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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Er stülpte seinen Hut auf, und Grete streichelte ihn und sagte kichernd: „Alles ist Dein, Clas, Alles was Gullik hat. Denn der Junge wird nicht groß, der muß sterben, und wie Sigrid ist keine Andere weit umher. Mach’s also klug; wenn Du sie hast, soll sie schon gehorchen.“

„Das soll sie, Mutter,“ antwortete Clas, „ich will ihr die falschen Gedanken austreiben. Jetzt geh ich hin, mit dem einen Racker fertig zu werden, die anderen sollen ihm nachfolgen.“

„Mach’s klug, Clas, mach’s klug!“ schrie die weise Grete ihm nach, „thue Alles was er Dir sagt!“

Clas lachte wild auf, ging hinaus und kam nach einer Weile zu Gullik Hansen in die Stube. Der Fischer saß wiederum an seinem Heerd und sah noch finsterer aus als am Tage zuvor. Clas wußte schon warum. Der Fang war wiederum schlecht gewesen, und in der Kammer lag das Kind, kränker noch als er es verlassen.

„Guten Abend, Gullik,“ sagte Clas.

Gullik öffnete kaum die Lippen, sah in’s Feuer.

„Wo ist Sigrid?“ fragte Clas.

Gullik deutete auf die Kammerthür.

„Nun! nun!“ sprach Clas leise, „es thut mir weh. Du hast den Teufel im Hause, der muß fort.“

„Komm heraus,“ sagte Gullik und stand auf.

Sie standen Beide unter dem Vorbau. Der Wind trieb die Wolken von Westen her, auf dem Fjord lag Nebel, dann und wann blitzte ein flimmernd Leuchten über den Himmel.

„Willst Du es thun?“ fragte Gullik.

„Ja, gerne,“ antwortete Clas. „Alles was Du sagst.“

Der Fischer schwieg eine Weile, sah über das Wasser hinaus ostwärts hin und fuhr dann fort: „Du kannst in drei Stunden in den Langfjord sein, kannst auch ein Segel brauchen; der Nebel wird weichen, dann kommt der Mond.“

„Ich richt’s getreulich aus,“ sagte Clas, „Du weißt, ich kenne jeden Stein. Wo ist der Teufelshund?“

„Ich habe ihn in einen Sack gesteckt,“ murmelte Gullik „zugebunden und in die Jolle gelegt.“

„So leb wohl,“ sprach Clas, „ich will ihn versorgen.“

Der Fischer hielt ihn bei der Hand fest. „Höre, Clas,“ begann er, „Anders hat das Thier lieb, Sigrid auch, Uebles soll ihm nicht geschehen. Du sollst mir geloben, dem Hund nichts zu Leide zu thun, sollst ihn in’s Wasser werfen unter den hohen Felsen von Roe, von dort hat ihn“ – er sprach den Namen nicht aus, der ihm auf die Lippen kam – „von dort ist er hergekommen,“ verbesserte er sich.

„Ich gelob’s sicherlich; bring ihn lebend und gesund bei Roe in’s Wasser,“ sagte Clas.

„So fahr mit Gott!“ sprach Gullik, ließ ihn los und ging in’s Haus zurück.

Clas ging hinunter, wo an den Steinen die Jolle des Fischers lag. Die Ruder in den Bändern, ein leichtes Segel über dem Stern, unter der Stange aber ein Sack, aus welchem ein grimmiges Geknurr kam, als er seine Hand darauf legte. „Wart, du sollst schon ruhig werden,“ murmelte Clas, und im nächsten Augenblick schwamm die Jolle unter dem Ufer hin. Er warf sich auf die Ducht, faßte die beiden Riemen und arbeitete mit Kraft und Geschick. Die Fluth drang eben in den Fjord und half ihm, das leichte scharfe Boot schoß pfeilschnell unter Kirche und Pfarrhans fort, quer über den Torsfjord, dann über die tiefe Bucht des Romsdalsfjord, gerade auf den Langfjord los. Die dichten Nebelschichten auf dem Wasser hielten den starken Ruderer nicht auf, er sah sich kaum einmal um nach den Felsen und Klippen, die an manchen Stellen aus der Tiefe auftauchten und mit ihren schwarzen Massen die Finsterniß vermehrten. Clas leitete sein kleines Fahrzeug mit festen Schlägen an mancher Kante vorbei, wo die Fluthwelle aufschlug und mit weißem Gischt hoch aufspritzte. Er ermüdete nicht, und seine Kraft ließ nicht nach. Daher trieb schon, noch ehe die dritte Stunde um war, die Jolle in den schmalen Wasserspalt, der Langfjord genannt, dessen hohe Uferwände dann immer mehr aufstiegen und die dunkelste Nacht umher verbreiteten. Hier lag der Nebel so fest und schwer, daß vom Himmel gar nichts zu sehen war. Wehte schon draußen kaum dann und wann ein Windhauch, so ließ sich hier gar nichts davon spüren, aber das phosphorische Zucken, das zuweilen wie Blitzgezitter durch das Dunkel drang und bald nach dieser, bald nach jener Seite hin über das Boot forthuschte, wurde ab und zu heller und beleuchtete auf Augenblicke ein paar Schritte weit den Nebel und das Wasser. Wenn Clas hinauf sah, war es, als schwebe ein riesiges Gespenst, ein fahles Licht in seiner nassen Riesenhand, über dem Fahrzeug und folge ihm nach. Dann und wann hielt er die Ruder an, blickte nach dem Geflacker und horchte in den Nebel hinein. Es kam ihm vor, als sei nicht weit von ihm ein Geräusch entstanden, aber er konnte doch nichts sehen, auch nichts hören. Er legte sich hart in die Riemen und holte so fest aus, daß sie sich bogen und die Jolle schäumend durch das Wasser schnitt.

