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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ein Lachen flog über das harte Gesicht des Kaufmanns. „Nein,“ sagte er, „die Stelle bekömmst Du nicht, die habe ich Clas Gorud versprochen, aber Dein Lohn soll Dir nicht fehlen. Sieh, hier habe ich soeben Deinetwegen an den Voigt Hegborg geschrieben und Dich ihm dringend empfohlen; das will ich Dir vorlesen, damit Du siehst, daß ich dankbar bin.“ Er nahm dabei das Blatt auf und las laut:

„Mein lieber Freund Hegborg! Seit drei Tagen ist der Thorkel Ingolf wieder hier, auf den ich Dich aufmerksam mache, als auf einen Burschen, um dessen Versorgung ich Dich dringend bitte. Ich habe mich seiner annehmen, habe ihm Arbeit geben wollen und hatte beschlossen ihm beizustehen, wenn er es verdiente, ebenso hat dies der gute Herr Jöns Bille gethan. Er hat es aber vorgezogen, uns auf’s Schändlichste zu belügen und zu betrügen, und da er sich obdachlos umhertreibt, alle ehrliche Leute ihn von sich weisen, auch Niemand ihm Arbeit geben wird, ein solcher Vagabund aber nur der Gemeinde gefährlich werden kann, so schaffe uns Ruhe vor ihm und gib ihm Beschäftigung im Spinnhause.“

„So,“ sagte Herr Schiemann, „jetzt weißt Du, wie ich Dich empfohlen habe und was Dir bevorsteht.“

Thorkel hatte, ohne eine Miene zu verziehen, zugehört. Endlich fragte er gelassen: „Warum hast Du das gethan, Herr?“

„Du frecher Kerl fragst noch danach!“ schrie der reiche Kaufmann. „Willst Du es leugnen, daß Du mein und Herrn Jöns Bille’s Vertrauen auf’s Schändlichste gemißbraucht hast?“

„Du hast Dich selbst betrogen, Herr,“ sagte Thorkel. „Es hat Einer, wie ich merke, gehört, was ich am Abend in des Pfarrers Garten sprach, und das scheint Dir nicht zu gefallen. Aber Du fordertest mich auf, die Wahrheit zu sagen, der Pfarrer auch. Ich habe richtig gethan, was ihr Beide begehrtet; was scheltet ihr mich? Wolltet ihr Einen haben, der Euch zur Liebe lügen und verleumden sollte, dann seid ihr an den Unrechten gekommen.“

„Du Lump Du!“ sagte Herr Schiemann wüthend und ballte die Faust. „Aus meinem Hause mit Dir! Doch erst warte noch.“ Er riß an der Klingel, und durch die eine Thür traten Clas und die beiden Arbeiter herein, durch die andere Thür der Buchhalter.

„Nehmt dem Kerl das Zeug vom Leibe!“ schrie ihnen Schiemann zu. „Alles, was er trägt, ist mein Eigenthum; dann werft ihn hinaus auf die Straße, zu Spott und Schande!“

„Herr,“ sagte Thorkel, „Du thust als gäbe es keine Gesetze in Norwegen, als könntest Du mit mir verfahren, wie es Dir beliebt. Du belügst den Voigt. Niemand hat noch von mir Leid oder Schaden erfahren; Deine Falschheit wird an den Tag kommen.“

„Mach keine Umstände, Junge!“ rief Clas und packte ihn beim Kragen. „Faßt ihn an und hinaus mit ihm!“

Mit einer blitzschnellen Wendung drehte sich Thorkel um, und ehe die beiden Arbeiter zuspringen konnten, bekam Clas einen Schlag an den Kopf, daß er gegen die Thür flog. In demselben Augenblick war Thorkels Hand auch in seiner Tasche, und ein breites scharfes Messer, wie Bauern und Fischer es in einer Lederscheide tragen, blitzte den Männern entgegen, die es nicht wagten, näher zu kommen.

„Wahrt euer Leben,“ sagte Thorkel, „ich rathe es euch. Du aber. Du schlechter Mann, wisse, daß Deine Falschheit Dir nichts helfen soll, Du wirst daran zu Schanden werden. Was ich an Kleidern trage, habe ich von Dir gekauft, auf Deinen Rath, und da wir es zusammenrechneten, betrüg meine Schuld acht Thaler. Ich kam Dir diese zu bringen, denn ich mag nicht in Deinem Schuldbuche stehen. Hier ist Dein Geld, und jetzt macht Platz, ihr dort, und schämt euch Alle eurer schlechten Handlungen wegen.“

Er legte acht Thaler auf den Tisch, die Herr Schiemann mit Verwunderung ansah. Nicht acht Groschen hatte er bei dem Burschen vermuthet und er wollte schon fragen, wo dieser das Geld gestohlen habe, aber Thorkel sah nicht aus, als ob er sich noch mehr gefallen ließe. Er hielt das Messer noch immer fest, und seine Augen hatten einen röthlichen Glanz, sie flogen wie Falkenaugen umher. Den starken Clas hatte er mit dem einen Schlag von sich geworfen, daß er noch immer wie betäubt stand; einem solchen verwegenen Kerl war leicht noch Schlimmeres zuzutrauen. Herr Schiemann schwieg daher, obwohl er voller Aerger war, denn Thorkel halte die Rache, die er ihm zugedacht, vereitelt. Nackt und bloß sollte er aus dem Hause gejagt und dabei ordentlich durchgewalkt werden. Die beiden Arbeiter hielten dazu schon die Schnallenriemen ihrer Lederschürzen bereit; jetzt ging der freche Kerl davon, ohne daß ihm ein Finger weh that. Es konnte ihn Niemand halten.

