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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

steht auf dem 2000 Fuß hohen Monte Pellegrino am Nordwestende des Hafens, unzugänglich für gewöhnliche Beine und Nerven, da der Weg sich an der steilen, zackigen Felsenmasse in furchtbaren Zickzacks über gebrechliche, morsche Brücken und wankende Bogen, auf schmalen Stegen an Abgründen entlang, in scharfen Kanten und Biegungen hinaufwindet. Und dennoch hatte sich der Kegel oben und die Kirche schon bei guter Zeit am Morgen mit Andächtigen gefüllt, und immer noch strömten Wallfahrer hinauf, um vor dem Bild der Heiligen zu knieen und für Garibaldi zu danken, für Garibaldi zu bitten, Garibaldi leben zu lassen, den Namen Garibaldi weit hinaus in den sonnigen, blauen Himmel, über das lachende, strahlende, unendliche Meer hinzujauchzen. Die Hauptfeierlichkeiten fanden unten statt: Processionen durch die Straßen und Gottesdienst in der Santa-Rosalia-Domkirche. Ich habe nichts davon gesehen, da ich meinen Urlaub dazu benutzte, den ganzen Tag auf den lichten, sonnigen, himmlischen Höhen des Monte Pellegrino zuzubringen, frei zu athmen, mich der schönen, überirdischen und doch irdischen Seligkeit dieser Luft, dieses Lichtes, dieser Aussicht zu freuen, an die dunkele, ferne Heimath zu denken, von Freiheit zu träumen, auf Freiheit, auf glückliche Völker zu hoffen und der Todtengebeine, der in Ketten lebendig Halbverweseten, der von Ketten bis auf die Knochen durchgeriebenen, eiternden Glieder, der furchtbaren Schatten und Schreckensgestalten zu vergessen, die nach unserm Einzuge tausendweise aus dem Kerker wankten. Zwanzigtausend Gekerkerte und Gekettete wankten durch die geöffneten Gefängnißthore. Wie Viele waren verhungert, zu Tode gemartert worden, um über- und unterirdische Räume mit Gebeinen zu füllen! Ueberall in versteckten Winkeln und Löchern Menschengebeine, Todtengerippe zwischen Mauern, unter den Fußböden unterirdischer Kerkerlöcher, in den Höfen – Gott, und deshalb, weil sie den größten Tyrannen, der je einen Thron einnahm, nicht als von Gott bestellten Landesvater liebten oder wenigstens in dem Verdacht gestanden hatten, ihn nicht zu lieben! Und bis zu Garibaldi, wie wirthschaftete die Polizei für den 21jährigen Jüngling des neapolitanischen Thrones?

Jedes Polizei-Revier hatte seine Tortur-Bureaux. Sie wurden in Sicilien unter Direction des Oberbüttels Maniscalco, in Neapel unter Ajossa für die Ehre dieses Thrones verwaltet. Sie ließen zunächst jeden Tag tausende von Hieben austheilen, wobei oft Knochen zerschlagen und Fleisch aus dem Körper gerissen wurden. Aber so gnädig kamen nur die absolut Unschuldigen weg. Alle Unschuldigen, an deren Unschuld man nicht glaubte und die nichts zu gestehen hatten, wurden durch verschiedene Instrumente ermahnt, zu bekennen, zu gestehen. Wenn man ihnen den Kopf zwischen die Beine band und sie so liegen ließ, bis sie aussagten, was man ihnen schuld gab, waren sie verhältnißmäßig noch glücklich gegen die, die auf einen eisernen Rost gebunden wurden, unter welchem man Feuer anmachte, in welches Feuer manchmal auch Schwefel geworfen ward. Dieses Rösten war eine besondere Liebhaberei des Polizei-Directors Pontillo. (Ich höre eben, daß ihn das Volk verbrannt hat, aber ohne Rost und Schwefel.) Andere bedienten sich gern des von Luigi Maniscalco (einem Vetter des Oberbüttels von Sicilien) erfundenen „Engelsinstruments“. Es ist sehr einfach, aber diabolisch in höchster Vollendung: ein dicker eiserner Ring, inwendig sehr breit, auf einer Seite mit einem Kolben an einer Schraube versehen. Man steckt einen Arm oder ein Bein des Angeklagten in den Ring und dreht die Schraube, welche den Kolben gegen das Glied drückt, bis es zerquetscht ist. Die einfachen Daumenschrauben mittelalterlichen Angedenkens wurden auch sehr häufig gebraucht, aber die eifrigen Diener seiner apostolischen Majestät zogen immer das imposantere Engelsinstrument vor.

