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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

zugenommen haben, während die Protuberanzen an dem östlichen Rande in demselben Zeitraum an Größe abnahmen. Hiernach scheint der Mond bei seiner Bewegung von West nach Ost über die Sonnenscheibe die östlich von ihm gelegenen Theile der dritten Sonnenatmosphäre immer mehr und mehr zu bedecken, dagegen die westlich gelegenen frei und sichtbar zu lassen. Ja, man hat sogar 1842 und 1858 die westlichen Protuberanzen noch einige Secunden nach dem Wiedererscheinen der Sonne gesehen, sodaß man sie keineswegs als eine bloße Spiegelung ansehen kann, wie einige Astronomen allerdings wollten. Auch haben alle Beobachter an verschiedenen Orten dieselben Protuberanzen in derselben Gestalt und an denselben physischen (nicht scheinbaren) Punkten der Sonnenscheibe gesehen. Hiernach kann man diese Erscheinungen wohl kaum noch für Mondberge oder für Spiegelungen und Beugungen des Sonnenlichtes halten, sondern nur für hellerleuchtete Wolken der dritten Atmosphäre der Sonne. Die Entscheidung hierüber wird in wenigen Tagen, am 18. Juli in Spanien, stattfinden.

Aber noch eine andere für die Kenntniß unseres Planetensystemes wichtige Streitfrage wird an diesem Tage entschieden werden, nämlich die über die Existenz eines oder mehrerer kleiner Planeten ganz in der Nähe der Sonne, die man nach des berühmten französischen Astonomen Leverrier Angaben als kleine helle Punkte dicht neben der total verfinsterten Sonne auffinden könnte. Im vorigen Jahre hat bekanntlich Leverrier, gestützt auf seine Untersuchungen der Bewegung des Mercur und der bisher noch nicht völlig erklärten Störungen desselben, die Vermuthung ausgesprochen, daß zwischen Mercur und der Sonne noch eine Anzahl kleiner Planeten rotiren, deren Zusammenwirken die Störungen des Mercur in seiner Bahn sehr gut erkläre. Bald darauf erhielt er vielfache Berichte über vermeintliche Entdeckungen dieser kleinen Planeten, denen allen er keinen Glauben schenkte, bis auf den eines Landarztes Lescarbault in Orgères (Departement Eure et Loire), wonach derselbe am 26. März 1859 auf der Sonnenscheibe einen kleinen schwarzen Körper entdeckt haben wollte, der sich durch sein schnelles Fortrücken von den gewöhnlichen Sonnenflecken merklich unterschied und nach Lescarbault’s Berechnung eine Umlaufszeit von nur 19 Tagen 17 Stunden haben soll. Leverrier überzeugte sich zunächst durch eigene Anschauung der Lescarbault’schen Instrumente und Beobachtungsmethode von der Richtigkeit der Entdeckung und forderte demgemäß allen Ernstes die Astronomen auf, bei der diesmaligen totalen Sonnenfinsterniß in Spanien nach diesen sonnennächsten Planeten zu forschen. Bei eintretender totaler Verfinsterung der Sonne kann man mit bloßem Auge nur die hellen Planeten und Sterne sehen, weil man bis zum letzten Sonnenblicke noch von dem strahlenden Sonnenlichte geblendet ist. Deshalb schlug Leverrier vor, daß sich ein Beobachter bis zum Eintritt der totalen Finsterniß in einem dunkeln Zimmer aufhalten solle, damit er noch Sterne von minder hellem Lichtglanze zu erblicken vermöge, und alsdann mit einem Planetensucher alle Gegenden des Himmels in unmittelbarer Nähe der Corona durchforsche und jedes aufleuchtende Pünktchen aufzeichne.

Eman. Liais, Director der brasilianischen Küstenvermessung, schreibt dagegen, er habe nicht nur an demselben 26. März 1859 die Sonne sorgfältig beobachtet und keinen solchen Fleck, wie Herr Lescarbault, gefunden, sondern weist auch verschiedene große Widersprüche zwischen der vermeintlichen Beobachtung Lescarbault’s und den von Leverrier daraus gezogenen Resultaten nach; ferner legt er aus optischen Gründen dar, daß gerade ein sonnennaher Planet besser dicht bei der Sonne durch Fernröhre wahrgenommen werden könne, als ein sonnenferner, namentlich bald nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang; aber seinen aufmerksamen Nachforschungen sei es bei diesen Beobachtungen bei Gelegenheit der totalen Sonnenfinsterniß vom 7. September 1858 nicht geglückt, in unmittelbarer Nähe der Sonne irgend eine Spur von einem der fraglichen kleinen Planeten zu entdecken.

