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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in die Gruft. Die Erde fällt auf den Sarg. Der Hügel erhebt sich; der letzte Act eines Menschenlebens ist vorüber. Gerade, als der Trauerzug sich in Bewegung setzte, fuhr eine elegante Kutsche am Hause vorüber; ein einzelner Herr saß in derselben. Er sah den Zug, er wußte wer gestorben war – er wendete sich ab, er mochte nichts sehen, nichts hören, nichts wissen. Er war auf’s Neue befördert worden, er fuhr zum Minister – um seinen pflichtschuldigen Dank abzustatten.

Vorüber! nur vorüber!
’s ist Alles ja ein Hauch;
Und Du, Du einsame Thräne
Verschwinde, vergehe nur auch.

Was drängst Du heißer Gedanke
Dich wieder in’s Herz hinein:
Warum? warum geschah es?
Könnt’ es nicht anders sein?




Das Eisenbergwerk im Gonzen.
Von H. A. Berlepsch (in St. Gallen).
(Mit Abbildung.)

Ein jähstolziger, wildaufstrebender Schweizerberg, den jährlich Tausende und Tausende deutscher Vergnügungsreisende von der Thal-Ebene aus anstaunen, ohne den Versuch zu seiner Besteigung zu machen, soll den Vorwurf zu nachstehendem kleinen Landschaftsbilde abgeben. Er hat eine doppelte Berechtigung, unter den bevorzugten Genossen seines schönen Heimathlandes genannt und beachtet zu werden; denn nicht nur bietet er von seinem Gipfel aus großartige Umblicke auf einen Theil der östlichen Schweizer Alpen, sondern er hat auch kulturhistorische Bedeutung und antiquarisches Interesse. Dies ist der Gonzen im Canton St. Gallen.

Seit der im Sommer 1858 stattgehabten Eröffnung der vom Bodensee nach Chur führenden Eisenbahn ist das St. Gallisch-österreichische Rheinthal nicht sowohl ein Wanderziel der Touristen, als vielmehr eine beliebte und immer mehr in Aufnahme kommende Route für alle diejenigen geworden, die auf den Allerwelts-Rigi steigen, die viel besungenen Tell-Orte am Vierwaldstätter See besuchen, und von da aus in’s Mekka und Medina der Schweiz – in’s geliebte Berner Oberland pilgern wollen. Und in der That kann derjenige Tourist, der, aus Deutschland kommend, gleich mit beiden Füßen in die volle Alpenpracht hineinspringen und seine Tour möglichst genußreich einrichten will, keinen befriedigenderen und vortheilhafteren Weg wählen, als diesen. Früher, wenn man in Lindau oder Friedrichshafen (wo die bayerischen und würtembergischen Eisenbahnen enden) den deutschen Boden verließ und, vom Dampfschiff über den Bodensee getragen, die Schweiz in Rorschach oder Romanshorn betrat, verfolgte man die sehr gut conservirten, aber nichts weniger als interessanten Straßen durch das ackerbautreibende, fruchtbaumgesegnete, aber ziemlich ebene Thurgau oder durch das Mousselin webende, freundliche Toggenburg, und langte gegen Abend in Zürich an. Jetzt gehen auch durch diese Strecken Eisenbahnen, – aber die Landschaft blieb natürlich die gleiche, wie früher; sie bietet nichts Außerordentliches, um deswillen man doch die weite Reise macht. Wie ganz anders das alpenumragte, von hohen Firnzinken eingeschlossene, ruinengeschmückte, lachende breite Rheinthal! Sofort beim Eintritt eröffnet es eine Reihe von Gebirgsbildern, die ununterbrochen abwechselnd, immer sich verschiebend, umgestaltend und wie dissolving views in neue reizende Landschaften übergehend, zu den malerisch-überraschendsten gehören, welche die Schweiz aufzuweisen hat. Gleich drüben links stufen sich die Vorarlberger Alpen auf, denen dann ein tiefer, ungemein prächtiger Einblick in’s Montafun und auf die zackenreiche Kette des Rhätikon mit den schneebedeckten Kulmen der Scesaplana, des keckgeformten Zimberspitz, des Gallinakopfes etc. bis zum vergletscherten Silvretta-Massiv folgt, während rechts der patriarchalische Sentis mit seinen Vasallen und den beiden Vorposten Kamor und Hoher Kasten, dann später der Alvier, la Gauschla, die Grauenhörner, und ganz in der Perspektive der Kalanda nacheinander aufmarschiren. Heitere, formenschöne Vordergrund-Gruppen beleben die mit hochstengeligem Mais und Weinreben bepflanzte Thalsohle, und halten die Schaulust durch den jagenden Wechsel ihrer Verwandlungen in unausgesetzter Spannung. Und alle diese pittoresken, wandernden Decorationen kann man vom weich gepolsterten Sopha des Waggon aus während der dreistündigen Fahrt bis Sargans an sich vorübergleiten lassen. Darum erkennt das einmüthige Urtheil der gebildeten Reisewelt diese Eisenbahn als eine der an landschaftlichen Genüssen reichsten auf dem ganzen europäischen Continente an.[1]