Manchmal wurden Angeklagte an Händen und Füßen zwischen zwei Mauern horizontal schwebend aufgehangen, damit ein auf den so hängenden Körper springender königlicher Beamter Arme, Schultern oder Beine aus den Gelenken reiße. Neben dem Engelsinstrumente wandte man auch in manchen Bureaux die Kopfbinde an, ein Engelsinstrument, in welches man den Kopf steckte, um die Hirnschale zu drücken oder zu zerquetschen. Mit einem andern Schrauben-Apparate, den die Cannibalen die Lorgnette nannten, drehte man durch Einschrauben zwischen dem Augapfel das Auge zum Kopfe heraus. In der Nähe des Meeres, besonders am öden Cap Zafferana, trugen die Polizeidiener fast alle Tage große Säcke in’s Wasser. In jedem Sacke steckte ein Mensch. Man wirft ihn in’s Wasser und läßt ihn darin, bis er sich nicht mehr rührt. Dann zieht man ihn heraus, sieht zu, ob er wieder zu sich kommt, und fragt den Aufathmenden, ob er bekenne. Weigert er sich, wird er wieder in den Sack gebunden und in’s Wasser geworfen, bis er wieder ganz still ist und es auch oft für immer bleibt. So wurde Giovanni Vienno in Messina, ein nobler, angesehener Bürger, von der Polizei ermordet. In Monreale fielen ein alter Vater und seine Tochter, eine verheirathete, schwangere Frau, in dem Verdacht, daß sie Patrioten seien. Den alten Mann knutete man direct todt; die Tochter aber wurde erst vollständig entkleidet und dann erst zu Tode gepeitscht. Und die Glücklichen, welche sich durch Flucht retten in sichere Gebirgsschluchten, werden sie etwa steckbrieflich verfolgt? Nein, so väterlich ist man hier nicht für den jungen Landesvater. Ueberhaupt floh niemals ein anständiger Mann mit Angehörigen, weil man sich dann der Letzteren bemächtigte. Man dachte an Casimiro Arsimano, der vorher erfuhr, daß die Polizei ihn suche. Er floh in die Gebirge. Die Polizei nimmt seine Frau und bindet sie auf den Brenn-Rost, die Polizei nimmt seine Söhne und bindet sie auf den Brenn-Rost, die Polizei nimmt seine Töchter und bindet sie auf den Brenn-Rost. Sie wurden des Verbrechens beschuldigt, den Gatten und Vater in der Flucht unterstützt zu haben und zu wissen, wo er sich verborgen halte.

Unter den Gerippen und lebendig in Ketten Halbverfaulten im großen Gefängnisse zu Palermo fand man auch zwei an eine Kette geschmiedete Unglückliche liegen, die erst losgehauen und dann getragen werden mußten, weil Beide sich nicht mehr auf den durchgeriebenen Beinen halten konnten. Man forschte, was die Beiden verbrochen hätten. Der Eine, seit Jahren öfter in Tobwahnsinn ausbrechend, hatte dem Andern durch seine furchtbaren Zuckungen und Bewegungen die Kette tief in’s Fleisch gerieben, und er sie sich selbst. Er hatte, schon wahnsinnig, seine Geliebte ermordet. Den Andern bezeichnete die verhörte Polizei als politischen Verbrecher; aber kein Buch, kein Aktenstück gab Auskunft, wessen er beschuldigt worden war. Auch hatte er selbst nie etwas davon erfahren. Er war nie verhört worden – seit den fünf Jahren seiner Ketten, die er mit dem wahnsinnigen Mörder gemeinschaftlich getragen.

Dies ist nicht etwa ein ausgesuchter Fall. Du würdest mir nicht glauben, wenn ich Dir noch ganz andere Thatsachen und Erlebnisse erzählte. Lies Gladstone’s, des englischen Finanzministers, Buch über die neapolitanischen Gefängnisse: da findest Du’s haarklein, daß Hunderte und immer wieder Hunderte Jahre lang in Untersuchungshaft schmachteten, ohne daß sie je verhört wurden, bis selbst die Gefängnißbeamten vergessen hatten, weshalb sie im Kerker seien. Gladstone erzählt specielle Beispiele, wie sich auswärtige Gesandte eines oder des anderen so Gefangenen speciell annahmen, und sich die Polizeibehörden Mühe gaben, herauszufinden, wer ihn und weshalb verhaftet habe, ohne etwas ermitteln zu können.

Und diese Bomben, dieses Verwüsten blühender Städte, dieses ungeheure Blutvergießen 1849 und 1860! Ist’s möglich, jetzt im Jahre 1860 des Heils, der Religion der Liebe? Und im Namen und auf Befehl eines 21jährigen Jünglings! Im 21. Jahre! In diesem Alter lieben, glauben, hoffen, schwärmen andere Jünglinge für alles Schöne, Edle, Ideale, und in diesem Alter martert und mordet dieser unsäglich elende Mensch! –

Solche Cannibalismen schreib’ ich Dir aus Palermo „Felice“, der Glücklichen, schon von Herodot und Diodorus dem Sicilier vor Jahrtausenden der große Garten, das glückliche Gestade, Paradies der Erde genannt, aus Palermo mit den leuchtenden Gärten, wo „im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn“, Palermo mit dem ewig lachenden blauen Himmel über sich, den zum Westthore hereingrüßenden Bergen, deren heiße Luft durch das vom Osten hereinlachende Meer gekühlt wird, aus der Hauptstadt des süßesten, glücklichsten Nichtsthuns in offenen Kaffeehäusern, Casino’s, Barbierläden und feenhaften Aquijaoli. In ersteren streckt und dehnt sich der junge, heruntergekommene Adel und macht viel Aufwand mit seinen fünf bis zehn Tari oder Silbergroschen, die er täglich zu verzehren hat; in den Casino’s spielt und tanzt man, in den Barbierstuben, oft bloßen offenen Plätzen auf der Straße selbst, wird geklatscht und gelacht, und die Aquijaoli oder Wasser- und Limonaden-Kneipen strahlen, duften und sprudeln allen Ständen und Classen und Geschlechtern, die müde und durstig sind, für fabelhaft billige Preise himmlische Erquickung. Auf goldenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_493.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)