Hiermit scheint die vermeintliche Entdeckung kleiner Planeten zwischen Mercur und Sonne sich in Nichts aufzulösen, wenn nicht, was höchst unwahrscheinlich ist, die diesmalige totale Sonnenfinsterniß in Spanien Gelegenheit zur wirklichen Entdeckung eines oder des anderen planetarischen Körpers bei der Sonne geben sollte. – Schließlich will ich noch erwähnen, daß für irgend eine einzelne Gegend totale Sonnenfinsternisse sehr selten sind; Paris hat z. B. von 1771 bis 1900 59 sichtbare Sonnenfinsternisse, darunter aber keine einzige totale, und für Berlin ist am 19. August 1887 die einzige totale Sonnenfinsterniß des 18. und 19. Jahrhunderts. Merkwürdig ist noch eine Sonnenfinsterniß im künftigen Jahre, 1861 am 31. December, dadurch, daß fast ganz Europa am letzten Tage des Jahres die Sonne verfinstert untergehen sieht, indem bei dem Ende der Finsterniß die Sonne schon unter unserm Horizonte ist. Total ist diese Finsterniß für Afrika vom Senegal bis Tripolis und für Europa auf der Südspitze von Morea und in Arkadien.




Kriegs-Erinnerungen.
Aus dem Tagebuche eines deutschen Officiers der Fremdenlegion in Algier.
1. Eine Aufhebung.

Die Provinz Oran, die westlichste der drei algierischen Provinzen, ist in militairischer und administrativer Beziehung in fünf Districte (Subdivisionen) eingetheilt, von denen die Subdivision Sidi-bel-Abbès die an Umfang bedeutendste ist. An ihrer südlichsten Grenze, unmittelbar am Anfang der sich hier am weitesten nach Norden zu ausdehnenden großen Sahara, liegt Deya, ein befestigter Punkt, bestehend aus einem starken Fort, welches Casernen, Munitions- und Lebensmittel-Magazine einschließt, und einigen Dutzend europäischer Wohnungen, die außerhalb der Mauern des Forts um die Anhöhe gruppirt liegen. Deya befindet sich in schlechter Nachbarschaft: die wildesten und den Franzosen feindlichsten Stämme der Provinz Oran hausen in seinen Umgebungen und machen eine fortwährend starke und äußerst wachsame Garnison daselbst nörhig.

Es war im Monat Jannar 1858, als das erste Bataillon des zweiten Regiments der Fremdenlegion, zu welchem meine Compagnie gehörte, in das Fort Deya einrückte. Drei Tage zuvor hatten wir Sidi-bel-Abbès verlassen, in Folge einer Ordre des commandirenden Generals der Provinz, um die im Fort liegende Garnison zu verstärken. Die dringenden Vorstellungen der arabischen Bureaux, sowie die Rapporte verschiedener der französischen Regierung sehr ergebener Chefs hatten diese militairische Maßregel bewirkt, indem sie bewiesen, daß sich untrügliche Anzeichen einer bald zum Ausbruch kommenden Empörung verschiedener in den Anfängen der Sahara campirender Stämme gezeigt hatten. Derartige Revolten sind in Algerien nichts Seltenes. Obgleich der entschieden größte und einflußreichste Theil der Eingeborenen immer mehr die wohlthuenden Folgen einer civilisirten Regierung erkennt und demzufolge treu an dem bestehenden Gouvernement hält, so tauchen doch noch von Zeit zu Zeit hie und da Unzufriedene auf, welche das frühere Kopfabschlagungs-System der Dey’s der wirklich milden und wohlwollenden französischen Herrschaft vorziehen. Diese Aufwiegler sind in der Regel aus der Kaste der Scheriff’s, d. h. in directer Linie Nachkommen Mohammed’s, deren religiöser Fanatismus durch den Anblick der christlichen Kirchen gereizt wird, oder welche aus bloßem Ehrgeiz, nicht selten auch aus Habsucht, sich an die Spitze einer stets fruchtlosen Bewegung stellen.

Ein solcher Fanatiker war unter Andern auch Ben-Djorra. Sein Renommée als ergrimmter Feind und Widersacher jeder nicht mohammedanischen Herrschaft stand fest, er war den französischen Behörden bekannt und signalisirt; allein man konnte seiner, der eifrigsten Bemühungen ungeachtet, nicht habhaft werden, da er sich abwechselnd nur in den Stämmen aufhielt, welche er als seinen Principien zugethan kannte und unter denen er Verrath nicht zu fürchten hatte. Sein Aufenthalt in der Nähe von Deya war in den letzten Tagen des Januar dem arabischen Bureau daselbst bekannt geworden, und auf dessen Vorstellung hatte der General beschlossen, Alles aufzubieten, um für diesmal den verwegenen und listigen Aufrührer aufzuheben und damit für immer unschädlich zu machen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_457.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)