Seite:Die Gartenlaube (1860) 447.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

befand sich mit dem Czaren bei der königlichen Familie im Schlosse zu Friedrichshafen. Auch Louis Napoleon kam von Arenenberg herüber. Der Czar ließ ihn sehr links liegen, Louis empfand dies tief, es that ihm sehr weh. Er ist, wie seine Freunde und Bewunderer selbst von ihm sagen, der Mann, der nichts vergißt und nichts vergibt. Er hat es dem Kaiser Nicolaus in der Krim heimgegeben, wie er es dem Papste jetzt heimgibt, daß derselbe ihm den Thronerben nicht selbst hat taufen wollen.

Wer erinnert sich nicht des Adlers, welcher den Neffen und Nachfolger des großen Napoleon bei seiner Landung von England symbolisch umkreiste? Britische Journale haben damals die dabei angewendete Manipulation der Fütterung umständlich besprochen. Durch diese Anekdote ist Persigny, während der Präsidentschaft Gesandter in Berlin, hauptsächlich bekannt geworden. Er erzog und richtete diesen Adler ab, im Verein mit einem Groom des Herrn von M., des österreichischen Ministers. Durch den Stallknecht kam der eigentliche Zusammenhang der ihrer Zeit vor Gericht verhandelten Geschichte auf, welche man in diplomatischen Kreisen genau kennt. Dieser Anfang charakterisirt das ganze System. – Das ist wie für das Hippodrome berechnet. Auch der seitherige Styl officieller und officiöser Blätter paßt dahin. Ich bin ihnen bei häufiger und längerer Anwesenheit in Frankreich bis zum Ueberdruß gefolgt. Oft dachte ich, der Kaiser müsse sich schwer ärgern, wenn er es läse. Seine Feinde könnten nicht Schlimmeres ersinnen, ihm „ridicule“ zu geben. Es wird zur vollständigen Ironie. Ich möchte solchen Schwulst zuweilen die tollste Kriecherei der Lyrik heißen. Z. B. die Patrie, aus Gelegenheit einer Rundreise [1] des Staatsoberhauptes. Um mit dem Kaiser zu reisen, erklärt u. A. das Blatt, müsse man „Luchsaugen, Hirschbeine und einen Straußenmagen“ haben, um diese „eben so lehrreichen als feenhaften Course“ mitzumachen.

Wie unter Septimius Severus der Senat decretirte, es müsse sich zu Rom in jedem Hause eine Kaiserbüste finden, so trifft man im heutigen Paris in jeder Localität, ich weiß nicht, ob auf höhern Befehl oder aus Schmeichelei, ein Conterfei von Louis Napoleon. Auf mich hat es den seltsamsten Eindruck gemacht, als ich das erste Mal, in eines der Schlachthäuser tretend, in der blutigen Halle, mitten unter dem todten Fleisch, an der Wand die Büste des jetzigen Kaisers gewahrte, pomphaft mit Trophäen umringt, mit Waffen und Fahnen geschmückt. Ist die Welt wahnsinnig geworden? fragte ich mich. Soll das Hohn sein? Die italienischen Schlachtfelder haben die gräuliche Allegorie, vor der mir ahnungsvoll schauerte, nur zu sehr gerechtfertigt. Es soll mich wundern, wenn er sich nicht bald selbst das Strahlendiadem aufsetzt, welches die solenne Vorstellung des Divus, des vom Senat consecrirten Cäsars, verlangt.

Betrachten wir die Rückseite der Medaille. Es würde sich nicht ziemen, wenn ich die Persönlichkeit nennen wollte, von der man in manchen Salons zu urtheilen sich vermißt: „Er sieht aus, wie ein ausgebalgter Raubvogel.“ – Etwas Verwandtes liegt in der ganz unbefangenen Bemerkung eines Deutschen, nachdem ihm gelungen war, was er längst neugierig gewünscht, einen gewissen Löwen des Tages von Angesicht zu Angesicht zu erblicken: „Er sieht interessant aus, aber er hat auf mich den Eindruck von einem Räuberhauptmann gemacht.“

Ich erinnere mich, als Kind in einem der königlichen Schlösser Bayerns, entweder in der Residenz selbst oder zu Schleißheim, ein für den ersten Napoleon prächtig ausgestattetes Schlafgemach gesehen zu haben, in welchem er eine Nacht zubrachte, und das der Castellan mit der Bemerkung zeigte, der Kaiser habe sich nicht getraut, sich hinter die rothsammetnen von Goldstickerei strotzenden Vorhänge zu legen, auf denen seine Chiffern, seine Kronen und Wappenbilder funkelten, sondern auf dem Sopha geschlafen, weil er fürchtete, in dem schweren Baldachin möchte ein Anschlag auf das Leben lauern, eine Höllenmaschine, weil er fürchtete, seine eignen Kronen möchten ihn selbst zerschmettern, seine eignen Wappen ihn selbst ersticken. Die Reminiscenz an diesen früheren Vorgang hat einer der jüngsten Zeit mir wieder angefrischt.

