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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nach und horchte. Auf dem Sopha saß ein dürrer Herr mit langem Gesicht und starken Backenknochen, unter denen die Backen tief einfielen. Er hatte röthliches, dünnes Haar und einen röthlichen Backenbart, scharfe graue Augen und ein strenges Ansehen, das von der lang vorstehenden Nase vermehrt wurde.

Als Thorkel die Thür öffnete und guten Morgen wünschte, drehte er den Kopf hin, dankte nicht darauf, sondern fragte: „Was willst Du?“

„Ich möchte ein Wort mit Dir sprechen, Herr Schiemann,“ antwortete Thorkel.

Ter Kaufmann stemmte den Arm auf den Tisch, in der Hand hielt er ein Messer. Vor ihm stand eine Karaffe mit Portwein und ein halb gefülltes Glas, ein leeres nicht weit davon. Dabei Teller mit Fleisch und Lachs, sammt Butter und Weißbrod. Herr Schiemann nahm ein Stück davon, auch Fleisch dazu, und indem er darauf hin sah, fuhr er fort: „Hast Du nicht gesehen, daß an der anderen Thür „Comptoir“ steht? Wer mich sprechen will, muß dahin gehen. Oder kannst Du nicht lesen?“

„Lesen und schreiben, Herr Schiemann,“ sagte Thorkel. „Nimm es nicht übel. Clas Gorud sagte mir, ich möchte hier hineingehen.“

Der Kaufmann fuhr fort zu essen und trank dazu. Thorkel stand geduldig und wartete. „Ich habe schon gehört, daß Du wieder hier bist,“ begann er. „Warum kommst Du zu mir?“

„Lieber Herr,“ sagte Thorkel, „ich muß wohl. Du hast die Stelle am Torsfjord vom Landrichter beschlagen lassen, so weiß ich nicht, wohin ich soll.“

„Das mag wohl sein,“ versetzte Schiemann, „aber meine Sache ist es nicht. Gestern hat Dich Gullik Hansen von seiner Thür gewiesen, so wird es Dir bei Anderen auch gehen.“

„Ich hoffe es nicht von Dir, Herr,“ antwortete Thorkel.

„Von mir?“ fragte Schiemann, das Glas in der Hand. Und nachdem er es ausgetrunken, sprach er weiter: „Ich habe die Stelle als Pfand für die zweihundert Thaler verschrieben bekommen. Dein Vater war ein ehrlicher Mann, dem habe ich sie geborgt. Dir hat er das Geld geborgt, kannst Du es wiedergeben?“

„Ja, Herr, ich will’s wiedergeben.“

„Wann?“ fragte Schiemann. „Wie?“

Thorkel schwieg. „Es kann vielleicht bald geschehen, vielleicht auch nicht,“ antwortete er nach einigem Besinnen.

„Ja so!“ sagte der Kaufmann, „Du weißt es nicht. Was hast Du damit gethan? Wo ist es geblieben? Hast es vergeudet?“

„Gleichviel, Herr,“ sprach Thorkel, „fort ist es, ich habe nicht einen Thaler mehr davon. Aber ich bin ja jung und verstehe meine Sache. Gib mir Geduld, ich will für Dich arbeiten. Es kommt jetzt eben die Zeit für den Hering und den Segfisch. Ich will nur das Nothdürftigste haben, alles Andere sollst Du abschreiben.“

Herr Schiemann schnitt sich ein neues Stück Braten ab und sagte dabei vollkommen gleichgültig: „Ich kann Dich nicht brauchen, sieh zu, wer Dich nimmt.“

Thorkel blieb noch einige Augenblicke stehen, dann sprach er: „So vergib, Herr, daß ich anfragte, und Gott’s Gruß!“

Als er die Hand schon auf dem großen Thürgriff hatte, rief Herr Schiemann: „Komm einmal her. Thorkel Ingolf.“

Thorkel kehrte um und trat an den Tisch. Der Kaufmann sah ihn mit den grauen scharfen Augenbrauen an, als wollte er ihn durchsehen. „Wenn ich Dir keine Arbeit gebe,“ sagte er, „wird es kein Anderer thun.“

„Das mag wohl sein,“ antwortete Thorkel.

„Da Gullik nichts mit Dir zu schaffen haben will, folgen ihm alle besseren Leute, und die armen oder schlechten können Dich nicht brauchen.“

„Ich mag sie auch nicht,“ sagte Thorkel.

„Dann werden Lensmann und Voigt bald hinter Dir her sein,“ fuhr der Kaufmann fort, „und werden Dich in’s Loch stecken, wenn Du Dich umhertreibst oder bettelst.“

Thorkel’s Augen wurden größer. „Das wird nicht geschehen, Herr.“

Schiemann schwieg und musterte ihn. „Wo warst Du denn heut Nacht?“ fragte er.

„In einer von den alten Kirchenhütten, an der mein Vater auch einen Theil hatte,“ sagte Thorkel.

„Hast wohl auch heule noch nichts genossen?“

„Viel war’s nicht,“ lautete die Antwort.

