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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Eingedrungenen blieb unverwundet. Ein Sergeant der reitenden Jäger stürzte, durch die Brust geschossen, lautlos nieder. Unserm Commandeur verwundete eine Kugel die linke Schulter, und noch zwei andere Officiere hatten ebenfalls mehr oder minder erhebliche Verwundungen erhalten. Im Nu füllte sich die Hütte mit unsern Soldaten, und ehe noch die Gegner Zeit hatten, auf’s Neue ihre Flinten zu laden, waren sie entweder niedergestoßen oder geknebelt.

Ben-Djorra stand allein; mit gekreuzten Armen und verächtlichem Blick sah er auf seine Feinde. Abdallah ging auf ihn zu und forderte ihn auf, sich zu übergeben und seine Waffen von sich zu werfen. Einen vernichtenden Blick warf er auf den Aga. „Verräther!“ war die einzige Antwort, welche er ihm zurückgab. Dann, schnell wie der Blitz, und noch bevor irgend Jemand seine Absicht ahnen oder deren Ausführung hindern konnte, riß er seinen breiten Yatagan aus der Scheide und stieß ihn dem Aga tief in die Brust. Darauf, mit sichtbarer Genugthuung einen Schritt gegen den Oberstlieutenant thuend, warf er seine blutige Waffe zu Boden und sagte, ihm seine beiden Hände entgegenhaltend:

„Jetzt kannst Du mich binden; gegen die Uebermacht ist kein Kampf. Es war Allah’s Wille!“

„Du weißt, Ben-Djorra,“ erwiderte ihm der Commandeur, „daß jetzt Dein Leben verwirkt ist; ohne diesen Mord hättest Du es Dir, aller Deiner Vergehungen ungeachtet, erhalten.“

„Ich weiß,“ sagte er, „Allah will es, Allah ist groß, sein Name sei gelobt!“

Es wurden ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und er einem besondern Detachement Cavallerie übergeben, das ihn auf ein Pferd festband und in seine Mitte nahm. Die übrigen Gefangenen, sämmtlich solide gefesselt, wurden zwischen Infanterie und Cavallerie-Bedeckung placirt. Abdallah war nicht todt, die beiden die Expedition begleitenden Wundärzte erklärten, daß sein Zustand allerdings gefährlich, indeß nicht hoffnungslos sei. Da an einen Transport des Aga nicht zu denken war, so ließ der Oberstlieutenant 200 Mann unter dem Commando eines Capitains zu seiner Bedeckung zurück, einer der Aerzte blieb ebenfalls bei ihm, und die Colonne selbst trat ihren Rückweg nach Deya an, wo wir um 10 Uhr Morgens eintrafen. Hier wurden sofort alle nöthigen Anstalten getroffen, um dem verwundeten Aga und seinem Arzte es an nichts fehlen zu lassen. Ein Detachement vom Train brachte noch am nämlichen Tage Medicamente, Lebensmittel und Haus- und Lager-Utensilien in die große Hütte der Oasis El-Haddin.

Die glückliche Gefangennehmung Ben-Djorra’s war sogleich durch den optischen Telegraphen nach Oran in’s Hauptquartier berichtet worden, und es langte in Folge dessen von dort der Befehl an, denselben unter starker Bedeckung und in möglichster Schnelligkeit dahin zu schicken. Am nächsten Morgen schon verließ Ben-Djorra, von zwei Schwadronen Cavallerie escortirt, Deya, um zunächst nach Sidi-bel-Abbès und von da zu Wagen nach Oran transportirt zu werden. Sidi-Soliman-ben-Abdallah genas langsam. Vierzehn Tage nach obigem Vorfall hatte der Arzt ihn außer Gefahr erklärt, und er konnte in seine Wohnung transportirt und der Pflege seiner Frauen übergeben werden. Zu Anfang des Sommers war er vollständig hergestellt und konnte sich nach Oran begeben, um den bis zu seiner Genesung ausgesetzten Verhören Ben-Djorra’s beizuwohnen. Dieser – bis dahin verschlossen wie das Grab und keine Kenntniß habend, daß der Aga gerettet sei – gerieth bei dessen unerwartetem Anblick in einen Anfall wahnsinniger Wuth und konnte nur mit Mühe durch seine Wachen abgehalten werden, sich von Neuem auf seinen Feind zu stürzen. Das Kriegsgericht verurtheilte Ben-Djorra zum Tode, und dieses Urtheil wurde durch Erschießen in der Nähe von Oran vollzogen, obgleich Abdallah sich alle Mühe gegeben hatte, seine Begnadigung zu erwirken.

Nach dem Tode dieses Fanatikers hörten die meuterischen Bewegungen unter den Wüstenstämmen der Provinz Oran auf, die Contributionen gingen ohne Rückhalt ein und die nach Dcya gezogenen Verstärkungen kehrten in ihre Standquartiere zurück.

