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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Bei diesen frechen Worten brauste ein Sturm des Unwillens durch die weiten Hallen der Kirche; mit Zornesblicken faßte manche Faust nach dem Griff des Schwertes, und nur der gebietende Blick des Kaisers vermochte die tobenden Gemüther zu besänftigen. Rainald las zu Ende:

„Jetzt aber, da Du jene Unthat, die zur Schmach der Kirche und des ganzen Reichs begangen ist, vernachlässigst und verdeckst, so ahne und besorge ich, daß Dein Gemüth durch Einflüsterung verwerflicher Menschen (die nur üblen Samen säen) hierzu verführt und gegen Deine gütige Mutter, die heilige römische Kirche, und gegen mich selbst mit Argwohn und Zorn erfüllt sei. Um dieser und anderer Gründe willen habe ich zwei der besten und liebsten meiner Brüder, welche durch Religion, Klugheit und Ehrbarkeit gleich ausgezeichnet sind, an Dich abgesandt und bitte Dich dringend, daß Du sie milde und ehrenvoll empfangest und Alles, was sie Dir zu Ehren Gottes und der Kirche, sowie zur Erhöhung des Reiches in meinem Namen vortragen, ohne Bedenken anhören und berücksichtigen mögest.“

Kaum hatte Rainald seine Verdeutschung beendigt, als der verhaltene Grimm mit aller Macht hervorbrach. Die Kaiserkrone war von dem Papst ein Beneficium genannt worden. Und dieses Wort schien in seiner allgemeinen Bedeutung: Wohlthat, Vergünstigung, sehr anstößig, weil die Anhänger der deutschen Könige die Krönung derselben zu römischen Kaisern gern zu einer Pflicht des Papstes gemacht hätten, obgleich dieselbe häufig genug bald versagt, bald verzögert worden war. Aber das Wort war auch seit der Entstehung des Lehnswesens im Besondern von jedem Lehen gebraucht worden und im Gebrauch geblieben bis diesen Tag. Wenn daher der Papst die Kaiserkrone ein Lehen nannte, welches durch seine Hand ertheilt werde, und wenn die Könige das Kaiserthum erst durch die Ertheilung der Kaiserkrone empfingen, so war auch unleugbar nach der Behauptung des Papstes das Kaiserthum selbst ein Lehen des apostolischen Stuhles, und der Kaiser war ein Vasall des römischen Papstes.

„Wohl erinnern wir deutschen Fürsten uns,“ donnerte Heinrich der Löwe in dem wilden Tumult, „daß man in Rom die verwegene Behauptung gewagt, die deutschen Könige hätten das römische Kaiserthum und das italische Reich als eine Schenkung der römischen Bischöfe besessen. Deutsches Eisen und deutsches Blut hat euer Reich erobert. Unser Kaiser ist der rechtmäßige Besitzer von Rom. Wer dem Hercules die Keule zu entwinden vermag, der thue es.“

„Nur Zwietracht und Streit ist uns von Rom gekommen,“ zürnte Herzog Welf von Braunschweig. „Hat nicht schon bei des Kaisers Anwesenheit in Italien Papst Hadrian jenes Gemälde vertilgen lassen wollen, worauf König Lothar den Papst Innocenz II. um die Krone bittet und dessen Umschrift lantet:

Der König harrte vor dem Thor,
Bis er das Recht der Stadt beschwor;
Des Papstes Lehnsmann ward er drauf,
Der setzt dafür die Kron’ ihm auf.

Es existirt jetzt noch. Wehe dem, durch welchen Aergerniß kommt! Wer das kaiserliche Ansehen beeinträchtigt, bricht auch den Frieden der Kirche, weil diese vor Allem durch die von Gott gegründete Macht des Kaisers beschützt wird.“

Dann erhob sich Rainald, der deutsche Kanzler: „Wer da behauptet,“ rief er, „der Kaiser habe die Krone vom Papst als ein Lehen empfangen, widerspricht den göttlichen Vorschriften wie denen des heiligen Petrus und ist der Lüge schuldig. Rom, bestimmt, der Sitz der Tugend und Frömmigkeit zu sein, hat sich, wie so viele Bischöfe selbst bezeugen, in eine Räuberhöhle verwandelt und ist der Sitz der Gottlosigkeit und Habsucht geworden. Anstatt demüthig Christi Kreuz zu tragen, will der Papst Kronen vertheilen und den Kaiser spielen. Aber vor der Macht dessen, den in Italien, ja in Rom Jeder verlacht, wird sich am wenigsten ein deutscher Kaiser fürchten, und wenn der Papst von den dummen, zum Gehorsam bestimmten Deutschen redet, so wird es ihm das herrliche, unwiderstehliche Volk beweisen, daß es nicht zum Gehorsam, sondern zum Befehlen geboren ist.“