„Da, iß,“ sagte der reiche Mann und schob ihm den Teller mit dem Brod und dem Rest vom Fleische hin. Dann nahm er die Krystallflasche und schenkte das leere Glas voll Wein. – „Du dauerst mich,“ fuhr er dabei fort, „warst sonst ein anstelliger Kerl, den gute Leute gern sahen. Was soll nun aus Dir werden?“

Thorkel hatte sich Brod und Fleisch genommen, und war damit beschäftigt. „Ich bin’s noch, Herr,“ sagte er.

„Aber es glaubt’s Niemand mehr von Dir. Du giltst nun als ein leichtsinniger, sündhafter Bursche, der seinen Vater unter die Erde brachte.“ Hier hielt er inne, denn Thorkel’s Augen funkelten ihn an, als wäre Feuer darin. „Willst Du mir sagen, wozu Du das viele Geld gebraucht hast?“ fragte Schiemann.

„Nein, Herr. Es wäre eine lange Geschichte und hälfe doch zu nichts.“

Schiemann stand auf und blieb vor ihm stehen, indem er ihn betrachtete. „Du bist in schlechten Händen gewesen,“ sagte er, „ich will sehen, was ich thun kann; aber Du mußt erst beweisen, ob Du es verdienst.“ Er that nun eine Reihe Fragen an Thorkel über dessen Soldatenleben und kam endlich dabei auch auf den Lieutenant Erik Meldal, über den er ihn genau ausfragte und allerlei erfuhr, das ihm wohl zu behagen schien.

Der junge Officier war schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Garnison, sondern hatte Urlaub genommen und war fortgereist, wohin, wußte Thorkel nicht zu sagen. Aber nach Allem, was er erzählte und was ihm abgefragt wurde, hatte der Lieutenant locker gelebt und beträchtliche Schulden gemacht; auch brachte Schiemann heraus, daß Erik Melval darum gewußt, daß Thorkel seinem Vater das Geld abgepreßt, und zuletzt kam noch Etwas zum Vorschein. – Herr Schiemann fragte, ob der Lieutenant nicht auch Liebschaften angefangen, und Thorkel meinte, daran hätte es ihm wohl nicht gefehlt, denn er sei der schmuckste unter allen Officieren, und da sei ein alter reicher Proprietair gewesen, aus Moß am Christiansfjord, dessen Tochter hätte er bekommen können, wenn er so gewollt.

Herr Schiemann legte ihm seine Hand auf die Schulter und lachte. „So ist er am Ende wohl dem Proprietair und seiner Tochter nachgereist?“ sagte er.

„Es mag wohl so sein,“ versetzte Thorkel.

„Ja, ja,“ rief Schiemann und nickte ihm zu. „Das ist gewiß so, und höre, Thorkel – komm her und trink noch ein Glas. Dann geh in mein Magazin, und suche Dir da einen Anzug aus, wie er Dir paßt. Einen solchen hast Du nöthig, wenn die Leute Dich mit bessern Augen ansehen sollen. Ich werde ihn Dir auf Credit geben, Du siehst also, daß ich Dir beistehen will. Dann komm wieder zu mir, ich schreibe inzwischen einen Brief an den Pastor Bille, damit er Dir seinen Rath ertheilt und Dich in seinen Schutz nimmt. Jetzt geh’ und mach’ daß Du fertig wirst.“

Während er sprach, hatte er schon an einer Klingelschnure gezogen, und es erschien ein Buchhalter, dem er seine Befehle gab und welchem Thorkel nachfolgte. Jeder nordische Kaufmann hat ein Magazin voll Waaren der allerverschiedensten Art, Kleider und Geräthe; vom Hemdenknopf bis zum Pelzrock, und von der Nähnadel und dem Angelhaken bis zur Axt und zum Webestuhl. Es dauerte gar nicht lange, so war Thorkel in einen neuen Menschen verwandelt. In Knopfjacke und Glanzhut, mit einem breiten rothbraunen Tuch um den Hals, trat er wieder herein, und als er vor dem Herrn Schiemann stand, sagte dieser: „Jetzt wird Dich Mancher schon besser betrachten; benimmst Du Dich klug, so wird’s danach auch weiter gehen. Hier hast Du den Brief. Sage dem Herrn Jöns Bille Alles, was Dich bei ihm empfehlen kann. Auf den Kopf gefallen bist Du nicht, weißt selbst zu beurtheilen, was davon abhängt, daß er nicht denkt, Du hättest noch immer leichtsinnige Streiche im Kopfe, Soldatenkniffe und den liederlichen Erik Meldal. Daß er Schuld daran hat, wenn Du schlecht wurdest, ist gewiß. Hat er nicht darum gewußt, daß Du das Geld von Deinem Vater nahmst?“

„Gewußt hat er es,“ sagte Thorkel.

„So verhehle dem Pastor nichts, und dann komm morgen wieder zu mir. Benimmst Du Dich so, daß man Dir vertrauen kaun, so sollst Du Arbeit haben, und wegen der Stelle sprechen wir weiter. Jetzt geh.“

Thorkel setzte sich in den kleinen Nachen, den auf sein Bitten ein alter Bekannter ihm geliehen, und fuhr über den Fjord zurück. Es war ein ziemlich windiger Tag, das Wasser ging unruhig und hoch, aber er regierte den Nachen mit Kraft, als wollte er sein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_434.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)