Das geschah durch den Besuch, den der neue Kaiser bei einem süddeutschen Hofe machte, der ihn im guten Vertrauen auf sein Friedenswort und seine nachbarliche Gesinnung gastlich empfing. Man feierte den Geburtstag des heimischen Monarchen. Es ist noch früh am Morgen, kaum daß sich ein paar Personen in dem noch ganz verödeten innern Schloßhof blicken lassen. Unter ihnen ein bedeutender Mann am Hofe, der nach dem Appartement seines Gebieters schreitet, um vielleicht der Erste zu sein, welcher seine Glückwünsche darbringen darf. Unwillkürlich fällt sein Auge im Wandern über den Kies auf die Fenster von Louis Napoleon, welche gerade auf diesen innern Schloßhof gehen, und für den man eine Gemächerreihe mit ebensoviel modernem Luxus als Geschmack einrichten ließ. Jetzt dröhnt plötzlich ein Donner, daß die Mauern beben, die Scheiben klirren. In dem Augenblicke fährt Louis Napoleon im Hemde an das Fenster – es ist dasjenige seines Schlafzimmers – und streckt den Kopf heraus. Alles ruhig und in gewohnter Ordnung befindend, zieht er sich sogleich wieder zurück, indem er den erwähnten Herrn gewahrt und ihn mit der Hand grüßt. Die Kanonenschläge wiederholen sich in regelmäßigen Zwischenräumen – die Salven, mit denen man herkömmlich früh am Morgen das Wiegenfest des Landesvaters begrüßt. Der Kaiser, mit jähem Schreck geweckt, mochte wohl ein Attentat, eine Explosion, eine abermalige Höllenmaschine fürchten. Die Situation hat etwas sehr Drastisches. Europa, das ist der Mann, vor dem Du zitterst! … Der Moment ist nicht bekannt geworden. Nur Wenige erfuhren ihn.

Wie vorsichtig der 2. December handelt und wie weit sein Arm reicht, nur ein Beispiel. Einer meiner britischen Freunde, einer der ernstesten, gediegensten Geister, geht in diesen letzten Jahren über den Canal, um für unbestimmte Zeit in Paris wissenschaftlichen Studien zu leben. Es verstreichen Monate und Monate, und seinem Scharfsinn fehlt es nicht an tiefen Einblicken in das Räderwerk der dortigen Maschine. Allmählich stößt er aber auf Hemmnisse aller Art in seinen Angelegenheiten. Es kann ihm nicht verborgen bleiben, daß man ihn beobachtet, bewacht, daß seine Correspondenz, in welcher er von seinen Entdeckungen, seinen Ansichten über das herrschende System kein Hehl machte, von fremden Augen gelesen wird. Um sich den Verfolgungen zu entziehen und hauptsächlich seine Papiere zu retten, eilt er vor Jahr und Tag in sein Vaterland zurück. Er hat die schlagendste Ueberzeugung, ja die Beweise gewonnen, daß Louis Napoleon Plane gegen Alt-England schmiedet, sogar einen Angriff, einen Ueberfall der unvertheidigten Küstenpunkte vorbereitet. Alle diese Wahrnehmungen und dringenden Winke hat die ausgezeichnete Feder dieses Freundes in einer Broschüre niedergelegt. Allein weder in London, noch sonst irgendwo in den vereinigten Königreichen findet der sonst geschätzte Schriftsteller einen Verleger dafür. Man hat sich ja dort noch nie mächtiger in beiden Hemisphären gefühlt, als just im Augenblick, und Palmerston macht im Parlament unwiderstehliche Witze!

Von der Politik ist der Weg nicht weit zu der Kaiserin Eugenie, seit dieselbe Staatsrath hält. Die Pariser, weil es ihre Eitelkeit verletzt, daß die Gefährtin von Louis Napoleon keine Prinzessin ist, haben nicht immer Sympathie für sie entwickelt. Der Augenschein lehrte es mir bei großen Paraden, z. B. am Napoleonsfeste im August. Anfangs, wenn der Wagen der Kaiserin von St. Cloud her gefahren kam durch die Champs Elysées, rührte sich keine Stimme. Als aber der Kaiser ansprengte und, wohlverstanden, zuerst den Hut abnahm, rief die Nationalgarde: „Vive l’empereur!“ Dreimal ritt er so um den von Nationalgarden besetzten Concordeplatz, den Hut in der Hand.

Dort in der südlichen Ecke des Vendômeplatzes liegt das Hôtel du Rhin, in welchem Louis Napoleon zuerst wieder abstieg, als er nach Paris zurückkehrte. Er hatte daselbst mit der Königin Hortense gewohnt, welche erkrankt war, als ihn Louis Philippe auswies. Eine meiner Freundinnen machte bei dieser Heimkunft ein Bonmot, das sich sibyllisch bewährte: „Er ist angekommen am Fuße der Säule, und wird bald auf die Spitze hinaufsteigen.“ – Durch eines jener seltsamen Zusammentreffen, denen man in den Geschicken begegnet, und in deren Fatalismus sich namentlich die Bonaparte’s gefallen, stößt das Haus, in welchem Mademoiselle de Montijo den ersten Winter mit ihrer Mutter zubrachte, an das Hôtel du Rhin. Auch sie war am Fuß der Säule angelangt, um bald sich auf deren Spitze zu schwingen.

Ich hörte über diese Verbindung und über den Ruf der Dame manche unparteiische Urtheile von gutunterrichteten Personen. Alle stimmten darin überein, daß sich über die junge Gräfin Montijo nichts sagen lasse. Graf W., der sie noch von der Zeit vor ihrer Vermählung kannte, ihr da und dort begegnete, auch in Bädern, und durch ritterliche Wahrheitstreue den größten Glauben verdient, äußerte: „Man konnte nicht glauben, daß eine Spanierin 26 Jahre alt werden sollte ohne Abenteuer. Daher die Verleumdungen, um so mehr, als diese Heirath den Stolz der Franzosen verletzt.“ – Ueber

  1. Nach Lille, September 1853.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_447.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)