In Sargans wäre das Ziel für unsere Bergpartie zum Gonzen. – Offen gestanden, für zarte Damen, für altersschwache Herren oder knielahme Männer, für Touristen, die keinen festgenagelten, derben, dicksohligen Bergschuh an den Füßen verleiden mögen, ist unser Gonzen nichts; er verlangt gesunde, steiglustige Beine, etwas Ausdauer im Muskelspiel, leicht athmende Lungenpumpen und frische vernünftige Augen, die, wenn der Weg hie und da ein wenig schmal wird und an einer Tiefe vorüberführt, nicht gleich dem Gehirn schwindelsüchtige Reflex-Komödien vorgaukeln. Wer zu weichlich oder zu schwach ist, folge uns lieber nicht; er bleibe im Wagen und setze seine in ihren Effecten sich immer noch steigernde Reise auf der Eisenbahn längs des Wallensee zum idyllischen Zürichersee fort. – Wem aber oben genannte Requisiten nicht mangeln, wer Proviant an flottem Humor, offenen Sinn für die Pracht der schönen Alpenwelt hat, und vom Wetter begünstigt wird, der nehme den Bergstock zur Hand, etwas zu essen in die Tasche und steige mit uns aus. Mit dem Gonzen macht er eine Vorstudie zur Besteigung höherer Berge.

Da liegt der imposante Koloß mit seiner breiten, wettertrotzigen Felsenstirn, wie ein vorgeschobener Sturmbock, an dem der unbändige Föhn (Südwind) seine Kräfte brechen soll. Er ist eine natürliche Weg- und Wanderscheide, ein dem Touristen von den Alpen aufgeworfenes Fragezeichen, an dessen Fuß drei Schienengleise ineinander münden. Links hinüber geht’s in’s Land der „alten drei Bünde“ im Hohen-Rhätien (Graubünden) nach Chur und über die Berge (Julier, Splügen, Bernhardin) nach Italien, – rechts hinein aber an den felsenumgürteten, rebellisch-wilden Wallensee und in die Urcantone der schweizerischen Eidgenossenschaft. Unwillkürlich fragt jeder Fremde auf dem Sarganser Bahnhofe nach dem Namen unseres Gonzen, denn der Bursch kommt ihm doch zu originell vor. – Denke Dir, lieber Leser, ein weites, rings von hohen Gebirgszügen eingeschlossenes Thaldreieck, an dessen Winkeln sich breite, in der Tiefe duftigblau verschleierte Ausgänge öffnen. In Mitte desselben stehest Du, und drüben an der einen abgrenzenden Wand steigt einige tausend Fuß hoch, ziemlich steil, ein dicht mit Buchen überwaldeter breiter Bergsockel auf. Es ist ein ganz respectabler Gesell, der sich mit vielen der renommirten Höhen- und Aussichtspunkte Mitteldeutschlands messen darf.

Aus diesem wächst nun, abermals wieder ein paar Tausend Fuß hoch, senkrecht ein riesiges Felsenfrontispice, kahl, vegetationsentblößt, stolz und starr. Das ist der Gonzen, in dessen Eingeweiden die ältesten Eisenbergwerke der Schweiz und wahrscheinlich aller germanischen Länder sich befinden. Schon vor jenen Zeiten, in denen die Römer sich Helvetiens bemächtigten, und ihre Colonien und Städte (Aventicum = Wifflisburg, Vindonissa = Windisch, Curia Rhätorum = Chur, Arborfelix = Arbon etc.) anlegten, also vor dem vierten Jahrhundert, muß hier Eisen gewonnen worden sein. Denn vor ungefähr dreißig Jahren wurden in unmittelbarster Nähe von Plons, wo gegenwärtig noch das Eisenerz des Gonzen geschmolzen wird, keltische Gräber, aus großen rothen Schieferplatten erbaut, gefunden, und bei den zu Asche zerfallenden Gerippen lagen Eisenschlacken, ein Zeichen also, daß es Eisenschmelzer waren, die hier zur Ruhe bestattet lagen. Wären es Römergräber gewesen, so

  1. Wer auf seiner Rigi- oder Berner-Oberlands-Fahrt das pompöse Rheinthal profitiren will, dem rathe ich in Rorschach zu übernachten (Krone, Hirsch oder Schiff), – Morgens sechs Uhr mit dem ersten Zug bis Ragaz (wenn er den Gonzen nicht besteigen will, zu fahren, das hochromantische Taminathal bis Bad Pfäffers (1 Stunde) zu Fuß zu gehen, die heißen Quellen zu besuchen, Nachmittags bis Sargans zurück, längs des wildprächtigen Wallensee nach Glarus zu fahren, dort zu übernachten und am andern Tage mit Eisenbahn bis Rapperschwyl, von da per Dampfschiff auf dem Zürichersee nach Zürich. Wer meinen Rath befolgt, wird mir’s Dank wissen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_487.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)