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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nicht in derselben erzogene Blinde in der Absicht aufgenommen, sich durch einen oft nur wenige Monate währenden Aufenthalt einige technische Erwerbsfähigkeit anzueignen. Dieser Arbeitsunterricht bezweckt, die Pfleglinge in den Stand zu setzen, durch selbstständigen Betrieb eines der genannten Handwerke ihr Fortkommen zu suchen und hierdurch in die Lage zu kommen, der Unterstützung ihrer Heimathgemeinden und der Beihülfe der Barmherzigkeit entbehren zu können.

Musik und Gesang erlernen fast alle Zöglinge, soweit irgend eine Befähigung dazu vorhanden ist. Virtuose Ausbildung hingegen wird nicht angestrebt. In der Regel lernen die Blinden mehr als ein Instrument spielen, um sich künftig als brauchbare Mitglieder einem kleinen Musikchore anschließen zu können. Solche Blinde aber, welche ihre musikalische Geschicklichkeit für eine bettelhafte, umherschweifende Lebensweise mißbrauchen, Jahrmärkte und sonstige Volkslustbarkeiten bereisen, und als Bänkelsänger oder musicirende Bettler der Barmherzigkeit zur Last fallen, treten durch diese unangemessene, auch die Sittlichkeit gefährdende Beschäftigung außer Verbindung mit der Anstalt und verlieren den Anspruch auf ihre Unterstützung. Dagegen erscheint das Anleiten der musikalisch befähigten Blinden zum Pianoforte-Stimmen als sehr nützlich, und es wird daher denen, die sich durch besondere Schärfe des musikalischen Gehörs auszeichnen, der nöthige Unterricht hierin ertheilt.

Die Erzeugnisse der Hausmanufactur sind in einem eigenen Saale zum Verkaufe ausgestellt, und der Ertrag davon, der sich jährlich auf 3–500 Thaler beläuft, wird zu dem Fond für Entlassene geschlagen, welcher theils durch Beiträge oder Hinterlassenschaft mildthätiger Privaten, theils durch Staatszuschuß gegründet wurde. Denn die Erfahrung hat es gelehrt, daß Bildung allein in den meisten Fällen doch nicht ausreicht, dem Blinden eine selbstständige Stellung in der bürgerlichen Welt zu erringen. Man sah oft die besten Früchte der Erziehung wieder verloren gehen. Sich selbst überlassen in einer ihnen fremden Welt, scheiterten nicht selten die besten und arbeitstüchtigsten Blinden an der einfachen Schwierigkeit, daß ihnen nach ihrem Austritte aus der Anstalt die leitende Hand fehlte, die ihnen mit Sachkenntniß und Liebe über scheinbar oft geringe Schwierigkeiten hinweghalf. Sie verfielen in Muthlosigkeit, versanken in Unthätigkeit, verlernten aus Mangel an Uebung die mühsam errungenen Geschicklichkeiten und vermochten, wie früher, nur unter dem Beistande der Barmherzigkeit ein verkümmertes Dasein zu fristen.

So weit irgend möglich, wird daher jeder Blinde vor seiner Entlassung mit allen Nothwendigkeiten des Lebens, auch mit einigem Gelde ausgestattet. Für die ersten Jahre wird hierdurch der Blinde der wichtigen Sorge für seinen Anzug fast gänzlich enthoben. Sodann wird Sorge getragen, ihn mit den nöthigen Handwerkszeugen und einigem Arbeitsmaterial zu versehen. Zu diesem Behufe werden die Zöglinge von Kindheit an sorgfältig zur Sparsamkeit angehalten und in ihrem Gebahren mit Gelde überwacht. Dadurch, daß ihnen von ihren Arbeiten ein Fünftheil des Reingewinns bei monatlicher Ablieferung der von ihnen gefertigten Waaren als Taschengeld baar ausgezahlt wird, ist ihnen die Gelegenheit geboten, den Werth und Gebrauch des Geldes kennen zu lernen und sich in der Sparsamkeit zu üben. Nicht selten erlangt auf diese Weise ein Zögling, wenn ihm nebenher noch kleine Geschenke von diesem oder jenem Gönner zufließen, eine Baarschaft von zwanzig Thalern, Mancher aber fünfzig und sechzig Thaler, eine Summe, welche in den meisten Fällen genügt, ihrem Besitzer den selbstständigen Betrieb eines kleinen Geschäftes zu sichern.

Vor der Entlassung aus der Anstalt nun bemüht sich die Direction, an dem künftigen Wohnorte des Blinden einen gebildeten Menschenfreund zu ermitteln, welcher es auf sich nimmt, seinen Schutzbefohlenen liebreich zu bevormunden, seine fernere Verbindung mit der Anstalt brieflich zu vermitteln und von Zeit zu Zeit über das Befinden, Verhalten, die etwaigen Bedürfnisse und Wünsche seines Pfleglings an die Anstalts-Direction zu berichten. Alljährlich unternimmt auch der Director eine Reise in den einen oder andern Landestheil, um sich durch eigenen Augenschein von den Verhältnissen der entlassenen Zöglinge zu überzeugen und ihnen sowohl, als ihren Ortsobrigkeiten und Vormündern rathend und helfend an die Hand zu gehen.