Von allen Seiten angegriffen, ließ sich jetzt der Cardinal Roland zu solcher Heftigkeit fortreißen, daß er die Frage herausstieß: „Von wem hat denn der König das Reich (imperium, abermals ein zweideutiges Wort, das ebenso das Reich wie das Kaiserthum bedeutet), wenn nicht vom Papste?“

Wie ein Blitz schlug diese Frage in die Versammlung ein. Kaum war das Wort den Lippen des Cardinals entfallen, als der Zorn der deutschen Fürsten von Neuem losbrach. Von ihren Sesseln aufspringend, schlugen sie empört an ihre Waffen und Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, sich durch die übrigen Fürsten vordrängend, zog das Schwert. Mit den Worten: „Unverschämter Pfaffe,“ zischte das Schwert durch die Luft, um dem Cardinal den Kopf zu spalten. Es entstand eine furchtbare Verwirrung, die Legaten wichen erschrocken hinter die umgeworfenen Sessel zurück und suchten Schutz hinter dem Kaiser. Zwar hielt der Kaiser den erhobenen Arm des Wittelsbachers zurück und besänftigte durch sein Ansehen den wachsenden Sturm, aber auch ihn ergriff der Unmuth über die römische Anmaßung, sodaß er dem Cardinal Roland die Worte zuschleuderte: „Wären wir nicht in der Kirche, ihr solltet erfahren, wie scharf die deutschen Schwerter schneiden.“

Er besänftigte hierauf die zornglühenden Fürsten und ließ die Legaten des Papstes unter sicherer Bedeckung in ihre Wohnung bringen. Hier wurden ihre Sachen untersucht, und man fand unter denselben nicht nur viele Abschriften von dem Briefe des Papstes, welchen sie dem Kaiser übergeben hatten, sondern auch unbeschriebene, mit dem päpstlichen Siegel versehene Blätter, auf welche sie folglich schreiben sollten und durften, was sie in Deutschland schnell zu verbreiten für gut fanden. Unter diesen Umständen glaubte Kaiser Friedrich diesen gefährlichen Männern kein längeres Verweilen in den Ländern des Reichs verstatten zu dürfen. Er gab ihnen am andern Morgen den bestimmten Befehl, alsobald abzureisen und auf dem geradesten Wege, weder zur Linken abweichend, noch zur Rechten, nach Rom zurückzukehren, woher sie gekommen waren.

Ein so kräftiges Auftreten schüchterte den heiligen Vater ein; er bedurfte der Freundschaft und Unterstützung des Kaisers, und so beeilte er sich, ein „mit Ruhe und Ergebung abgefaßtes“ Schreiben an den Kaiser zu senden, worin sich die hochmüthige Sprache rasch in eine demüthige umwandelte und die dem Kaiser unangenehmen Ausdrücke des ersten Briefes entschuldigt und in der mildesten Weise ausgelegt wurden. Die Kirche war darnach wieder die „bescheidene Magd des Reiches“. –

Siebenhundert Jahre sind inzwischen vorübergerauscht; die Herrlichkeit des heiligen römischen Reiches deutscher Nation ist verschwunden, aber das Sehnen nach Einheit und alter Macht und kräftigstem Handeln zurückgeblieben im Herzen des deutschen Volkes! Möchte doch, wenn die vielleicht nicht ferne Stunde schlägt, wo es einzutreten gilt für des Vaterlands Ehre und Recht, für Deutschlands Ansehen und Freiheit, derselbe Geist der Kraft und des Muthes, welcher den Ahnherrn trieb, auch die Nachkommen jenes Otto von Wittelsbach und die übrigen deutschen Fürsten beseelen; am Volke wird’s wahrlich nicht fehlen!




„Die edle Kunst der Selbstvertheidigung“ in England.

Engländer aller Stände, vom gemeinsten Taschendiebe bis herauf zu dem parlamentarischen Könige Großbritanniens, dem hohen Siebenziger Palmerston, wurden neuerdings geradezu begeisterungswahnsinnig durch die gesetz- und polizeiwidrige That eines ehemaligen Maurergesellen, des Preisboxers Tom Sayers. Palmerston lobte ihn im Parlamente vor den Gesetzgebern, die für ihn zweihundert Pfund Sterling gesammelt hatten. Der Rechtsschutz und höchste Gesetzwächter der City, der Lord-Mayor, hielt ihm eine Lobrede und schenkte ihm einen Sack voll Goldstücke. Die Herren der Londoner Stockbörse ließen ihn kommen, schenkten ihm einen Sack voll Goldstücke und beteten ihn an. Die großen Zucker- und Rosinenmänner von Mincing Lane in der City von London thaten desgleichen. Lords und Barone des Reichs – über funzig an Zahl – schickten ihm Anweisungen von 10 bis 150 Pfund. In Liverpool ward er von vielen Tausenden mit wahnsinnigem Jubelruf empfangen und von Menschen im Triumphwagen nach dem ersten Hotel gezogen, wo ihn die begeisterten Tausende öfter herausriefen auf den Balcon, um ihm ihren Enthusiasmus zuzubrüllen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_423.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)