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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Es verging eine Minute, dann begann Jungfrau Else wieder zu sprechen, aber ihre Stimme war schwach und wie von Furcht gebrochen. „Höre mich an, Thorkel,“ sagte sie, „willst Du mir antworten?“

„Gewiß will ich das,“ versetzte er.

„Und willst nur die reine Wahrheit sagen?“

„Darauf kannst Du Dich verlassen, Jungfrau.“

„Man hat mir mitgetheilt, daß Erik ein schlechtes, wüstes Leben führt – ich will nicht sagen, von wem ich es hörte, aber –“

„Ich kann’s denken,“ fiel Thorkel ein, „es gibt welche, die solche Sachen Dir gern erzählen.“

„Daß er seine Schulden leichtsinnig vermehrt, und daß er auch Dich verlockt hat, so daß Du das Geld von Deinem armen Vater fordern und ihm geben mußtest,“ fuhr Else fort.

„Ja,“ sagte Thorkel, „das Geld habe ich ihm gegeben.“

„Ist das wahr?!“ rief sie schmerzlich erschrocken.

„Wahr und gewiß,“ sagte Thorkel, „aber fürchte Dich nicht davor. Er hat mich nicht verlockt, ich gab es ihm, ohne daß er es forderte. Er wußte es nicht eher, daß ich an meinen Vater geschrieben, bis ich das Geld hatte.“

„Was hat er damit gemacht?“ fragte sie.

„Das ist seine Sache, nicht meine,“ antwortete Thorkel, „doch glaube Gutes von ihm, Jungfrau Else, er verdient es.“

„Sagst Du es!“ versetzte sie aufgeregt, „wie soll ich es glauben?“

„Weil es eine richtige Sache ist,“ erwiderte er mit fester Stimme.

„Und was ist richtig?“ fuhr Else fort. „Daß er – einem Mädchen nachgereist ist?“

Da fing Thorkel an zu lachen, ganz lustig und laut, als sei er davon besonders erfreut. „Höre an, Jungfrau Else,“ fuhr er dann heraus, „laß Dich davon nicht bange machen. Einem Mädchen ist er nach, aber heirathen wird er es nimmer, Du kannst es glauben. Das geschieht so wenig, wie der täppische Lümmel Clas mein lieb Sigrid heirathen wird, so wenig, wie König Olafs Hochzeitszug je von den hohen Romsdalsfjellen niedersteigt, und die Heidenpriester wieder lebendig werden, die er in Stein verwandelt hat, und die dort stehn bis in Ewigkeit. Und nun gib Dich zufrieden, Jungfrau Else, ich sage Dir, es ist Alles Lug und wird sich erweisen.“

„Erik ist nicht in Schande und Sünde?“ fragte sie mit neuem Glauben.

„Es ist kein Falsch an ihm, Du sollst es erfahren.“

„Er hofft zu uns zurückzukehren?“

„Das denkt er sicherlich.“

„Und denkt – denkt auch an mich?“

„Ja, ja!“ rief Thorkel, „es ist kein Tag vergangen, wo er nicht von Dir gesprochen hätte und alter Zeiten gedacht. Und was jetzt“ – er hielt inne und fuhr dann fort: „Warte nur noch kurze Zeit, Nachricht muß von ihm kommen, und was ich erfahre, sollst Du sogleich wissen. Du hast an mir einen guten Freund, Jungfrau Else, das glaube immer.“

„O, guter Thorkel, ich glaube es gern!“ sagte das Fräulein mit zitternder Stimme.

„Ja, ja!“ fuhr er fort, „es ist sowohl um Erik’s wegen, wie deinetwegen und um Sigrid, und weil es mir geht wie Dir und ihm. Aber Du mußt muthig sein. Laß Dich nicht beschwatzen von dem hohlbäckigen Kerl in Molde; mit all seinem Gelde ist er doch nichts werth.“

„Ach! lieber Thorkel,“ seufzte sie leise, „mein Vater!“

„Ei, so sprich mit ihm und sage. Du willst den reichen Schiemann nicht haben.“

„Bin ich nicht meines Vaters Kind?“ versetzte sie. „Kann Sigrid ihrem Vater ungehorsam sein, wenn er ihr befiehlt, zu gehorchen?“

Er schwieg und besann sich. „Das geht freilich nicht an,“ sprach er darauf, „obwohl es hart ist, aber Vaters Wille muß Recht bleiben. Nun, so mache es also, wie Sigrid, mache ein froh Gesicht: laß Dir nicht merken, wie es in Deinem Herzen steht, und suche es klug zu wenden.“

„Wie soll ich es wenden, lieber Thorkel?“ fragte sie betrübt.