„Hinaus mit Dir!“ rief daher der reiche Kaufmann, „Du sollst bald finden, was Du verdienst von Voigt und Gericht.“

„Ich fürchte mich nicht vor Dir,“ antwortete Thorkel lachend. „Du wirst es schon lassen, mich anzuklagen, denn Du hast ohne alles Recht mich angegriffen, und Deine schlechten Handlungen würden an den Tag kommen. Sei also froh, wenn ich schweige, und nimm Dich wohl in Acht vor den Steinen, die auf Deinem Wege liegen.“

Damit ging er stolz auftretend hinaus, und Niemand rührte sich, um ihn anzutasten; als er aber fort war, schleuderte Herr Schiemann den Brief an den Voigt in eine Ecke des Schreibtisches, denn er dachte nicht mehr daran ihn abzuschicken, hatte auch überhaupt wohl nur Thorkel damit schrecken und einschüchtern wollen. Verdrießlich zog er die Stirn zusammen und schwieg eine Minute lang; darauf sagte er zu den Arbeitern: „Ihr mögt gehen, doch sagt es allen Anderen, daß keiner sich untersteht, mit diesem Vagabund Gemeinschaft zu halten. Arbeit soll er in Molde nicht finden, dafür werde ich sorgen, und jeder Mann am Fjord, der sich mit ihm einläßt, soll keinen Fisch hier verkaufen, so wahr ich Schiemann heiße!“

Das war ein schweres Wort von dem Heren und hatte Gewicht. Die Kaufleute hielten zusammen in allen Dingen, daher besaßen sie große Macht und Gewalt. Wo ein Fischer widerspenstig war, die Preise nicht annehmen wollte, die einer der Herren ihm bot, oder sich grob und aufsässig zeigte, nahm ihm keiner mehr seine Waare ab, auch wenn er sie halb so billig lassen wollte. Das ist so üblich an diesen Küsten, darum sind die Fischer ganz in den Händen der Kaufleute, und diese Acht war nun über Thorkel ausgesprochen, der eilen mochte, daß er wo anders hinging, um sein Leben zu fristen.

Die Arbeiter gingen erschrocken fort, Clas jedoch blieb noch stehen, und zu ihm wandte sich Herr Schiemann, halb ärgerlich, halb hämisch, indem er ihn von der Seite ansah. „Er hat Dir wohl den Kopf eingeschlagen, Clas,“ fragte er, „daß er Dir so wackelt?“

„Beinahe,“ sagte Clas, die eine Kopfseite haltend, „aber noch nicht.“

„Warum wehrtest Du Dich nicht besser?“

„Ein ander Mal soll’s geschehen. Ich versah’s mir nicht,“ murmelte Clas grimmig.

„Die Stelle bekommst Du,“ sagte Schiemann, „aber ich schenke Dir ein sechsrudrig neues Boot obenein, wenn Du es dem Hallunken für immer eintränkst.“

„Es wird sich schon finden, wo ich es kann,“ versetzte Clas und verzerrte sein Gesicht.

„So thu’s,“ antwortete Schiemann. „Bring ihn fort von hier auf irgend eine Weise, sonst macht er uns noch mehr Aerger und Scham. Er soll nicht wieder in des Pfarrers Garten, laure ihm auf und vertreibe es ihm. Geschieht es nicht, so wird er Dir auch die Sigrid stehlen.“

„Bei Gott,“ sagte Clas und ballte seine Fäuste, „er soll nicht weit mehr kommen. Der Schlag an meinem Kopf soll ihm vergolten werden, mag’s Blut und Leben kosten.“

„Schweig still, Du Narr!“ sagte Herr Schiemann und lachte dabei, „solche Worte muß man nicht aussprechen. Es ist an dem schlechten Buben wahrlich nichts gelegen, und Niemand würde sich viel um ihn kümmern, aber wenn ihm etwas zustieße, könnte man meinen, Du seist Schuld daran. Geh und mache Dir einen Umschlag, Deine Backe schwillt an; heil’s aber auch von innen mit einem vollen Glase auf meine Kosten.“

So ging Clas und er hatte sich Alles, was Herr Schiemann gesagt, gut gemerkt, denn als er darauf mit seinen Cameraden beisammen saß, schimpfte und fluchte er nicht über Thorkel, sondern sprach von ihm weit mehr mit Bedauern über die Bosheit, mit welcher er alle Güte des Herrn Schiemann vergolten und so ihm selbst, der es gut mit ihm gemeint, dafür aber geschlagen worden sei. Das aber möchte vergeben und vergessen bleiben alle Zeit. Als es zu dunkeln begann, begab sich Clas nach Hause und hielt dort mit seiner Mutter Rath, die soeben von Gullik Hansen gekommen war. Sie sagte ihm mancherlei gute Nachrichten, welche Clas mit Wohlgefallen anhörte. „Gut, Mutter, gut!“ sprach er endlich, „es soll Alles so geschehen, wie Gullik es anordnet, gleich will ich zu ihm hin und es ausführen. Ehe der Morgen kommt, bin ich wieder da.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_451.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)