Es that es ihm Keiner darin gleich; wer hinter ihm war, mußte zurückbleiben. Doch nach einer halben Stunde war’s wieder so, als ob ein Ruderschlag vor ihm her geschah. Er sah sich um, da blieb es still. „Es wird ein Lachs sein, der aufspringt,“ sagte Clas, „weiter ist es nichts. Allem Trollenspuk hier umher hat der heilige Olaf ein Ende gemacht. Der hat all das wüste Hexenvolk in die Klüfte der Romsdalsfjellen gestürzt und zu Stein verwandelt. Ich bin nicht so dumm, mich davor zu fürchten,“ lachte er auf, „nicht so dumm, wie Gullik Hansen.“ – Er schwieg still, es rauschte in dem dichten Nebel zur Seite. In der Ferne klang’s, als schlüge eine Kirchenuhr; es mußte Mitternacht sein, und wie er horchte, fuhr plötzlich ein scharfer Windstrom durch die schmale Felsengasse. „Heida!“ rief er, „der Wind setzt um. Da drüben liegt Besdals Kirche, hier fangen die hohen Klippen von Roe an, jetzt will ich nicht weiter. Komm her, du Satansvieh, wir haben ein Wort zusammen zu sprechen. Lebendig bist du, gesund bist du auch, ich hab’s an Gullik so gelobt und getreu gehalten. Habe ihm zugesagt, dich hier in’s Wasser zu werfen, aber nicht versprochen, dich aus dem Sack zu thun. Mußt also zusehen, wie es sich da drinnen leben läßt, ob die Fische zu dir hinein kommen oder du zu ihnen hinaus, wenn der Neck dir hilft oder –“

„Ich!“ sprach eine Stimme im Nebel neben dem Boote, und Clas fiel beinahe zu Boden. Er hatte die Schalten eingezogen und stand neben dem Sack am Stern, als ein harter Stoß die Jolle erschütterte. In dem Augenblick flammte ein helles Leuchten auf, und Clas sah dicht an seinem Bord eine andere Jolle, und vorn in der Spitze, keinen Fuß weit von ihm, stand Thorkel. Er sah ihn genau stehen, erkannte jeden Zug in seinem Gesicht, sah, daß er im Begriff war, hinüber zu springen. Da raffte sich Clas auf, und sein Arm fuhr durch die wiedergekehrte Finsterniß. Ein schwerer Körper schlug rückwärts über ins Wasser und versank darin, der Sack mit dem Hund flog hinter ihm her.

„Jetzt freßt Euch Beide!“ schrie Clas, sprang an die Sitzbank und griff nach einem seiner Schalten. Mit beiden Händen das schwere Holz schwingend, suchten seine Augen den Punkt, wo Thorkel auftauchen sollte, und dort rauschte es im Wasser, ein gurgelnder Ton, wie ein erstickter Schrei, drang heraus. Mit furchtbarer Gewalt sauste das Ruder nieder, darauf kein Laut mehr. Der Nordlichtschein huschte über die Fläche hin, nichts als Blasen waren zu sehen und ein langer schaumiger Streifen. Noch stand Clas in grimmiger Siegesfreude, erbarmungslos lauernd; da öffnete sich der Himmel über ihm, und wie von einer blutigen Sonne beleuchtet, lagen Wasser und Nebel in Blut verwandelt. Es dauerte nur einen Augenblick, aber ein Grausen überkam den grimmigen Mann. Die Jolle, von welcher er Thorkel herabgestürzt, lag noch dicht neben ihm; er ergriff sie bei der Kette, hakte sie an sein eigen Boot, und dann ruderte er mit aller Macht, daß er in wenigen Minuten weit von dem Schauplatz seiner That sich befand.

Das Nordlicht aber schlug immer wieder seine rothen Augen auf, leuchtete ihn an und zeigte ihm zu beiden Seiten des Fjord die glatten steilen Felsenwände, welche unersteigbar in das düstere Becken sanken. Kein Mensch konnte sich hier vom Tode retten, er konnte sich nicht anklammern, nicht halten, nicht aufsteigen. Da war kein Busch, kein Strauch; nichts als lange Seetanghalme, die auf- und niederwogten; viele Faden tief kein Grund. Wie Clas das dachte, und daß auf eine Meile weit kein Platz sei für eines Menschen Fuß, ruderte er mit größerer Macht; doch immer wieder huschte das blutige Licht über ihn hin, und in der Dunkelheit rauschte es und begann zu winseln. Es war ihm, als höre er ein Geschrei, Thorkel’s Stimme, die ihm nachrufe: „Halt, Du Mörder, halt!“

Er sprang auf, riß die Kette der Jolle von der Ducht los, wo er sie festgemacht, und fuhr dann eilig weiter. „Der Teufel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_452.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)