„Höre,“ versetzte er. „Es ist ein altes richtiges Wort für jeden Menschen, der in Noth ist, daß, wer Zeit gewinnt, viel gewinnt, oft Alles. Wenn der Sturm unser Boot faßt, suchen wir es von den Klippen abzuhalten, in’s offene Wasser, unter Gottes Schirm. So thue Du es, und halt aus; wer weiß, wie bald sich Wind und Wetter ändern. Verschieb’s bis zum Herbst, sage: ich will’s bedenken! Ich meine, Sigrid wird’s auch so machen, wenn Clas ihr zu nahe kommt. Sei gutes Muthes, Jungfrau Else, wir wollen mit ihnen schon fertig werden.“

Ein Geräusch entstand am Pfarrhause. Die Hausthür wurde zugeschlagen. „Das ist mein Vater,“ flüsterte das Fräulein, „ich will ihm entgegen gehen, eile Du davon. Doch habe Dank, lieber Thorkel, und wenn Du mich sehen willst, wenn Du mir etwas zu sagen hast –“

„Dann sage ich es Sigrid und komme zu Dir hierher,“ fiel er ein.

„So geh – geh. Gott behüte Dich und behüt’ Sigrid!“

„Vor dem Schlingel dem Clas,“ lachte Thorkel hinter ihr her. „Ei ja, den soll der Seehund verschlingen, oder ich thu’s selbst.“

Mit einem Sprunge war er über das Gitter und verschwunden. Nachdem aber Alles still blieb, glitt Clas an dem Stamme nieder und ballte seine Faust hinter ihm her. „Warte, Du Schuft,“ sagte er, „Du sollst den Clas Gorud kennen lernen. Du und das nichtswürdige Vieh, ich zertret’ Euch Beide!“




5

Am nächsten Morgen befolgte Thorkel das Gebot des Herrn Schiemann. Er fuhr in seiner Jolle nach Molde hinüber, obwohl das Wetter noch schlechter war, als gestern, und eine schäumende Fluth durch den Canal von Otteröe in den Fjord drang. Da er an das Haus des Kaufmanns kam, saß Clas auf der Bank und mit ihm noch zwei andere Männer, handfeste Burschen, die in dem Speicher arbeiteten. Ihre Zwillichjacken hatten sie aufgestreift und ihre Lederschürzen, die ein breiter Schnallenriemen um den Leib befestigte, abgelegt. Als sie ihn kommen sahen, steckten sie die Köpfe zusammen und betrachteten ihn dann von oben bis unten. Thorkel ging vorüber und kehrte sich nicht daran, sagte guten Tag und blickte Clas an, der ihn ebenfalls anschaute und gleichgültig dankte, aber in seinen Augen lag nichts Gutes.

„Geh nur hinein,“ sagte er. „Herr Schiemann wartet auf Dich. Er hat längst nach Dir ausgeschaut.“

Thorkel besann sich einen Augenblick, steckte seine Hand in seine Tasche, als suche er dort etwas, ging aber dann weiter. Der Kaufmann saß an seinem Schreibspind und blickte nicht auf.

„Wer ist da?“ fragte er, während er weiter schrieb.

„Ich bin’s, Herr!“ antwortete Thorkel. „Gottes Gruß in Dein Haus.“

„O, Du also!“ sagte Schiemaun. „Was willst Du?“

„Du hast mich herbestellt, so bin ich gekommen.“

„Du warst also bei dem Pfarrer, hast meinen Brief bestellt?“

„Das that ich, Herr.“

„Und sagtest Jöns Bille die volle Wahrheit?“

„Ja, Herr.“

„Dankte er Dir nicht?“

„Das that er.“

„Er wollte Dich schützen vor Allen, die Dir schaden würden?“

„So sprach er, Herr.“

„Und gab er Dir nicht einen Auftrag?“

„Ein Auftrag war’s eben nicht, aber er hieß es gut, zu thun, was ich ihm vertraute.“

„Was war’s?“

„Nun, Herr, ich sollte der Jungfrau Else die Wahrheit sagen. Sollte getreulich antworten, was sie fragte.“

„Und das thatest Du?“

„Ja, Herr.“

„Hast ihr das schlechte Leben Erik Meldals geschildert?“

„Ich hab’s geschildert wie es ist.“

Herr Schiemann legte die Feder hin, las den Brief durch, den er geschrieben, und streute Sand darauf, dann drehte er sich um, und seine grauen scharfen Augen hefteten sich auf Thorkel.

„Gut,“ sagte er, „und jetzt kommst Du zu mir und willst Deinen Lohn haben?“

„Lohn nicht, Herr, doch fragen möcht’ ich, ob Du mir die Stelle nicht herausgeben willst. Du kannst Deine Bedingungen machen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_450.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)