Theodor Küster.




Menageriebilder.

Nr. 2.

In Herrn Jamrach, dem Besitzer einer Menagerie in London, der aber zugleich auch mit den Bestien handelte, lernte ich, wie es schon halb und halb sein Name ahnen ließ, einen biedern Deutschen kennen, und zwar einen Mann von so herkulischen Dimensionen, daß freilich jeder vorsichtige Löwe oder Tiger eine thätliche Erörterung mit ihm abgelehnt haben würde, besonders wenn er seine Beweisgründe noch mit einer Brechstange unterstützte, die überhaupt, wie ich später erfuhr, das entscheidende argumentum ad bestias in der Abrichtung seiner Eleven bildet. Als ich ihm den Zweck meines Besuches zu erklären versuchte, lachte er – und ich lachte mit; denn jetzt erst fiel mir auf, daß ich eigentlich auf nichts Geringeres ausgegangen war, als ihm so nebenbei im Handumdrehen den ganzen, durch lange Jahre und saure Mühe erworbenen Schatz von Kenntnissen und Erfahrungen abzunehmen. Ich wäre nämlich gerne, wie Faust’s Schüler, in kürzester Frist und auf die bequemste Weise so recht grundgelehrt geworden in allen Eigenschaften wilder Thiere und der zweckmäßigsten Behandlung eines jeden. Indessen, ein herzliches Lachen stimmt Jedermann wohlwollend, und Herr Jamrach bestätigte die Regel. „Hier habe ich nur kleines Zeug,“ sagte er, „meist Vögel, wie Sie sehen; kommen Sie aber mit mir ein Stück Weges die Straße hinunter, dort werde ich Ihnen meine größern Schüler präsentiren. ’S ist nur ein hundert Schritt von hier.“

In einen Hof tretend, stand ich zwischen zwei Reihen Käfigen, von denen zufällig jedoch nur wenige bewohnt waren. Ein Condor der Anden, der höchst verdrossen und gelangweilt in seinem Käfig schmollte, hatte fast die eine Seite des Hofes für sich allein. Weiter hin kam ich an eine Leiter, die zu einer Art Dachluke führte. Da müsse ich hinauf, sagte Herr Jamrach, was mir die verwunderte Frage entlockte, ob er denn das Rhinoceros etwa schon so weit gebracht, daß es Leitern hinaufklettere. „Es ist nicht da oben,“ erklärte cr, „sondern unten in einem Stalle; aber durch ein Loch in dem Boden oben werden Sie es bequem sehen können.“

So schaute ich denn hinunter durch das Loch, und richtig, da stand das vorsündfluthliche Ungeheuer und labte sich behaglich an Heu. Herr Jamrach wurde jetzt abgerufen und übertrug meinen weitern Unterricht seinem Thierwärter. Dieser Mann war körperlich der vollendete Gegensatz seines Herrn, ebenso klein und anscheinend schwach, als jener groß und stark war, und dennoch kam ihm die Ehre zu, eine entflohene Tigerin besiegt und heimgebracht zu haben. Er war voller Anekdoten und höchst mittheilsam, sodaß meine Lernbegier auf’s Neue erwachte und ich die Gelegenheit eifrigst benutzte, mich in alle Geheimnisse seines Faches einweihen zu lassen. Pflichtschuldigst erkundigte ich mich zuerst um den König der Thiere. Es sei leichter, meinte er, das Vertrauen eines Löwen, als eines Tigers zu gewinnen; doch aber benähmen sich Tiger und Tigerinnen zuweilen recht liebenswürdig. „Die Tigerin, die damals ausgebrochen ist,“ sagte er, „kannte mich ganz gut und schien mich recht lieb zu haben. Gar oft, wenn ich an ihrem Käfig vorüberging, streckte sie beide Tatzen zwischen den Gittern heraus und winkte mich zu sich.“

„Sie lehnten natürlich eine so bedenkliche Einladung freundlich ab?“ frug ich.

„Warum denn? So oft ich Zeit hatte, ging ich zu ihr, und da legte sie mir ihre Tatzen auf beide Backen und streichelte mich ganz liebevoll. Ueberhaupt sind Tiger und Löwen in ihrem Käfig meist ganz sanft; wenn es ihnen aber gelingt, loszubrechen, dann kehrt ihre angeborne Wildheit auch zurück. Sie vergessen dann alle frühere Freundschaft, und man darf ihnen weder Gnade noch Barmherzigkeit zeigen. In solchen Fällen gibt’s nur ein Mittel, das hilft.“

„Und welches ist das?“

„Man muß sie gleich vor den Kopf schlagen, sie betäuben. So habe ich die Tigerin bedient. Ich schlug sie mit einer Brechstange nieder. Eine Weile lag sie wie todt, und als sie wieder zu sich kam, hatten wir einen schönen Tanz. Sie zeigte mir ihr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_459.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)