Die gewöhnlichste Form, unter welcher schließlich nach erfolgter Entlassung Unterstützungen an Blinde ertheilt werden, ist in der Hauptsache folgende. Die Gewinnung eines guten und wohlfeilen Arbeitsmaterials hat für die Blinden, besonders auf dem Lande und in kleinen Städten, immer große Schwierigkeiten. Theils können sie immer nur in geringen Quantitäten kaufen und kaufen also theuer, theils müssen sie sich hierbei, da sie die Waare mit dem Tastsinn nur unvollkommen zu erproben vermögen, fast ganz der Redlichkeit der Verkäufer überlassen. Es besteht also die Einrichtung, daß die Blinden in allen Theilen des Landes ihr Arbeitsmaterial jederzeit in der Blinden-Anstalt kaufen können. Zu diesem Zwecke werden hier die Materialien aus erster Hand im Großen erkauft, und in den kleinsten Quantitäten zu den Einkaufspreisen an die Blinden wieder abgelassen. So erhalten dieselben unter Garantie der Anstalt nicht blos ein gutes, sondern auch sehr wohlfeiles Arbeitsmaterial, und dies hat dann in vielen Fällen schon allein die nothwendige Folge, daß auch die blinden Arbeiter bei Fleiß und Mäßigkeit von dem Ertrage ihrer Thätigkeit leben und, weil ihnen an ihren Fabrikaten ein höherer Gewinnantheil verbleibt, als den gewöhnlichen Handwerkern, die Concurrenz mit ihnen bestehen können. Diese erfreuliche Erfahrung aber erhält ihre Lust zur Thätigkeit rege und treibt sie zur emsigsten Benutzung ihrer Zeit. Auf diese Weise wird es möglich, einen geschickten blinden Arbeiter mit einem geringen Opfer von jährlich wenigen Thalern ohne jede weitere Behelligung der öffentlichen Wohlthätigkeit zu unterhalten, ohne ihm die Freude am selbstständigen Schaffen zu verleiden, oder ihn zum bloßen Empfänger demüthigender Barmherzigkeit hinabzudrücken.

Und so laßt uns scheiden von dieser Anstalt – doch nicht gleichgültigen Herzens. Sie ist eine Stätte der aufopferndsten Liebe, der unendlichsten Sorgfalt. Sie gleicht einer guten Mutter, welche das kranke Kind am zärtlichsten liebt.

H. Kg.




Das erste allgemeine deutsche Turn- und Jugendfest in Coburg.
vom 17. bis 19. Juni.
Von Arnold Schloenbach.

Während die geheimnißvollen elektrischen Drähte von Baden-Baden aus den Cabineten Europa’s die Geschicke der nächsten Zeit wenigstens insoweit verkünden, als die Diplomatie jetzt noch Geschicke bestimmen und leiten kann, wird in der freien Residenz des freiesten deutschen Landes ein Fest gefeiert, dessen Idee der Entstehung und dessen Geist der Ausführung jene Zusammenkunft in Baden-Baden hauptsächlich mit veranlaßt hat: die immer mächtiger waltende Idee von der endlich Thatsache werden sollenden Einheit des Vaterlandes; der neu und mächtig erwachte Geist der Nation, in immer größerem Bewußtsein, immer energischerem Wollen. Diese Idee, dieser Geist haben erschreckend, ermahnend, hoffentlich auch anfeuernd und kräftigend die Höfe Europa’s, namentlich aber Frankreichs und Deutschlands, bewegt und in Baden-Baden die Fürsten, in Coburg die Vertreter der deutschen männlichen Jugend zusammengeführt. Und das ist es, was unserm Feste eine so ernste, hohe, nationale Bedeutung gibt. Das ist auch die Thatsache eines moralischen Sieges, den die Nation sich errungen hat, der ihr auch wohl nicht mehr verkümmert werden kann. Von diesem nationalen Standpunkt aus betrachtet, ist unser Fest ein großer historischer Moment deutscher Geschichts-Entwickelung; es verdient daher eine genauere Beschreibung. – Zu weit würde es indeß für diese Blätter führen, wenn die Debatten und Reden hier nachgedruckt werden sollten; das sei Aufgabe eines besondern Gedenkwerkes, das die Festleiter erscheinen lassen werden; hier brauchen nur die eigentlichen Thatsachen zu gelten: zunächst die Vorlagen, um die es sich handelte, und wie dieselben zum Abschluß kamen; dann die Hauptpunkte der größeren Reden und der Geist, mit dem sie aufgenommen wurden. – Die Namen der Debattirenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_430.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)