrheit begründet gewesen, ob er Bedenken getragen habe, gegen Vasallen in den neuerworbenen Ländern aufzutreten wegen Vorgängen, an welche sie gewöhnt sein mochten, oder ob er aus Verdrießlichkeit und um die Geistlichen zu kränken, auf diese Weise gehandelt habe, muß unausgemacht bleiben. Der heilige Vater hielt aber jedenfalls sein Wort für heuchlerisch und glaubte wohl mit desto größerer Zuversicht, bei dieser Gelegenheit gegen den Kaiser auftreten zu dürfen, je fester er voraussetzte, daß er alle Geistliche, und gewiß auch viele weltliche Herren, auf seiner Seite haben mußte. Also ordnete er die beiden ersten Männer der römischen Kirche als Gesandte an den Kaiser ab, den Cardinal Roland, Kanzler der römischen Kirche, Cardinal Bernard, der sich nicht weniger als jener durch seinen Reichthum auszeichnete, durch seine Jahre und seine Gelehrsamkeit; und diesen Gesandten übergab er ein Schreiben an den Kaiser, das sie demselben darbringen und dessen Inhalt sie durch ihre Beredsamkeit und durch ihr persönliches Ansehen unterstützen sollten.

Umgeben von getreuen Fürsten des Reichs und den burgundischen Großen, empfing der Kaiser die päpstlichen Gesandten vor dem versammelten Reichstage in der Hauptkirche zu Besançon. „Euch grüßen,“ so nahm der Cardinal Roland das Wort, „unser heiliger Vater und die Gesammtheit der Cardinäle der römischen Kirche; jener wie ein Vater, diese wie Brüder.“ Wohl erregte diese auffallende Anrede den Unwillen des Kaisers, doch kämpfte er denselben nieder und nahm das päpstliche Schreiben aus der Hand der Cardinäle, das, nachdem es lateinisch vorgelesen worden, auf des Kaisers Aufforderung sofort durch seinen Kanzler Rainald (nachmaligen Erzbischof von Cöln) also verdeutscht wurde: „Schon einmal schrieb ich Deiner kaiserlichen Majestät über jene schreckliche, verruchte, in Deutschland bisher unerhörte Frevelthat gegen den Erzbischof von Lund, und ich muß sie Dir nochmals in’s Gedächtniß zurückrufen, weil Du das Schwert, welches Dir durch Gottes Gnade zum Schutz der Guten und zur Bestrafung der Bösen anvertraut worden ist, keineswegs gehörig gebraucht, ja den Frevlern nicht einmal Veranlassung gegeben hast, ihre Unthat auch nur im Geringsten zu bereuen. Ganz unbekannt und unbegreiflich ist mir der Grund dieses Verzuges, dieser Nachlässigkeit; denn mein Gewissen zeihet mich keines Fehls, womit ich Deiner Ehre zu nahe getreten wäre, vielmehr liebte ich Dich stets als meinen theuersten Sohn und als den christlichsten, zum Schutze des apostolischen Stuhles berufenen Fürsten. Du solltest Dich erinnern, ruhmwürdiger Sohn, wie gnädig und freudig Deine Mutter, die hochheilige römische Kirche, Dich aufgenommen, mit welcher Herzlichkeit sie Dich behandelt, welche Fülle von Würde und Ehre sie Dir ertheilet, und wie gern sie, die kaiserliche Krone Dir übertragend, den Gipfel Deiner Erhabenheit in ihrem segensreichen Schooße zu verherrlichen sich bemüht hat, ja wie sehr wir uns freuen würden, wenn Deine Vortrefflichkeit noch größere Beneficia aus unserer Hand empfangen könnte.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_422.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)