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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 31. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Sigrid, das Fischermädchen.
Von Theod. Mügge.
(Schluß.)

Kein Strauch und kein Halm war auf der Klippe zu sehen, wohin Gullik den Sack mit dem Seehunde geschleppt hatte. Zerrissen und ausgewühlt lagen die Felslager, zertrümmert und zerborsten von vieltausendjährigen Stürmen. Nur aus manchen Fugen wucherten schilfige Fäden, die im Winde raschelten, und unten stöhnte das Meer, wenn es gurgelnd in die tiefen Höhlungen drang, die es in zeitlosen grimmigen Kämpfen geschaffen. Wenn Winterstürme wütheten, flog die Brandung über die Klippe fort und zwischen den Felslagern senkten sich tiefe Köcher hinab, die von Eis und Schnee ausgefressen, zerbröckelt und zermürbt waren und auf deren Grunde schlammiges Wasser dunstete. Zu einem solchen Loche schleifte Gullik den Sack, blieb dabei stehen und sah hinunter. Es war mehr als zehn Fuß tief, von allen Seiten steil und fast rund. Bartflechten hingen darin nieder bis auf die schwarze, zitternde Flüssigkeit, die den Boden bedeckte.

Ein paar Augenblicke starrte Gullik vor sich hin, dabei falteten sich seine harten Hände zusammen, er stand in tiefen Gedanken. Darauf aber ließen sich seine Finger los, und langsam kamen die Worte über seine Lippen: „Es muß so sein, also mag’s geschehen!“ Und indem er mit der linken Hand nach dem Sacke griff, faßte seine rechte in die Tasche; er zog dort sein Messer heraus, ließ aber die Scheide darin stecken. Es war ein langes scharfes Messer, wie es die Fischer zum Ausweiden der Fische bei sich führen. Mit einem Schnitt ist der stärkste Kabeljau damit von oben bis unten aufgerissen, die scharfe Spitze trennt ihm Kehle und Kopf. Gullik hielt es in seiner vollen Hand so gefaßt, wie es zu Stoß und Schnitt nöthig war, und während er sich bückte und die Schnur vom Sacke zurückschlug, schlossen sich seine Finger fester um den Griff des Messers, als wollte er rasch sein blutiges Werk thun. Da wühlte sich der graue dicke Kopf des Seehundes aus der Umhüllung hervor, und die Freude, welche das Thier empfand, dem Gefängniß entronnen zu sein und den wohlbekannten Beschützer nun zu sehen, drückte sich in seinen glänzenden Augen und schnellen, schmeichelnden Bewegungen aus. Er kroch zu Gullik’s Füßen, blickte zu ihm auf und leckte seine Hand. Das Gesicht des Fischers zuckte, das Messer zitterte in seinen Fingern, er hob den Arm auf und ließ ihn wieder sinken, er konnte es nicht vollbringen. Seinen Kopf richtete er zum Himmel empor, kreischend flogen die Seeschwalben über ihm, unter seinen Füßen stöhnte in den Höhlen die Brandung, als läge da ein Sterbender. Das mahnte ihn wieder an sein sterbendes Kind.

„Nein, nein,“ sagte er entschlossen und hart, „du mußt daran. Besser du als er, Gott steh’ dir bei!“ Und damit griff er dem Hund in’s Genick, preßte ihn mit aller Kraft zusammen und zückte das Messer auf dessen Augen. Aber indem sein Arm niederfahren wollte, hörte er eine Stimme dicht neben sich, die ihn anschrie, und im Schrecken ließ er den Hund los.

Thorkel Ingolf stand dicht bei ihm; ein stieres Entsetzen kam über den Fischer, und da er ihn ansehen wollte, vermochte er es nicht, er mußte die Augen niederschlagen. Thorkel sprach kein Wort, aber der Hund benutzte seine Freiheit, er kroch zu ihm hin, Schutz bei ihm zu suchen. Da fuhr ein grimmiger Zorn durch Gullik’s Brust. Sein Arm mit dem Messer streckte sich, sein kaltes Gesicht schwoll an, er athmete schwer. „Bist Du da, Du elender Kerl?“ schrie er. „Hast noch nicht genug Unglück über mich gebracht? Willst Deinen Hexenhund haben, mir die Plagegespenster weiter in’s Haus zu bannen?“

„Wie sprichst Du so, Gullik Hansen?“ antwortete Thorkel. „Weißt Du nicht, daß ich gern Dir nur Liebes thun möchte?“

Der Fischer schwieg, seine Augen rollten noch immer. „Wie kommst Du hierher?“ fragte er endlich.

„Das geht natürlich genug zu,“ sagte Thorkel. „Ich stand gestern dicht an Deinem Fenster, als Grete Dir rieth, den armen Hund grausam zu martern und zu tödten, damit Anders gesund werde. Ich wollte das nicht leiden, Gullik, wollte Dir sagen, welche Sünde es sei, darum fuhr ich hierher auf die Klippe, noch ehe Du kamst, und erwartete Dich.“

Gullik blickte noch immer finster. „Was schlichst Du Dich an mein Fenster?“ fragte er.

„Auch das will ich Dir sagen. Ich hatte am Abend vorher schon Sigrid ein Mittel für den Kranken gebracht, in Meldalsgaard hatte ich es für ihn bekommen. Es wird ihn gesund machen.“

„Du brachtest ihm ein Mittel?“ rief Gullik entsetzt. „Willst Du ihn morden?“

„Sei verständig,“ sagte Thorkel. „Das Mittel ist von einem berühmten Doctor in Christiania und wird Anders wohlthun, denn seine Krankheit ist sicherlich nichts, als wiederholtes hartes Fieber. Gestern schon ist es danach fortgeblieben, heute wirkt es sicherlich noch besser. Der mir das Mittel gab, wird selbst mit Dir sprechen, und Du mußt den Doctor holen, was Du gleich hättest thun sollen, statt der bösen alten Grete zu glauben, die so schlecht ist, wie ihr Sohn Clas.“

Da fuhr Gullik auf, es war halb Aerger, halb Scham. „Schiltst Du ihn,“ drohte er, „Du, der so viel Schlimmes that


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_481.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)